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Sie geben keine Ruhe. Magnus Gäfgen und sein Anwalt Michael Heuchemer, hier zu Beginn des Prozesses. Foto: dpa

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Entschädigung für Magnus Gäfgen: Unter Schmerzen

Warum die Entschädigung für den Kindermörder Magnus Gäfgen juristisch nicht verhindert werden konnte.

Mit diesem Richterspruch dürfte der fast zehn Jahre währende Rechtsstreit zwischen Magnus Gäfgen, dem Entführer und Mörder des damals elfjährigen Bankierssohn Jakob von Metzler, und der Polizei wohl nicht beendet sein. Doch das Urteil markiert eine wichtige Zäsur. Gestern erkannte die 4. Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts dem zu lebenslanger Haft verurteilten Gäfgen eine Entschädigung von 3000 Euro nebst Zinsen zu, weil ihm Polizeibeamte 2002 unmittelbar nach seiner Festnahme mit Folter gedroht hatten. Sie hatten mit allen Mitteln den Aufenthaltsort des Jungen herausfinden wollen, weil sie hofften, so dessen Leben retten zu können. Auch wenn der Vorsitzende Richter Christoph Helfer gestern das Verhalten der Beamten „menschlich nachvollziehbar“ nannte, wertete er die Folterandrohung als „schwerwiegende, schuldhafte und rechtswidrige Verletzung der Menschenwürde“. Das Folterverbot und die Menschenrechte hätten absolute Geltung und unterlägen keiner Abwägung, das gelte auch bei einem Straftäter, sagte der Richter am Donnerstag in seinem aufsehenerregenden Urteil.

Es ging vor Gericht um die Morgenstunden des 1. Oktober 2002. Der 11-jährige Jakob war am 27. September entführt worden. Bei der Übergabe des geforderten Lösegelds von einer Million Euro kommt die Polizei dem Jurastudenten Magnus Gäfgen auf die Spur. Nach dessen Festnahme in einem Parkhaus am Frankfurter Flughafen bedrängen ihn die Vernehmungsbeamten, den Aufenthaltsort des Kindes zu nennen, weil sie hoffen, es lebend befreien zu können. Doch Magnus Gäfgen, bei dem Teile des Lösegeldes gefunden wurden, tischt den Beamten immer neue Versionen auf. Von einem „provozierenden und skrupellosen Aussageverhalten“ sprach denn auch gestern der Vorsitzende Richter der Zivilkammer. Am Abend des dritten Tages nach der Entführung entschließt sich der damalige Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner zum Einsatz „unmittelbaren Zwangs“, zur Folterandrohung. Vier Tage könne ein Mensch ohne Flüssigkeit leben, sagte Daschner als Zeuge in diesem Prozess zu seiner Rechtfertigung; er habe gewusst, dass Jakob tot sein würde, wenn er nicht sehr bald gefunden werde. Daschner holt sich Rückendeckung im Innenministerium. „Zeigen sie Instrumente“ ist in einem internen Vermerk zu lesen, den erst viel später Recherchen des Tagesspiegels zutage förderten. Am frühen Morgen des 1. Oktobers droht im Auftrag Daschners Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit dem Verdächtigen Gäfgen mit Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt habe. Ein Spezialist sei unterwegs. Von einem Wahrheitsserum ist die Rede. Für Magnus Gäfgen waren diese Drohungen damals real, weil glaubhaft, sagt die Zivilkammer in ihrem Urteil. Eingeschüchtert führt Gäfgen die Beamten zu dem Ort, an dem er den Leichnam abgelegt hatte. Daschner und Ennigkeit sind inzwischen vom Frankfurter Landgericht wegen Nötigung und Anstiftung zu Nötigung im Amt zu Geldstrafen mit Bewährungsauflagen verurteilt. Nach Einschätzung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte war das ein zu mildes Strafurteil. Mit ihrem Verhalten hätten Daschner und Ennigkeit nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen. Nach dieser juristischen Vorgeschichte habe die Frankfurter Zivilkammer eine Entschädigung zugunsten von Gäfgen festsetzen müssen, sagte Richter Hefter. Die Beamten hätten vorsätzlich und im Wissen um die Rechtswidrigkeit ihres Tuns gehandelt. Hefter sprach von einem einzigartigen Fall, der viele Diskussionen ausgelöst habe. Immerhin hatte der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier Verständnis für Daschner zu Protokoll gegeben und ihn am Ende seiner beruflichen Laufbahn noch zum Polizeipräsidenten befördert. Ennigkeit hatte über seine Erfahrungen ein Buch geschrieben, dessen Veröffentlichung jedoch seine Dienstvorgesetzten bislang verhindern.

Der Vorsitzende Richter Hefter stellte fest, inzwischen habe sich die Rechtsauffassung durchgesetzt, dass dem Folterverbot und den Menschenrechten absolute Geltung zukomme, dass auch in einer solchen Notsituation, in denen sich die Polizei wähnte, Gewaltandrohung und Folter tabu bleiben müssten. Für die „posttraumatischen Belastungsstörungen“, die ein psychiatrischer Gutachter Gäfgen attestiert hatte, wollte das Gericht die Beamten indes nicht in Haftung nehmen. Wenn Gäfgen in Angstträumen das ermordete Kind sehe, gehe das nicht zwingend auf die Folterandrohung gegen ihn zurück. Schließlich habe Gäfgen den Jungen mit seinen eigenen Händen erwürgt, sei Zeuge dessen Todeskampfs gewesen und habe zudem mit der Tat seine Luftschlösser von einem Leben im Luxus zerstört.

Obwohl Gäfgens Anwalt Michael Heuchemer ursprünglich „mindestens“ 10 000 Euro Schmerzensgeld hatte erstreiten wollen, zeigte er sich nach dem Urteilsspruch zufrieden. Das Gericht habe ein Zeichen gesetzt, sagte Heuchemer. Die „harte Auseinandersetzung“ sei für ihn ein Lackmustest gewesen, ob die vielbeschworene Gleichheit vor Recht und Gesetz Geltung habe oder nur in Sonntagsreden bemüht werde, so der Rechtsanwalt. Gäfgen, der in der Haft sein erstes juristisches Staatsexamen bestanden hat, erfuhr gestern in der Haftanstalt Schwalmstadt von seinem juristischen Teilerfolg. Außerdem hat er seine damaligen Gegner Daschner und Ennigkeit erneut bei der Staatsanwaltschaft angezeigt – wegen angeblicher Falschaussage vor Gericht.

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