zum Hauptinhalt

Weinkritiker Hugh Johnson: Ein Plädoyer für den deutschen Wein

Seine britischen Freunde wandten sich ab, doch der renommierte Weinkritiker Hugh Johnson blieb dem deutschen Riesling treu. Ein Plädoyer zum "Langen Nachmittag des Prädikatsweins" in Berlin.

Seit 50 Jahren ist deutscher Riesling meine besondere Leidenschaft. Allerdings war das vor 50 Jahren in England nichts Besonderes: Jedermann stimmte darin überein, dass Deutschland die feinsten Weißweine der Welt erzeugte. Sicher gab es ein paar wenige französische Weine in unterschiedlichen Stilen, die geschätzt wurden, aber wichtige Diners begannen üblicherweise mit einem „Hock“ (unsere Bezeichnung für Rheinweine) oder Mosel, und endeten damit meist ebenso. Wir liebten deren klare Fruchtaromen, ihre Leichtigkeit, Eleganz und den langen Nachhall im Mund…. und uns interessierten die leicht wahrnehmbaren Unterschiede von Rieslingen, die in unterschiedlichen Regionen (Rheingau, Pfalz, Saar ...) und auf verschiedenen Böden gewachsen waren, genauso wie deren unterschiedliche Reifegrade und die individuelle Handschrift des Erzeugers.

Dies waren die wahren Wein-Sammlerstücke und sie harmonierten perfekt mit unseren Speisen. Ich habe niemals aufgehört, sie zu lieben und die besten Exemplare aufzuspüren und zu kaufen. Aber (und das ist der traurige Teil der Geschichte), nach und nach stand ich mehr und mehr alleine da und die Zahl der guten und verlässlichen Beispiele aus denen man auswählen konnte, wurde kleiner und kleiner. Schließlich wurde ich gar als exzentrisch angesehen, überhaupt Riesling aus Deutschland zu trinken. Meine Freunde empfahlen mir Riesling aus Australien zu probieren, der moderner und mehr in Mode sei. Ich erhob Einspruch.

Ich kann den Beginn des Problems genau beziffern. Es war 1971, das Jahr, in dem das neue Weingesetz erlassen wurde, das die bisherige Ausgeglichenheit von der qualitätsbewussten Erzeugung hin zur Massenerzeugung begünstigte.

Das Konzept von Bereich und Großlage wurde eingeführt, die beide zu großer Verwirrung führten. Vielleicht wurden wir zuvor schon verwirrt durch die langen deutschen Weinbezeichnungen, aber das System war wenigstens eindeutig und klar. Von nun an war es undurchsichtig, ja sogar irreführend. Dazu kam, dass zeitgleich Mengen von - ehrlich gesagt - minderwertigem deutschen Wein in den britischen Markt schwappten. Aus Rebsorten, die mit Riesling nicht zu vergleichen waren, und in Regionen angepflanzt wurden, die vorher Vorbildcharakter für deutschen Wein hatten. Der Markt wurde durch jene Praktiken misstrauisch, die die Besonderheit wegnahmen und damit die Wertschätzung von traditionellen Namen und Lagen. Viel zu früh steckten die britischen Weinliebhaber ihr Geld in andere Weine.

In meinem Keller finden Sie Beispiele ausnahmslos aller großen Jahrgänge seit 1971 (einem überdurchschnittlichen Jahr) von 1976, '83, '89, '90, '93, '94, '95, '96, '98, '99, 2001, '03, '04, '05, '07, '08, bis 2009. Sie werden bemerken, dass die großen Jahrgänge immer näher beieinander liegen: Die globale Erwärmung (oder sagen wir ein wärmeres deutsches Klima) hat den Winzern eine beispielslose Reihenfolge von guten Jahrgängen nacheinander beschert. Die Weinliebhaber haben davon profitiert – und auch die Erzeuger, obgleich nicht gleichermaßen. Die Mode hat sich enorm zugunsten der trockenen, körperreichen Weine entwickelt und damit die als traditionell angesehene Stilistik der von der Säure balancierten Süße ersetzt. Und mit der kompletten Vergärung des Zuckers für trockene Weine geht der Alkoholgehalt hoch. Moderne Weingenießer finden diesen neuen Stil vergleichbarer mit den internationalen Statistiken, sogar mit Burgund.

Vielleicht profitieren die Erzeuger mit den härtesten natürlichen Bedingungen am wenigsten von dieser Veränderung. Denn die Weinberge an der Mittelmosel, wo die Hügel gefährlich steil sind, müssen sich einer neuen Generation stellen, die dieser mühsamen Bewirtschaftung zögernd gegenüber steht. Zudem sind die Moselweine von Natur aus nicht so geeignet für den neuen trockenen Stil. Die Weinregion, die weit weg an der Landesgrenze liegt, scheint auch im Denken der Politiker keinen Hauptaugenmerk zu finden. Der Tourismus wird dort als der zentrale Wirtschaftsfaktor gesehen. Aktuell bedroht eine monströse Straßenbrücke die überdurchschnittlich sensible Landschaft, deren historische Kultur, ihre Schönheit, den malerischen Flusslauf und nicht zuletzt die Existenz der besten Weinberge.

Wenn es auch für meine britischen Landsleute relativ einfach gewesen sein mag, den Sinn für die Besonderheit dieser Weinberge zu verlieren, so ist es schockierend mit anzusehen, wie die deutsche Politik eines ihrer feinsten Kulturgüter betrügt und zerstört.

Ich werde das nicht tun. Ich werde die feinsten Weißweine der Welt auch in Zukunft genießen, schätzen und meinen Freunden offerieren – und das solange ich atmen kann und die Weinberge bestehen.

Hugh Johnson

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false