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WIRTSHÄUSER IN BERLIN: Mord am Wirtshaus

Friedrich Ani zählt zu Deutschlands besten Krimi-Autoren. Hier sein neuester Fall aus dem wirklichen Leben: Wie Bayerns Wirte das Gasthaus zugrunde richten

Obazda, Obergäriges und Brezn gibt es nicht nur in Bayern. Das Bier der Staatsbrauerei Weihenstephan trinkt man entweder im Biergarten

Maria & Joseph (Bahnhof Lichterfelde-West) oder im Gewölbekeller am Hackeschen Markt mit Schweinsbraten und Knödeln. Das Wanke Bräu im Leibhaftig (Metzer Straße 30, Prenzlauer Berg) wird im Spreewald gebraut, dazu gibt es bayerische Spezialitäten in Tapas-Größe. Prämierte Weißwürste bekommt man im Lindenbräu im Sonycenter am Potsdamer Platz. Eher alpenländisches Essen wird im nüchtern eingerichteten Café Obermaier (Erkelenzdamm 17, Kreuzberg) serviert. Wer in die Bayerische Landesvertretung (Behrenstraße 21-22, Mitte) eingeladen wird, den bekocht die hauseigene Küche. sjs

Hat er es mit dem Lästern womöglich übertrieben? Kurz vor Ende des Gesprächs, nach fast anderthalb Stunden, überkommt Friedrich Ani das schlechte Gewissen. Mit unverkennbar bayerischem Zungenschlag stellt er plötzlich fest: „Mei, jetzt war ja alles, was ich gesagt habe, komplett negativ, oder?“ Ja, so könnte man das sehen. Andererseits gibt es wohl wenige, die sich so leidenschaftlich beschweren und dabei so gut gelaunt und unterhaltsam sein können wie der Münchner Schriftsteller. Ani beim Granteln zuzuhören, ist das reine Vergnügen.

Es geht dem 52-Jährigen, der am Alpenrand aufwuchs, an diesem Freitagnachmittag um eine Herzensangelegenheit: das bayerische Wirtshaus und dessen schleichenden Niedergang. Die echten Gasthäuser verschwänden, sagt er, und an ihre Stelle trete glatte, standardisierte Erlebnisgastronomie. Wo früher „alles, was es halt so an Tieren hat, innen und außen“ auf der Karte stand, Innereien und Kuheuter inbegriffen, würden sich Wirte nun an „subtilen Gerichten“ versuchen, an „Geschneckeltem mit Grünzeug“. Symptomatisch sei der Einzug minimalistischer Spargelgerichte. „Gleichzeitig bekommen die Köche einfache, traditionelle Speisen nicht mehr ordentlich hin“, behauptet Ani.

Und warum diese Entwicklung? Vielleicht liegt es am Wunsch vieler Gäste nach leichter Kost. „Furchtbar. Sollen die Leute doch einfach weniger essen, dann passt das schon.“ Ani, der einen Drei-Tage-Bart und graumelierte, schulterlange Haare trägt, ist ein lakonischer Typ. Er spricht solche Sätze ungerührt aus, doch man merkt, wie viel Freude sie ihm bereiten. Dass er es genießt, gegen den Strom zu schwimmen. Bevor er etwas sagt, denkt er gern ein bisschen länger nach, und anschließend macht er oft eine Kunstpause. Grinst vielleicht oder lacht böse.

Mit dem letzten Schrei, dem Schicken und Modischen, hat Friedrich Ani es grundsätzlich nicht so. Seine Krimis, für die er vielfach ausgezeichnet wurde, spielen unter durchschnittlichen Leuten abseits der angesagten Viertel. Seine bekannteste Figur, der Kommissar und Detektiv Tabor Süden, den Ani in diesem Frühjahr nach sechsjähriger Pause zurückkehren ließ („Süden“, Droemer Verlag), ist im Arbeiterbezirk Giesing, im Süden Münchens, zu Hause – wie der Autor selbst. Der hat seine Wohnung gleich um die Ecke vom alten Stadion an der Grünwalder Straße, der Heimat des TSV 1860. Seit 1978 lebt Ani in der Stadt, anfangs arbeitete er als Journalist. Für kurze Zeit verschlug es ihn auch mal nach Schwabing, er wollte jedoch bald wieder „weg von all den aufgehübschten Frauen“. „Mir war’s fad da“, sagt er.

Wir treffen uns an diesem Nachmittag in einer Giesinger Seitenstraße. Die niedrigen Handwerkerhäuser hier stammen aus dem 19. Jahrhundert, dahinter ragt die neugotische Heilig-Kreuz-Kirche auf. Ani hat den „Hohenwart“ als Ort für das Gespräch vorgeschlagen, ein Wirtshaus, in dem sich wenig verändert hat in den vergangenen Jahrzehnten, „ein gastronomisches Biotop“. Nicht, dass der „Hohenwart“ sein Lieblingslokal wäre, aber die Küche sei anständig und die Atmosphäre so angenehm wie ursprünglich, erzählt der Schriftsteller, setzt sich an einen Tisch – und bestellt Wurstsalat und einen „Russ“, eine Mischung aus Weißbier und Zitronenlimonade. Das Getränk heißt übrigens so, weil es das erste Mal während der Revolution 1918 für die Anhänger der Münchner Räterepublik, die man „Russ’n“ nannte, zusammengemischt worden sein soll.

Den „Hohenwart“ gibt es unter wechselnden Besitzern seit mehr als 100 Jahren. Die „Süddeutsche Zeitung“ nennt das Lokal „eine der letzten Bastionen wirklicher bayerischer Wirtshauskultur“ und ein „Bollwerk der Behaglichkeit“, warnt jedoch, man sollte als Besucher „kein Anhänger des Feng-Shui sein“. Die Wände hier sind holzvertäfelt, in der Ecke grüßt ein großes Kruzifix, auf den Fensterbänken stehen Schaf-Figuren (Ani: „Vermutlich vom letzten Ostern übrig geblieben“) neben einer Menge anderem Nippes – und schwere Kronleuchter an der Decke sorgen für eine gute Beleuchtung. Damit, sagt Ani, gehe es schon mal los: In immer mehr Wirtshäusern sei es nämlich viel zu dunkel. Früher habe man im bayerischen Gasthaus stundenlang sitzen und Zeitung lesen können, es war die Fortsetzung des Wohnzimmers mit anderen Mitteln. Da traf sich die Nachbarschaft, da wurden Karten gespielt „und da wurde getrunken, so lange, bis man eben nach Hause gehen musste“: „Traditionelle Wirtshäuser zeichnet eine gewisse Wohnlichkeit aus, mit ein bisschen Zierrat und Zeug an den Wänden.“ So habe jedes auch seinen ganz eigenen Charakter. In den vergangenen Jahren hätten die Wirte dann das Licht heruntergedimmt und sich dunkle, polierte Holztische und -bänke in ihre Gasthäuser gestellt. Hübsch, aufgeräumt und austauschbar. „Einzel-Sitzer, die mehr lesen als konsumieren, können die Wirte wahrscheinlich nicht gebrauchen“, vermutet Ani.

Je mehr sich die Wirtshäuser von der Tradition entfernen, desto betont bayerischer werden sie, hat der Schriftsteller beobachtet. „Dann gibt es so aufgekratzte Bedienungen im Dirndl – was für eine Show! Wenn das Wirtshaus eine Bühne ist, dann bitte für die Gäste und nicht fürs Personal.“ Richtig „apokalyptisch“, weil pseudo-urig, findet Ani Speisekarten, die auf Bayerisch verfasst sind.

Ausgerechnet im „Hohenwart“ wurde einst ein Film gedreht, der diese Entwicklung vorwegnahm. In Gerhard Polts Satire „Herr Ober!“ von 1991 firmiert das Giesinger Wirtshaus unter dem Namen „Goldener Löffel“. Polt spielt den Kellner und Hobby-Poeten Ernst Held, der mit einem selbst geschriebenen Gedicht (kleiner Auszug: „Zeit plus Zeit ist mehr Zeit / Brot und Zeit ist Brotzeit / Zeit mal Zeit ist Mahlzeit“) zum Star einer bizarren Fernsehshow wird – und den „Goldenen Löffel“ damit bekannt macht. Am Ende übernimmt die Schickeria das Lokal, löffelt avantgardistische Suppen und trinkt Champagner. Held ist darüber so empört und unglücklich, dass er die Besitzerin beschimpft: „Ihr seid’s alle Originalitäts-Darsteller!“

Friedrich Ani hat mittlerweile seinen Wurstsalat bekommen: Regensburger mit frischen Zwiebeln, Gurken und Essig. Es schmeckt ihm. Erstaunlich genug, denn in letzter Zeit hat er oft schlechten Wurstsalat essen müssen, die Zutaten waren von minderer Qualität oder fad. „Der Niedergang des Wurstsalats steht stellvertretend für den Niedergang des Wirtshauses“, sagt er. „Denn das ist eine einfache Speise, bei der man trotzdem viel falsch machen kann.“ Auch einen richtig guten Braten habe er lange nicht mehr gehabt.

Ani ist seit seinem 15. Lebensjahr „Gasthaus-Bewohner“, anfangs in Kochel am See, wo er aufwuchs, später in München. Der Vater stammt aus Syrien, die Mutter aus Schlesien, und so schätzt er die arabische Küche und mehr noch den schlesischen Kartoffelsalat mit Kapern und Ei. „Der ist unfassbar gut und für mich, was die Madeleine bei Proust war. Er versetzt mich in meine Kindheit.“ Der Schriftsteller schreibt jeden Tag diszipliniert vom frühen Morgen bis in den Nachmittag hinein, ehe er am Abend in einem Restaurant oder Wirtshaus einkehrt. Ani ist passionierter Draußen-Esser, und Gasthäuser sind auch in seinen Büchern so präsent wie sonst nur Stüberl, die winzigen und oft etwas düsteren bayerischen Nachbarschaftskneipen. Für Ani sind beide gleichermaßen „Herzausschütt-Hallen“: „Mei, mein Personal hält sich da halt auf. Weil es wärmer ist als daheim, im wörtlichen und im übertragenen Sinn.“

Müssen Anis Figuren sich bald eine neue Bleibe suchen? Für das Wirtshaus sieht der Schriftsteller jedenfalls wenig Hoffnung. Den meisten Leuten würden die Veränderungen offenbar gefallen, und auf die Gasthausbesitzer einzuwirken, das sei ja sinnlos. „Ich weiß nicht“, sagt Friedrich Ani, „ob Sie schon mal mit einem bayerischen Wirt gesprochen haben. Das ist, als würden Sie mit dem Papst reden: Es gibt nur einen Glauben, und damit ist das Thema dann auch erledigt.“

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