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Panorama: Expo 2000: Der älteste Baustoff der Welt wird immer wichtiger

Es duftet wundervoll, es sieht gut aus und es hat eine unvergleichliche Ausstrahlung. Umweltverträglich ist es natürlich auch und es ist vielfältig: mal rau, mal glatt, mal hell, mal dunkel.

Es duftet wundervoll, es sieht gut aus und es hat eine unvergleichliche Ausstrahlung. Umweltverträglich ist es natürlich auch und es ist vielfältig: mal rau, mal glatt, mal hell, mal dunkel. Kurz: es hat Charakter. Wovon die Rede ist? Vom Holz, dem Baustoff der Zukunft. Weder Beton noch Glas, dessen Siegeszug als zeitgemäßes Baumaterial ebenfalls auf einer Weltausstellung begann, nämlich 1851 mit dem Glaspalast von Joseph Paxton, begegnet man auf der Expo in Hannover so häufig wie dem Holz. Naturbelassen gestapelt beim Schweizer Peter Zumthor, verspielt schiffsförmig beim ungarischen Pavillon oder streng kubisch als Kasten bei Finnland oder Norwegen, tritt es in seinen unterschiedlichen Spielarten auf.

Den besonderen Holz-Clou aber bietet das von Thomas Herzog entworfene gewaltige hölzerne Schirmdach, das sich an zentraler Stelle über dem Expo-Gelände wölbt. Wie bei den Meisterwerken der Eisenbaukunst des 19. Jahrhunderts zeigt auch das Hannoveraner Holzdach die Qualität einer technischen Skulptur. Stolze 16 000 Quadratmeter überspannt es, und mit rund 38,6 Millionen Mark war Herzogs Holzschirmdach auch nicht gerade ein Sonderangebot. Doch dafür gehört es zu den technischen und optischen Höhepunkten auf der Expo und versöhnt mit dem ansonsten misslungenen offiziellen Auftritt der deutschen Architektur.

Mit seiner Aufsehen erregenden Dachkonstruktion liefert Herzog jetzt einen weiteren Beweis für die zwei Gesichter des Holzes, denn die modernen Verarbeitungstechniken machen es möglich, dass das traditionelle Baumaterial Holz inzwischen gleichermaßen im low-tech- wie im high-tech-Gewand auftreten kann. Es hat lang gedauert, ehe sich die Holzarchitektur in Deutschland vom Stigma der Arme-Leute-Bauten befreien konnte. Wer den Begriff "Holzhaus" hörte, der dachte unwillkürlich an den spröden Charme einer Blockhütte oder an den Duft von Holzschutzmittel im Schrebergarten-Schuppen.

Parallel zum Aufstieg neuer Baumaterialien wie Eisen und Beton setzte im 19. Jahrhundert der Niedergang der Holzbaukunst ein. Technische Fähigkeiten - etwa im Fachwerkbau oder bei der Fertigung hölzerner Hängekonstruktionen, mit denen es gelang, erstaunliche Weiten zu überspannen - wurden zu Randerscheinungen oder gingen ganz verloren. Eine wundersame Fortschrittsgläubigkeit erhob den Kunststoff zum Fetisch der Alltagskultur und verdrängte am Ende des 20. Jahrhunderts selbst noch die hölzernen Fensterrahmen aus den Häusern zu Gunsten eines konturlosen aber vermeintlich pflegeleichteren Ersatzes aus Kunststoff.

Inzwischen ist dieser Glaube gebrochen, die Vorteile des Baumaterials Holz rücken wieder in den Vordergrund. Holz ist zwar nicht immer die kostengünstigste Variante, doch es ist ein lebendiger Baustoff und ein nachwachsender dazu. So sprechen oft gleichermaßen wirtschaftliche wie ökologische Argumente für die Verwendung von Holz. Doch auch seine lang verschmähte sinnliche Qualität macht das Holz heute wieder zum begehrten Baumaterial.

Die skandinavischen Länder, die über eine ununterbrochene Holzbautradition verfügen, führen derzeit besonders nachhaltig vor, wie qualitätvolle und zeitgemäße Architektur mit Holz aussehen kann. Dankenswerterweise lassen sie auch Berlin ein bisschen an ihrer Holz-Kultur teilhaben. Etwa am Felleshuset auf dem Gelände der Nordischen Botschaften am Tiergarten oder an der Finnischen Botschaft: Im Inneren ein strenger Betonbau, schafft ihre mit Holzlamellen verkleidete Fassade einen aufregenden Kontrast. Die Finnische Botschaft ist ein spannendes Beispiel für die Rolle, die dem Holz im Konzert der Baustoffe zukommt.

Noch sind in Berlin interessante Holzarchitekturen die Ausnahme. Doch immer mehr Architekten und vor allem auch immer mehr Bauherren entdecken bundesweit die Qualitäten des Holzes. So entstehen längst ganze Wohnsiedlungen aus vorgefertigten hölzernen Bauelementen, die kostensparend vor Ort zusammengesetzt werden. Ob Lärche, Ahorn, Kiefer oder Spanplatte, ob Turnhalle, Schule oder Einfamilienhaus: Holz ist für alle und alles da. Die Weltausstellung mit ihrem Holzschirmdach ist der nächste Meilenstein bei der unaufhaltsamen Renaissance des ältesten Baustoffes der Welt.

Jürgen Tietz

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