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Panorama: Expo 2000: Über den deutschen Wahn, alles zu organisieren (Kommentar)

Wir würden ja gerne zur Weltausstellung fahren. Letzte Woche zum Beispiel war das Wetter so schön, da hätte sich die Familie eigentlich gerne spontan auf den Weg.

Wir würden ja gerne zur Weltausstellung fahren. Letzte Woche zum Beispiel war das Wetter so schön, da hätte sich die Familie eigentlich gerne spontan auf den Weg... . Aber wir trauten uns nicht. Wir haben an den strengen Blick von Frau Breuel gedacht und an all das, was uns ihre Expo-Werbung über die Regeln gesagt hat, die von etwaigen Besuchern der Weltausstellung zu beachten seien. Wir hatten sie nicht mehr im Kopf, alle die Regeln, und haben deshalb gekniffen. Wer blamiert sich schon gerne? Denn, gehorsam, wie wir Deutschen sind, haben wir uns trotz aller Vergesslichkeit gemerkt: auf keinen Fall mit dem Auto kommen (kein Parkplatz), nicht einfach in irgendeinen x-beliebigen Zug setzen (Spezialreservierung zwingend geboten).

Die Expo selbst ist zwar ein Produkt der Marktwirtschaft, das sich selbst finanziert - na ja, fast selbst finanziert - aber wer wann dahin darf, das ist Kontigentpolitik. Das haben wir begriffen. Das muss geplant werden wie einstmals Kraft durch Freude oder eine Seereise mit der "Völkerfreundschaft". Jeder kommt mal hin, vorausgesetzt, er will nicht etwa selbst entscheiden, wann. Denn wann wer darf, das bestimmen die Besuchsverlaufsanalyse und die computergestützte Besucherbedarfsplanung. Planerisch talentiert, bürokratisch straff durchorganisiert, wie die deutsche Verwaltung nun mal ist, hat sie rund um die Expo ein fast perfektes Besuchssystem geschaffen, das nur einen winzig-kleinen Haken hat: Die Deutschen halten sich nicht dran. Sie haben sich, flatterhafte Spaßgesellschaft, die sie inzwischen geworden sind, überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob und wann sie nach Hannover fahren wollen.

Da also kaum jemand Lust hat, seinen eintägigen Expo-Besuch zu planen wie eine mehrwöchige Ferienreise, ist das Gelände in Hannover meistens ziemlich leer. Die Züge dorthin auch, die für die nicht vorhandenen Expobesucher zumindest. Und leer sind auch die Parkplätze. Das alles ist nicht gut für die Expo, aber sehr schön für die Leute, die jetzt wirklich hingehen.

Von Anfang an war nämlich klar, dass nur eines dieser wunderbaren Weltausstellung wirklich gefährlich werden könnte: ein zu großer Erfolg. Die meisten Pavillons lassen sich in ihrem teils geheimnisvollen, teils wirklich überwältigendem Innenleben nur in einer gewissen Ruhe genießen. Das ist eine Schau der Stille, auf der man Staunen darf. Staunen und Gegröhle, Faszination und Masse, das passt nicht zusammen.

Und dann wäre da noch das Geld. Anders als die Fahrt auf der "Völkerfreundschaft" ist ein Familien-Expo-Besuch mit Anreise extrem teuer. Die Angst vor dem Loch im Portemonnaie ist jedoch fast noch größer als die Angst vor dem strengen Blick von Frau Breuel. Es wird also nicht reichen, wenn sie uns künftig milde anlächelt. Jemand wird sie über die Einkommenssituation der Normalbürger in diesem Land aufklären müssen. Dem billigen Abend- muss das günstige Tagesticket folgen.

Gerd Appenzeller

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