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Panorama: Frühlingsgefühle: Ein explosiver Hormon-Cocktail

Endlich - der Frühling hat begonnen. Am ersten März bereits meteorologisch, am Dienstag jetzt auch kalendarisch.

Endlich - der Frühling hat begonnen. Am ersten März bereits meteorologisch, am Dienstag jetzt auch kalendarisch. Einziger Haken: Das Wetter hält sich nicht daran. Doch auch dieser Winter wird mal ein Ende haben. Dann wird es wieder wärmer, die Kleidung wird luftiger, und bei so manchem spielen die Hormone verrückt: Vertreter des anderen Geschlechts erscheinen plötzlich weit attraktiver, als noch wenige Wochen zuvor. Doch was Romantiker und Normalsterbliche als Frühlingsgefühle bezeichnen, ist für Biologen nichts weiter als ein ganz unromantischer hormoneller Prozess.

Das Wichtigste für den hochprozentigen Hormon-Cocktail: das Licht. Dass "Lethargiker in das Licht gelegt und den Strahlen der Sonne exponiert werden" sollten, empfahl schon vor 2200 Jahren der griechische Arzt Aretaeus. Alle seine Gedichte seien im Frühjahr und Sommer entstanden, im Winter habe er nicht dichten können, bekannte der englische Lyriker John Milton (1608-1674). Und der Psychologe Jürgen Zulley, der das schlafmedizinische Zentrum der Uni Regensburg leitet und sich seit Jahren mit der "inneren Uhr" des Menschen beschäftigt, stellt passend dazu auch aus wissenschaftlicher Sicht fest: "Jahreszeiten spiegeln sich in der Stimmung des Menschen: In Gegenden mit deutlich unterscheidbaren Jahreszeiten sind die Menschen im Herbst und Winter nervöser als im Frühjahr und Sommer." Im Winter essen und schlafen wir im Durchschnitt mehr als im Sommer, wir haben einen etwas höheren Blutzuckerspiegel, auch Puls und Blutdruck sind etwas höher, mehr Menschen sterben an Krankheiten von Herz und Kreislauf.

Besonders heftig sind Menschen von den saisonalen Unterschieden betroffen, die in eine Winterdepression verfallen: Sie schlafen sehr viel, nehmen deutlich an Gewicht zu und schleppen sich oft antriebsarm durch das Winterdunkel. Auf Englisch heißt die Krankheit Seasonal Affective Disorder - und trägt die für sich sprechende Abkürzung SAD. Tröstlich in diesen noch allzu kühlen Tagen: Durch die Sommerzeit haben wir sozusagen eine Stunde des auf Dauer Glück versprechenden Lichts gewonnen.

Da die Strahlen des Himmelskörpers in nördlichen Breiten im Winter nicht unbegrenzt umsonst und draußen zu haben sind, wird Licht mittlerweile gezielt in Form der Lichttherapie eingesetzt. Die Patienten verbringen dafür täglich etwa 40 Minuten vor Speziallampen mit Lichtstärken bis zu 10 000 Lux. Das ist bis zu hundertmal mehr Licht, als die Lampe im Büro oder zu Hause ihnen bietet. In der finnischen Hauptstadt Helsinki gibt es mittlerweile schon Cafés, die mit Lichttherapiegeräten bestückt sind. Mit einem hellen Sommermittag können die Lampen natürlich nicht mithalten: Da bringt es das Sonnenlicht, Zulleys Messungen zufolge, hier zu Lande leicht auf 100 000 Lux.

Was bewirkt das Licht der Sonne im Körper? Auch wer nicht von SAD gebeutelt ist, kann nicht ganz darauf verzichten: Ohne UV-Strahlen kann der Körper kein Vitamin D bilden, das für die Gesundheit der Knochen wichtig ist. Wenn die Chronobiologen heute über Licht und Lebensrhythmus sprechen, fällt außerdem schnell der Name Melatonin. Das Hormon wurde in den letzten Jahren vor allem als vermeintliches Wundermittel gegen den Jet-lag des Langstreckenfliegers bekannt, denn es wird nachts vermehrt ausgeschüttet. Doch seine Konzentration schwankt nicht nur mit der Tageszeit, sondern auch im Wechsel der Jahreszeiten.

Tatsächlich zirkuliert um so weniger Melatonin im Blut, je länger es draußen hell ist. Das wiederum hat Einfluss auf Botenstoffe in unserem Gehirn, die mit Hilfe der Nervenzellen Informationen weitergeben. Die Konzentration von Endorphinen zum Beispiel, die gern als körpereigene Glücksstoffe bezeichnet werden, steigt an, wenn die Melatoninproduktion sinkt.

Wichtig für die Frühlingsgefühle: Melatonin hemmt geschlechtliche Prozesse. Daher nimmt die sexuelle Erregbarkeit bei sinkender Melatonin-Konzentration zu. Damit steigt mit kürzer werdenden Nächten die Bereitschaft, sich durch das andere Geschlecht beeindrucken zu lassen.

Auch eine wissenschaftliche Studie aus Israel hat dies vor kurzem bestätigt: Wenn nicht die Pille als verfälschender Faktor ins Spiel kommt, kommen im Winter deutlich mehr Kinder auf die Welt als in den anderen Jahreszeiten.

Auch Serotonin, ein weiterer Neurotransmitter, der die Gemütsverfassung des Menschen beeinflusst, wird bei intensiver Lichteinstrahlung vermehrt produziert. Während die fehlende Serotonin-Produktion in den Wintermonaten so manchen verzweifelt zur Schokolade greifen lässt, kurbelt die vermehrte Lichteinstrahlung die Produktion des Glücksstoffes an.

Mehr Licht kann auch als gutes Mittel gelten, um den gefürchteten Jet-lag nach der Überschreitung mehrerer Zeitzonen zu überwinden. Zulleys Tipp für Frühlings-Fernreisende: "Halten Sie sich so lange wie möglich im Freien auf, damit das Tageslicht als Zeitgeber wirken kann." Damit das auch im Winter funktioniert, haben einige amerikanische Hotels in Flughafennähe ihre Zimmer schon nach finnischem Vorbild mit Lichttherapie-Geräten ausstaffiert.

Adelheid Müller-Lissner

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