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Gegenaktion: "In Köln war der Teufel los"

Kirchenaustrittspartys, Enttaufungszeremonien, Fastenfisch «Judas» auf der Speisekarte und «Heilandart Oblate»: Nicht alle Kölner sind mit der Mammutveranstaltung Weltjugendtag (WJT) und dem Besuch von Papst Benedikt XVI. glücklich.

Köln (19.08.2005, 14:43 Uhr) - Viele Berufspendler kommen nur mit großen Mühen zu ihren Arbeitsplätzen. Der Grund: Die U-Bahnen sind mit den Pilgern völlig überfüllt, Straßen während des Besuchs des Pontifex gesperrt. «Hier herrscht echt Pilgeralarm», sagt eine Pendlerin am Kölner Hauptbahnhof. Kritik kommt auch von Hartmut Schwarz vom Ketzerkollektiv, ein Bündnis aus Gruppen, das sich eigens zum WJT als Protestbewegung gegründete.

«Wir wollten diese Großereignis nicht unkommentiert über uns ergehen lassen», begründet Schwarz die Existenz der Gruppe. «Prinzipell ist es schön, wenn Menschen aus aller Welt zusammenkommen, um friedlich zu feiern, ordentlich Messwein zu schütten und dann nachts im Massenschlafsaal herzhaft miteinander zu pilgern - ein Riesenschulausflug eben», sagt Schwarz. Was ihn aber störe, sei die «Instrumentalisierung dieses Bedürfnisses durch die katholische Kirche», die «autoritär, frauenfeindlich, homophob und intolerant gegenüber anderen Glaubensrichtungen» sei.

Deshalb sagt Schwarz: «Sündigen! Dem Himmel kündigen! Kirchenaustritt jetzt!» und zwar kurz vor seinem eigenen Austritt am Amtsgericht. Auch kritisiert das Kollektiv die Haltung der Kirche, keine Kondome zu empfehlen. Dies komme einer «wissentlichen Duldung des Todes Hunderttausender gleich», heißt es beim Kollektiv, deren Mitglieder T-Shirt tragen mit Aufdrucken wie «Religion ist heilbar» oder «Hassprediger Meisner - Abschiebung in den Vatikan sofort!».

Bei den Kirchenaustretern werden Oblaten mit einem Inklusivangebot für 2,5 Cent verkauft. Es umfasst: «Einen "immer währenden General- Atlass", die sofortige Vergebung aller bisherigen und zukünftigen Sünden und als WJT-Special: 10 Sammelpunkte für allseits beliebte Erscheinungen». Auch Corinna aus Erftstadt kauft eine und kritisiert: «In einem modernen Land ist Staat und Kirche getrennt. Doch die katholische Kirche nimmt sich immer wieder Sonderrechte raus - und zwar auf Kosten des Steuerzahlers», sagt sie mit Blick darauf, dass der WJT auch mit öffentlichen Geldern unterstützt wird.

Viele Parks der Domstadt sind voll mit Jugendlichen aus aller Welt, die klatschen, trommeln und singen - manchmal auch die Nacht durch. «Schlafen kann man nicht», sagt ein Park-Anwohner. Deshalb rührt sich in der Nähe der Anlage bei den sonst recht liberalen Kölnern Widerstand auf humorvolle Art. In einem Szenelokal steht eine nicht ganz ernst gemeinte «Enttaufungszeremonie» auf dem Programm. «Der Papst kam und in Köln ist der Teufel los», sagt ein Kneipengast. Andere fragen in die Runde: «Betest Du noch, oder lebst Du schon?»

Pünktlich zum Papstbesuch haben Kneipen auch neue Speisen- und Getränkekarten aus der Taufe gehoben: Etwa «Kaffee Konklave». Die Karte mit dem Benedikt XVI.-Konterfei bietet Kaffee aromatisiert mit Zimt, Schokolade oder Mandel. Aufpreis: 30 Cent. Hungrige können wählen zwischen einer «Oblaten-Lasagne» oder Fastenfisch «Judas».

Die Organisation «Religionsfreie Zone» will zum WJT zudem eine Gegenöffentlichkeit: «Wir wollen zeigen, dass nicht ganz Deutschland christlich geprägt ist. Mittlerweile gibt es bundesweit mehr Konfessionslose als Katholiken», sagt der Sprecher des «Heidenspaß- Komitees» Michael Schmidt-Salomon. Deshalb das Motto: «Heidenspaß statt Höllenqualen». Das Komitee schickt auch seinen Motivwagen los - einen lächelnden purpurnen Saurier mit Mitra aus Papp-Karton. (tso)

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