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Gesundheit: 125 Jahre deutsche Ausgrabungen in Olympia: Diplomatisches Ringen um Olympia

125 Jahren deutsche Ausgrabung in Olympia - ist das ein Friedenswerk oder eine Geste imperialistischer Machtpolitik, Dienst an der Wissenschaft oder Demütigung einer jungen Nation? Für Thanassis Kalpaxis, Professor für Klassische Archäologie an der Universität von Kreta und Direktor des Instituts für Mittelmeerstudien, ist es auf jeden Fall ein Höhepunkt der Archäologie.

125 Jahren deutsche Ausgrabung in Olympia - ist das ein Friedenswerk oder eine Geste imperialistischer Machtpolitik, Dienst an der Wissenschaft oder Demütigung einer jungen Nation? Für Thanassis Kalpaxis, Professor für Klassische Archäologie an der Universität von Kreta und Direktor des Instituts für Mittelmeerstudien, ist es auf jeden Fall ein Höhepunkt der Archäologie.

Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) beging diesen Jahrestag - der erste Spatenstich auf dem Boden des Zeus-Heiligtums auf der Peloponnes erfolgte am 3. Oktober 1875 - jetzt fünf Wochen später mit einem wissenschaftlichen Symposion in Berlin. Griechenland gedachte dieses Jubiläums nicht. "Weshalb?", fragte Kalpaxis. "Weil, weitestgehend unbeabsichtigte und auch nicht nur von einer Seite, Regeln verletzt worden sind, die nach neugriechischen Vorstellungen den Umgang mit der griechischen Antike bestimmen sollten". Der Grieche vermittelte damit den Archäologen "mit einem Schlag ein anderes Bild über die Entstehung des Vertrages". Der Präsident des DAI, Helmut Kyrieleis, kam nicht umhin, das bewegt festzustellen.

Kalpaxis betonte, Voraussetzung für eine künftige gemeinsame Feier sei, dass man die Umstände, die zu dieser Grabung geführt haben, als geschichtlichen Vorgang und nicht als nationalen Erfolg oder Misserfolg begreife. Aus deutschen Darstellungen von diesem Vertragsabschluss könne man den Eindruck gewinnen, in Griechenland habe es im 19. Jahrhundert, bis auf den dort herrschenden König, weder eine ernstzunehmende Autorität noch Strukturen gegeben, "welche ihm die Eigenschaft eines souveränen Staates zu verleihen in der Lage wären". Vor allem außenpolitische Schwierigkeiten des jungen Staates veranlassten die griechischen Regierungen zu Konzessionen gegenüber den Großmächten. Die Antike wurde zum Instrument der Politik.

So habe der griechische Ministerpräsident Kapodistrias - um sich Frankreich gewogen zu machen - 1829 die gerade zwei Jahre alte Verfassung, in der die Ausfuhr von Fundstücken aus der Antike verboten war, ändern lassen: Paris hatte Anspruch auf die Olympia-Funde erhoben, die eine wissenschaftliche Expedition, die in napoleonischer Manier den französischen Befreiungstruppen gefolgt war, sich angeeignet hatte. Und Kapodistrias brauchte die Unterstützung Frankreichs, damit sein Land ein größeres Territorium bekam und nicht "ein nicht lebensfähiger Zwergstaat blieb", wie es die Engländer wollten. Also wanderten die Funde aus dem von den Franzosen freigelegten Zeustempel in den Louvre.

Nach diesen Erfahrungen erließen die griechischen Behörden Maßnahmen zum Schutz der Antiken: Die Ebene von Elis, in der Olympia liegt, wurde unter Denkmalschutz (nach heutigen Begriffen) gestellt. Im ersten Jahrzehnt nach der Befreiung des Landes von der türkischen Besetzung hatte der junge, nach Identität suchende griechische Staat ein Bewusstsein entwickelt, das ihn verpflichtete, die materielle Hinterlassenschaft der Antike zu schützen. Mangel an Fachkräften, an Geld, diese zu bezahlen, führten dazu, dass diese hohen Ansprüche nicht verwirklicht werden konnten. Der 1873 vom Deutschen Reich gestellte Antrag auf Ausgrabung in Olympia nutzte diese Lücke: Zwar war es günstig, mit dem starken Deutschland zu kooperieren, von dem man sich Hilfe gegen den Expansionsdrang der Südslawen erhoffte, besonders heikel war es aber, dass es Olympia betraf, worauf Frankreich seit 1829 ebenfalls Ausgrabungs-Ansprüche erhob. Frankreich wurde später mit Delphi "entschädigt", betonte Kalpaxis.

Die griechische Regierung setzte sich gegenüber den Archäologen durch. Regeln, die man als unumstößlich angesehen hatte, wurden außer Kraft gesetzt. Die griechischen Archäologen empfanden das Ergebnis als Niederlage. In Olympia fuhren die deutschen Archäologen - und fahren sie heute noch - reiche wissenschaftliche Ernte ein, die aber den Politikern in Berlin, vor allem den geldgebenden, zu wenig spektakulär war: Die Funde blieben in Griechenland. Darunter befinden sich Tausende von Kleinbronzen in diesem Hauptfundort der Kunst des geometrischen Stils. Sie machten - wenn auch von hoher künstlerischen Bedeutung - längst nicht so viel her wie zum Beispiel die großen und vor allem originalen Reliefplatten des Pergamonaltars, die in Berlin ausgestellt wurden.

Deren Wert war wirklich sichtbar und sie waren vom Osmanischen Reich für weniger Geld gekauft worden, als es die Summe der Olympia-Gelder ausmachte. Wie der Wissenschaftshistoriker Rüdiger vom Bruch (Humboldt-Universität) berichtete, monierte der Kölner Zentrumsabgeordnete August Reichsperger im Reichstag, als es im März 1878 um die Bewilligung der vierten Olympia-Rate von 150 000 Mark ging, das "herzlich schlechte Geschäft in dieser Sache" "... alle Ausgaben werden vom Deutschen Reich bestritten, während die ausgegrabenen Originale, die zum Theil von sehr großem Geldwerth sein mögen, alle nach Athen ins dortige Museum wandern".

Weniger bei den Parteien als beim Reichskanzler Bismarck konstatiert vom Bruch Widerstände gegen Olympia. Als 1880 die Grabungsleiter Curtius und Adler um einen Ergänzungsbetrag für abschließende Arbeiten in Olympia baten, meinte der Kanzler, dass die Ausgrabungen von Olympia, "auf Grund eines für Deutschland äußerst ungünstigen Vertrages lediglich im Dienste der Wissenschaft unternommen", genügend weit fortgeschritten seien. Doch da interveniert der Kaiser. Wilhelm I. bewilligt 80 000 Mark aus seinem Dispositionsfonds.

Bereits sein Bruder, der kunstsinnige Friedrich Wilhelm IV., hatte sich für Olympia begeistert. Nach dem berühmten Olympia-Vortrag, den der Historiker und Archäologe Ernst Curtius 1852 in der Berliner Singakademie hielt, in dem er erstmals das Grabungsprojekt als "sein" Grabungsprojekt vorstellte, initiierte der Monarch spontan eine Sammlung - mit magerem Ergebnis. Curtius, der erste Grabungsleiter in Olympia, hatte enge Beziehungen zum königlichen Hause. Er war Erzieher des späteren Kaisers Friedrich III., der 1869 als preußischer Kronprinz mit dem griechischem König über Olympia gesprochen hatte.

Er hatte, so vom Bruch, "den Boden für jenen Vertrag mit Griechenland vorbereitet, den Curtius entwarf und der zeitgleich mit der Übernahme des Archäologischen Instituts durch das Reich ohne jegliche Diskussion den Reichstag passierte". Ihm wird der wissenschaftliche Idealismus zugesprochen, auf die Funde von Olympia verzichtet zu haben. Nicht eine möglichst große Zahl von Gegenständen fürs Museum zu finden war das Ziel, sondern die Denkmälergruppen sollten so erforscht werden, dass die hellenischen Bauanlagen als Ganzes anschaulich gemacht werden.

Die Deutschen wandten sich neuen Methoden zu. Die Fotografie wurde neben der Zeichnung für die Dokumentation der Funde benutzt. Die Stratigraphie, die Beachtung geologischer Erdschichten bei der Bestimmung des Fundalters, gehörte von Anfang zur Olympiagrabung. Dennoch liegen die Anfänge des Kultes und damit der Spiele nach wie vor im Dunklen. Bei Grabungen der letzten Jahre kamen Funde aus dem 11. Jahrhundert vor Christus zutage, die Verbindungen zur Mykenischen Kultur aufweisen.

Wolfgang Lehmann

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