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Gesundheit: 5000 Jahre Tradition

Wer in China investieren will, sollte die rechtlichen Eigenarten dort kennen

Bürotürme ragen in den Himmel, in der Rushhour drängeln sich Autos durch die Straßen und anschließend beginnt das bunte Treiben der nächtlichen Glitzerwelt. Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Leben in Shanghai kaum noch von dem in westlichen Megastädten. Längst hat sich die Hafenstadt im Südosten Chinas zu einer pulsierenden Wirtschaftsmetropole entwickelt – und im Reich der Mitte ist sie längst nicht die einzige.

Der chinesische Wirtschaftsmotor brummt. Bereits im Jahr 2003 wies die Volksrepublik China nach den USA, der EU und Japan das viertgrößte Bruttoinlandsprodukt aus. Dank seiner seit den achtziger Jahren betriebenen Öffnungspolitik ist China zu einer der wichtigsten Welthandels- und Kapitalimportnationen aufgestiegen. Mit der Shenzhen und der Shanghai Stock Exchange entstanden Börsen, an denen derzeit mehr als 1200 chinesische Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von rund 500 Milliarden US-Dollar notiert sind. Da ist es kein Wunder, dass es immer mehr ausländische Investoren in den fernen Osten lockt. Doch vorschnell sollten sie nicht sein. Trotz vieler Annäherungen gibt es immer noch historisch gewachsene Unterschiede – vor allem im Rechtssystem.

Insbesondere der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO führte im Jahr 2001 zu einschneidenden Gesetzesreformen in den Bereichen Handel, Dienstleistungen, Schutz geistigen Eigentums und Kapitalmarktrecht. Diese Reformen gingen zum Teil sogar über die Verpflichtungen aus dem Beitrittsprotokoll zur WTO hinaus. Der Zollabbau und die Öffnung von Schlüsselmärkten, zum Beispiel in der Automobilindustrie und im Bereich der Telekommunikation, führten zu einem massiven Anstieg des Außenhandelsvolumens.

Trotz seiner weitgehenden Liberalisierung weist das chinesische Gesellschaftsrecht allerdings noch immer erhebliche Abweichungen von dem westlicher Industrienationen auf. Wie bisher kann ein ausländischer Investor beispielsweise nicht beliebig zwischen den zur Verfügung stehenden Unternehmensformen wählen. Noch immer gibt es Gesellschaftsformen, die allein dem Staat oder chinesischen Staatsangehörigen vorbehalten sind.

Daneben gibt es aber neuerdings auch eine ganze Reihe von Unternehmensformen, an denen ausländische Investoren allein oder zusammen mit chinesischen Staatsangehörigen oder einem inländischen Unternehmen Geschäftsanteile erwerben können. Den größten Gestaltungsspielraum bietet dabei wohl die WFOE (Wholly Foreign Owned Enterprise), eine Kapitalgesellschaft, die in etwa mit der deutschen GmbH vergleichbar ist. Ausländische Investoren dürfen derzeit nicht als Einzelkaufmann firmieren.

Ausgangspunkt für den wirtschaftlichen Reformprozess in der Volksrepublik China war die Machtergreifung Deng Xiaopings im Jahr 1978. Er erkannte die Notwendigkeit, das landwirtschaftlich geprägte China industriell umzuformen und Bildung, Wissenschaft und Technik zu fördern. Seit den neunziger Jahren ist die Regierung zusätzlich bestrebt, das Land vom reinen Produktionsstandort zu einem modernen Finanzplatz weiterzuentwickeln.

Im Jahre 1999 ist das Vertragsgesetz als das mit seinen 428 Paragraphen bislang umfangreichste Regelungswerk der Volksrepublik China in Kraft getreten. Es schaffte erstmals eine gesetzliche Grundlage für vertragsrechtliche Beziehungen zwischen sämtlichen Rechtssubjekten unabhängig von ihrer Rechtsform oder ihrer Staatsangehörigkeit. Das Vertragsgesetz folgt in weiten Teilen kontinental-europäischen beziehungsweise deutschen Vorlagen und wurde maßgeblich an den vereinheitlichten Vorschriften des UN-Kaufrechts orientiert. Somit bietet es ausländischen Investoren eine nicht unbekannte Rechtsgrundlage.

Allerdings ist bei der Heranziehung des Vertragsgesetzes Vorsicht angebracht. Hinsichtlich seiner Systematik und seiner Begrifflichkeit hat es sicher kontinental-europäisches Zivilrecht rezipiert. Westliche Investoren müssen sich bei der Anwendung des Vertragsgesetzes allerdings der Tatsache bewusst sein, dass die Übernahme des westlichen Vertragsrechts in die chinesische Rechtsordnung für die dortigen Rechtsanwender zu einem Bruch mit einer über fünftausendjährigen Rechtstradition geführt hat: In China hat vor Beginn des 20. Jahrhunderts ein staatlich gesetztes Zivilrecht gefehlt. Zudem war das maßgeblich von Konfuzius beeinflusste Rechtsverständnis nicht wie in Europa durch den Rationalismus der Aufklärung geprägt. Nach 1949 fand eine geordnete Rechtsentwicklung aufgrund der marxistisch ausgerichteten Gewaltherrschaft überhaupt nicht mehr statt. Die sich seit rund 20 Jahren vollziehende Hinwendung der chinesischen Legislative zu den Standards des kontinental-europäischen Zivil- und Wirtschaftsrechts verfügt demnach kaum über ein Fundament in der chinesischen Rechtsanwendung.

Damit ist es einerseits fraglich, ob sich ein ausländischer Investor nach erfolgreichem Vertragsschluss darauf verlassen kann, dass sein chinesischer Vertragspartner die Bedeutung der vereinbarten Regelungen auch richtig einzuordnen weiß und sich entsprechend der getroffenen Vereinbarungen „vertragstreu“ verhält. Zum anderen besteht sicher noch über einen langen Zeitraum eine nicht zu unterschätzende Unsicherheit, ob der Investor im Falle einer wesentlichen Vertragsverletzung durch seinen Vertragspartner wie gewohnt rechtliches Gehör findet und seine Ansprüche auch gerichtlich durchsetzen kann.

Bei Vertragsabschlüssen mit chinesischen Unternehmen sollten ausländische Investoren deshalb den zu schließenden Vertrag einer ihnen bekannten Rechtsordnung unterstellen. Für etwaige Rechtsstreitigkeiten sollten sie eine Schiedsgerichtsvereinbarung treffen und einen Gerichtsstand am Ort ihrer Niederlassung oder in einem ihnen vertrauten Drittland vereinbaren. Aus der Ferne betrachtet mag sich die Silhouette von Shanghai von der in New York kaum noch unterscheiden. Aus der Nähe betrachtet, gehört ihr Fundament aber immer noch einem weithin unbekannten Rechts- und Kulturkreis an.

Der Autor ist promovierter Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Berlin-Mitte und New York City mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Internationales Vertragsrecht (www.anwaltskanzlei-rodegra.de).

Jürgen Rodegra

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