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Gesundheit: Alle vier Standorte der Charité erhalten

Die Universitätsmedizin muss jetzt zeigen, dass sie intelligent sparen kann Von Thomas Flierl

Es mag an der starken Repräsentanz Norddeutscher im Vorstand der Charité liegen, dass die Situation am größten europäischen Universitätsklinikum oft mit maritimen Bildern beschrieben wird. Von Leuchttürmen ist die Rede oder von schwerer See. Die schwierige Berliner Ausgangssituation der Universitätsmedizin ist allen Beteiligten bewusst. Aber wer erinnert sich noch daran, dass 2001 das Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Steglitz geschlossen werden sollte? Expertinnen und Experten haben schlüssig dargelegt, dass die erforderliche Einsparsumme von 98 Millionen Euro auch erbracht werden kann, indem die Berliner Universitätsmedizin unter dem traditionsreichen Namen Charité zu einer modernen und leistungsfähigen Wissenschafts und Gesundheitseinrichtung fusioniert, ohne dass einer der Kernstandorte in Mitte, Steglitz, Wedding und Buch aufgegeben werden muss.

Was ist davon bisher erreicht? Was ist über den Kurs zu sagen, über Mannschaft, Kapitän und auch die Reederei, um beim maritimen Bild zu bleiben?

Zunächst einmal und bei aller berechtigten und unberechtigten Kritik an Reederei und Besatzung: Für die schwere See sind beide nicht verantwortlich. Die finanzielle Herausforderung, vor der die Charité bis 2010 steht, wird inzwischen auf über 240 Millionen Euro beziffert. Dass sich die Charité in einer derart prekären Lage befindet, liegt vor allem an einer veränderten Krankenhausfinanzierung, die der Bundesgesetzgeber beschlossen hat. Die Einführung diagnose-orientierter Fallpauschalen (DRGs) anstelle von Tages- oder Pflegesätzen hat die Bedingungen für die Hochschulmedizin grundlegend verändert. Aufgrund des hohen Anteils schwerstkranker und lang liegender Patienten sind die Universitätsklinika gegenüber anderen Krankenhäusern strukturell benachteiligt und erhalten nicht die Erlöse, die ihren Aufwendungen entsprechen.

Lediglich ein Viertel der genannten Summe, 65 Millionen Euro, ist auf die Reduzierung des Landeszuschusses für Forschung und Lehre zurückzuführen, da ein Teil der beschlossenen Absenkung um 98 Millionen Euro schon als erbracht gilt. Sicher: Der Berliner Senat musste auch die Hochschulmedizin in die Pflicht nehmen, einen Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushalts zu leisten.

Doch selbst wenn mehr Geld zur Verfügung stünde: Der Reeder, sprich das Land Berlin, könnte schon aus rechtlichen Gründen mit seinem Zuschuss für Forschung und Lehre die Risiken der neuen Krankenhausfinanzierung nicht auffangen. Besatzung und Passagiere dürfen jedoch von ihm erwarten, solche Rahmenbedingungen zu schaffen, die auch bei schwerer See sichere Fahrt ermöglichen. Das ist geschehen. Die Hochschulverträge sind unterschrieben. Der Landeszuschuss für die Hochschulmedizin steht fest, einschließlich der Investitionen, mit insgesamt 1,175 Milliarden Euro für die Jahre 2006 bis 2010, und garantiert so eine weit reichende Planungssicherheit. Das von den Regierungsfraktionen in dieser Woche beschlossene Universitätsmedizingesetz wird die Reorganisation der Charité durch Bildung von Zentren ermöglichen und die Partizipation der Beschäftigten und Studierenden stärken. Exzellenz und Leistungsfähigkeit der Charité können unter diesen Bedingungen, die einen Vergleich mit der Förderung der Universitätsmedizin anderer Länder nicht zu scheuen brauchen, gesichert und weiter ausgebaut werden.

Für den richtigen Kurs, also die Erneuerung der Charité, sind vor allem Kapitän und Mannschaft verantwortlich. Eckstein dafür ist jetzt vor allem ein Tarifvertrag. Der Warnstreik der Ärztinnen und Ärzte hat gezeigt, dass sich die Berliner Universitätsmedizin auf Dauer mit einem tariflosen Zustand nicht abfinden darf. Drohende Arbeitskämpfe und unkalkulierbare Personalkostenbudgets wären die Folge – beides kann sich die Charité nicht leisten. Die Ärztinnen und Ärzte haben ebenso wie alle anderen Beschäftigten Anspruch auf eine verlässliche und berechenbare Regelung ihrer Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.

Ein Tarifabschluss, der allen Beschäftigten Sicherheit gibt und der Charité eine zentrale Grundlage für die dringend erforderliche Sanierung schafft, sollte das gemeinsame Ziel von Charité-Vorstand und Gewerkschaften sein. Erfolgreich werden die Bemühungen der Tarifpartner dann sein, wenn sie sich an der Berliner Tarifpolitik orientieren, die den Interessen der Beschäftigten und der Haushaltsnotlage des Landes Rechnung trägt. Die Eckpunkte dieses Modells sind bekannt: Beschäftigungssicherung, gestaffelter Lohnverzicht, ein entsprechender Freizeitausgleich und ein Maximum an sozialer Symmetrie. Stichwort hier: außertarifliche Bezahlung von Führungskräften und Nebeneinkünfte von Chefärzten.

Parallel dazu hat der Reeder in Gestalt des Aufsichtsrates Kapitän und Vorstand aufgefordert, sein im Frühjahr 2005 vorgelegtes Unternehmenskonzept für die Charité weiterzuentwickeln und an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. In der bisherigen Diskussion haben vor allem Standortfragen eine herausragende Rolle gespielt. Diese besitzen gerade vor dem Hintergrund der geteilten Vergangenheit der Stadt eine große Symbolkraft. Der Vorstand hat sein Konzept darauf abgestellt, alle vier Hauptstandorte zu erhalten. Ich unterstütze diese Entscheidung ausdrücklich. Sie wird aber nur dann dauerhaft Bestand haben können, wenn schlüssige Betriebskonzepte für Standorte und Zentren vorgelegt werden. Konzepte, die den Nachweis erbringen, dass die Einsparsumme der ursprünglich erwogenen Schließung eines Standorts viel intelligenter durch die effiziente Verdichtung und Reorganisation von vier Standorten erbracht werden kann.

In über 80 Teilprojekten, die nahezu alle Strukturen und Standorte betreffen, arbeiten Vorstand, Management und Berater derzeit an dieser Aufgabe. Vieles ist initiiert, aber der eigentliche Umbau hat erst begonnen. Das Konzept ist schlüssig, aber der Beweis für Effektivität und Effizienz der neuen Strukturen muss erst noch erbracht werden. In dieser Phase ist Transparenz und die Einbeziehung der Betroffenen ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Die Charité braucht ein Beteiligungskonzept, das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit zu Eigenverantwortung und Initiative eröffnet. So könnte am Ende die überraschende Erkenntnis stehen, dass das erforderliche Quantum an Personalabbau und Flächenreduzierung, für das ursprünglich ein ganzer Standort geschlossen werden sollte, mit vier Standorten zu bewältigen ist – bei maximalen Synergieeffekten für eine nachhaltige Vernetzung der Universitätsmedizin mit dem Berliner Wissenschafts- und Gesundheitssystem.

Eine erneuerte Charité kann dann als wissenschaftsgeleitetes Zentrum der Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg die Funktion eines Leuchtturms übernehmen und als solcher überregionale und internationale Anziehungskraft entwickeln. Wenn diese Herausforderung von allen Beteiligten als Chance begriffen und verinnerlicht wird, dürfte das Bild von der schweren See bald verblassen.

Der Autor ist Senator für Kultur, Wissenschaft und Forschung in Berlin.

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