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© ddp

Amputation: Für immer verloren

Komplikation während einer Routine-OP in der Charité: Die Ärzte amputieren einer Patientin ein Bein. Wie man sich vor einem Eingriff über Risiken informieren und danach auch Hilfe finden kann

Es ist wahrscheinlich der Albtraum jedes Patienten: Nach einer Operation aus der Narkose aufzuwachen und zu entdecken, dass ein Körperteil amputiert wurde. Genau das ist jetzt in einer Charité-Klinik einer Patientin passiert, bei der ein Unterleibseingriff vorgenommen wurde. Nach der OP fehlte eines ihrer Beine vom Knie abwärts. Grund für das dramatische Geschehen sei eine „sehr seltene“ Komplikation während der Operation gewesen, so die Charité. Die Beine der Patientin, einer Mutter in den Dreißigern, waren höher gelagert worden, in der sogenannten Steinschnittstellung. Am Schluss des Eingriffs wurde festgestellt, dass ein Bein infolge einer schweren Durchblutungsstörung weiß aussah. Als Ursache wurde das sogenannte Kompartment-Syndrom ausgemacht, bei dem das Gewebe der Haut durch erhöhten Druck irreversibel geschädigt wird und sogar absterben kann.

In der Klinik ist man bestürzt. „Da hält jeder die Luft an und wünscht sich, dass es anders gekommen wäre“, ist zu hören. Die Amputation sei eine der schlimmsten denkbaren Komplikationen bei einem solchen Eingriff. Sie sei zwar möglich, allerdings eher bei älteren Personen mit einem anderen Krankheitsbild, zum Beispiel Diabetes. Bei der vorliegenden Erkrankung und dem Alter der Patientin sei ein Kompartment-Syndrom „nicht üblich“. An solch einen dramatischen Ausgang in einem ähnlichen Fall kann sich im Krankenhaus niemand erinnern.

Das verwundert nicht, denn das Kompartment-Syndrom ist statistisch gesehen ungemein selten. Bei der Techniker-Krankenkasse wurde es laut Sprecherin Dorothee Meusch im Jahr 2009 bei über einer Million Krankenhausfällen nur 500 Mal diagnostiziert. Bei der Barmer Ersatzkasse waren es 2008 – bezogen auf die alte Barmer, die seit Januar Barmer GEK heißt – bei insgesamt 1,5 Millionen Fällen bundesweit nur 200 Fälle von Kompartment-Syndrom.

Hätte man der Patientin bei einer so langen Operation zwischendurch Entlastung verschaffen können, so wie man auch Menschen auf Langstreckenflügen rät, nicht die ganze Zeit auf ihrem Sitz zu verweilen? Es gibt seit Jahren Mediziner, die meinen, bei einer Operation in der Steinschnittstellung sollten zumindest bei Eingriffen über vier Stunden zeitweise die Beine tiefer gelagert werden, um der Gefahr eines Kompartment-Syndroms vorzubeugen. Die Charité sagt allerdings, dass ein solches Vorgehen keine geltende Lehrmeinung sei. Es lägen auch keine Informationen vor, dass die Operation länger als unbedingt nötig gedauert habe, erklärt die Charité. Vielmehr sei eine Dauer von vier bis acht Stunden für derartige Eingriffe weltweit Standard. Zudem existiere auch keine nationale oder internationale Leitlinie, dass eine Patientin nach einer bestimmten Zeit umgelagert werden muss, da der Nutzen einer solchen Intervention nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Im vorliegenden Fall sei während der gesamten Dauer der OP geprüft worden, dass die Pulse der Beckengefäße vorhanden und unauffällig waren.

Für die Patientin ist der Ausgang in jedem Fall tragisch. Sie wird ihn wohl so kaum für möglich gehalten haben. Selbst Ärzte sind überrascht und erschüttert über die schwerwiegenden Folgen. Hätte die Patientin es wissen können? Die Klinik verweist darauf, dass die Frau über die Risiken aufgeklärt worden sei. „Wenn die Klinik die Patientin aufgeklärt hat und im weiteren Verlauf kein Fehler nachgewiesen wird, geht das Risiko auf die Patientin über“, so der Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale, Stefan Etgeton.

Was können Patienten tun, um vor einer Operation möglichst gut informiert zu sein? Die Berliner Patientenbeauftragte Karin Stötzner weist darauf hin, dass auch unzureichende Aufklärung ein Behandlungsfehler sei. Oft würden Vorgespräche zu Operationsrisiken als „Routinegang“ absolviert. „Das ist falsch“, sagt Karin Stötzner – und meint alle Beteiligten. Sie rät Patienten, bei den Vorgesprächen zu Eingriffen aufmerksamer zu sein. Meist gehe es nach dem Motto: „Ach, da stehen all die schlimmen Dinge drin, die gar nicht passieren“. Der ohnehin unter Stress stehende Patient unterzeichne rasch, nicht zuletzt wohl, um diesen Part hinter sich zu haben. Wenn ein Patient aber in Ruhe genauer nachfrage und sich sehr ernst mit den Verantwortlichen über alle möglichen Risiken unterhalte, könne dies auch die Aufmerksamkeit des Personals für eventuelle Komplikationen erhöhen, sagt Karin Stötzner. Wer sich im Nachhinein ein Bild von der eigenen Operation machen wolle, solle sich vom Krankenhaus alle Patientenunterlagen in Kopie aushändigen lassen. Wer meine, es sei etwas zu reklamieren, hat nach Angaben der Patientenbeauftragten dafür drei Jahre Zeit.

Sollte ein Patient den Eindruck haben, es sei etwas nicht richtig gelaufen, sollte er zuerst einmal das Gespräch mit dem Arzt suchen, rät Dorothee Meusch von der Techniker-Krankenkasse (TK): „Vieles klärt sich auf.“ Nach Erfahrungen der TK bewegt sich die Zahl tatsächlicher Behandlungsfehler gerechnet auf die Zahl der Versicherten im Promillebereich. Wer nach einem Gespräch mit seinem Arzt immer noch den Eindruck habe, es handele sich nicht um einen schicksalhaften Verlauf, könne sich an seine Kasse wenden. Die Krankenkasse könne tätig werden, wenn der Kasse ein finanzieller Schaden entstanden sei, bei einem Fehler wäre das der Fall. Erste Hilfe und eine Reihe von Fragen, die dann auf einen Patienten zukommen, finden Betroffene auf den Internetseiten der großen Kassen, etwa www.tk-online.de oder www.barmer.de. Gegebenenfalls lässt die Kasse dann, für ihr Mitglied kostenfrei, ein Gutachten anfertigen, das einem Patienten im Falle eines Falles auch für einen Zivilprozess zur Verfügung gestellt wird.

In Fachkreisen ist das Kompartment-Syndrom mit einer eventuellen Amputation als Folge bei längeren gynäkologischen Operationen trotz der Seltenheit Gesprächsstoff. In einem vergangenes Jahr erschienenen Aufsatz heißt es: „Das akute Kompartment-Syndrom nach Steinschnittstellung gewinnt zunehmend an Bedeutung bei gutachterlichen Fragestellungen bezüglich ärztlicher Behandlungsfehler.“

„Das ist ein Thema, über das wir in Fachkreisen definitiv diskutieren müssen“, sagt der Chefarzt der Frauenklinik im Helios-Klinikum Berlin-Buch, Michael Untch. Es handele sich zwar um eine Rarität, dennoch vertritt er die Ansicht, dass man sie in die Leitlinien der Fachgesellschaften einarbeiten sollte. Bei ausgedehnten gynäkologischen Operationen, die vier, fünf oder auch acht Stunden dauern könnten, könne es sinnvoll sein, Patienten in regelmäßigen Abständen umzulagern. „Wenn eine Amputation einmal in zwei bis vier Jahren passiert, ist das nicht oft – aber es passiert“, sagt Untch. „Und dann ist es bitter.“

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