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Gesundheit: Anstoß zur Fusion

Wissenschaftsrat legt Votum zur Strukturreform vor: Berlins Universitäten können ihre Hochschulmedizin behalten

Berlins Hochschulmedizin steht vor der Fusion. Die Charité und das Klinikum Benjamin Franklin sollen in Zukunft vollständig zu einer gemeinsamen Fakultät und einer Klinik zusammenwachsen. Dennoch bleiben sie Teil der Freien und der Humboldt-Universität. Dieses Modell hat der Wissenschaftsrat der Berliner Politik für die Strukturreform der Uni-Medizin empfohlen und damit eine bundesweit neuartige Form unterstützt. Bei der Präsentation der gerade getroffenen Entscheidung am Donnerstagabend appellierte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Karl-Max Einhäupl, an die Politiker, „diese einmalige Chance zu ergreifen und Berlin zu einem führenden Standort für die medizinische Forschung zu entwickeln“. Berlins Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) versprach noch am selben Abend schnelle Umsetzung. Er will die neue Einrichtung „Charité. Hochschulmedizin in Berlin“ nennen.

Das ebenfalls diskutierte Modell einer eigenständigen Medizinischen Hochschule ist damit trotz Bedenken wegen der fehlenden Erfahrungen mit der neuen Struktur vom Tisch. Die Bedenken gegen den Abschied von der Universität waren größer. Ob die geforderten 98 Millionen Euro ohne die Schließung eines Klinik-Standortes eingespart werden können, ist dagegen weiter offen. Darüber soll der neue Aufsichtsrat entscheiden, letztlich in Abstimmung mit der Politik. Dafür hatte die Expertenkommission das Virchow-Klinikum der Charité vorgeschlagen; denn bis zum Jahr 2010 wird die Medizin mit den Einsparungen rund jeden dritten Euro verlieren. Der Senat hat jetzt ein Wirtschaftlichkeitsgutachten in Auftrag gegeben, das genau berechnen soll, mit welchen Schritten im Einzelnen welche Einsparungen erbracht werden können.

Mit seinem Votum bestätigte der Wissenschaftsrat in wesentlichen Punkten das Gutachten, das eine Expertenkommission im Auftrag des Berliner Senats erstellt hatte. In einigen Punkten gab es Änderungen. So wurden starke und schlanke Führungsgremien geschaffen. Ein Vorstand mit drei hauptamtlichen Mitgliedern trifft im Wesentlichen die Entscheidungen. Ihm gehören neben dem Vorsitzenden ein Ärztlicher Direktor und ein Dekan an. Um einen Neuanfang zu sichern, dürfen alle drei allerdings in den vergangenen acht Jahren nicht in Berlin beschäftigt gewesen sein. Der Vorstand untersteht – wie in der Wirtschaft – einem siebenköpfigen Aufsichtsrat, der für den Wirtschaftsplan zuständig ist. Diesem Gremium gehören mindestens drei externe Mitglieder sowie der Wissenschafts- und der Finanzsenator an. Mit diesem Konzept wurde die Kritik an den zunächst sehr komplizierten Entscheidungsstrukturen berücksichtigt.

Der Vorstand soll auch die Weichen dafür stellen, welche Forschungsbereiche künftig an welchem Standort zusammengeführt werden. Die detailierten Vorschläge der Expertenkommission hatte der Wissenschaftsrat nicht kommentiert.

Studentenauswahl und Junioren

Zu den Neuerungen gehört auch, dass die neue Charité zahlreiche Möglichkeiten bekommen soll, neue Wege zu erproben, die sich die Mediziner in Deutschland schon lange wünschen. Vorgesehen ist, dass sich die Professoren ihre Studenten weitgehend selbst aussuchen dürfen und die Ausbildungsphasen stärker miteinander verbunden werden. Mit der Juniorprofessur sollen neue Qualifikationswege in der Medizin etabliert und zudem Karrierewege für Naturwissenschaftler in der Medizin geschaffen werden. Ein wichtiges Ziel ist auch, bessere Bedingungen für die klinische Forschung zu schaffen als in Deutschland üblich.

Der Wissenschaftsrat hat um seine Entscheidung lange gerungen, wie sein Vorsitzender Einhäupl betonte; denn die Risiken durch die Einsparungen sind groß. Bisher nimmt die Berliner Hochschulmedizin bei der Einwerbung zusätzlicher Forschungsmittel durch ihre Projekte fast 100 Millionen Euro pro Jahr ein. Von diesem Geld werden rund 2000 zusätzliche Stellen finanziert. Diese Forschungskraft galt es trotz der Einsparungen möglichst zu stärken, wie Einhäupl betonte. Nur wenn die klare Schwerpunkte gesetzt würden, sei es überhaupt möglich, die forschungsintensiven Bereiche zu retten. „Es wird Reduzierungen geben müssen, eventuell sogar Schließungen von Abteilungen. Das wird ein harter Weg.“ Die Politik forderte Einhäupl auf, das durch klare Prioritäten zu unterstützen. Auch die Mediziner selbst müssten sich beteiligen. Einhäupl: „Ich kann den Wissenschaftlern nur raten, diesen Prozess zu gestalten, sonst wird die Politik das nach ihren Maßstäben tun.“

Als bundesweites Modell für die Uni-Medizin sehen Einhäupl und Generalsekretär Wedig von Heyden den Beschluss ihrer Organisation nicht – schon weil es bisher nicht erprobt sei. Und sie mahnten: Allein durch die Strukturveränderungen spare man nichts.

Der von der Expertenkommission vorgesehene Abbau von 1300 Klinikbetten würde beispielsweise dem Verlust von fast 4000 Stellen entsprechen. Von Heyden forderte die Politik auf, dies zu überdenken und Vorsorge für die sozial verträgliche Abfederung zu tragen.

Zu den künftigen Risiken für Forschung und Lehre in der Medizin gehört auch die anstehende Einführung des neuen Abrechnungssystems nach sogenannten Fallpauschalen. Künftig sollen Wissenschaft und Krankenversorgung nach dem Votum des Wissenschaftsrates jeweils eigene Etats zugewiesen bekommen, um Quersubventionierung zu verhindern. Außerdem soll das Verfahren für mehr Transparenz sorgen. Das entspricht auch den Wünschen aus der Politik. Nach fünf Jahren sollen die Neuregelungen auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Der Dekan der Charité, Joachim Dudenhausen, lobte die stringente Entscheidungsstruktur der Empfehlung: „Damit können wir trotz einiger Unklarheiten leben.“ Martin Paul, sein Amtskollege vom Klinikum Franklin, das ursprünglich zur Schließung vorgesehen war, stimmte zu: „Das ist im Grunde das, was wir uns gewünscht haben.“

Gesetz im Februar

Zustimmung kam auch aus der Politik. Wissenschaftssenator Flierl versicherte: „Wir werden jetzt keine weitere Zeit verlieren und auf der Basis der Empfehlungen Reformschritte einleiten.“ Der hochschulpolitische Sprecher der PDS, Benjamin Hoff: „Der Weg für eine Umstrukturierung ist frei. Ende Februar legen wir unser Vorschaltgesetz vor.“

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