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Gesundheit: Arzu Hatakoys amerikanischer Traum

Aus Berlin-Wedding nach Harvard: Die Gastarbeitertochter ging „einfach immer gerne zur Schule und zur Uni“

Nein, Arzu Hatakoy möchte eigentlich nicht darüber reden. „Ich finde es nervig, wenn ich auf das Klischee der erfolgreichen Migranten-Story reduziert werde, nur weil mein Vater als Gastarbeiter nach Berlin gekommen ist“, sagt sie. „Das ist doch heute nichts Besonderes mehr, wenn man als junge Türkin ein bisschen weiter kommt.“

Ob das jetzt eine zum Klischee geronnene Migranten-Story ist oder nicht: Es ist doch etwas Besonderes, denn Arzu Hatakoy ist mit ihren 26 Jahren schon ziemlich weit gekommen. Sie hat in Berlin und in Paris Politik studiert, an beiden Universitäten ihr Diplom erworben, zahlreiche Praktika und Auslandsaufenthalte absolviert, sie spricht Deutsch, Türkisch, Französisch, Englisch, sogar ein bisschen Spanisch und Thai, sie hat neun Monate für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik in Bonn gearbeitet, geht demnächst für zwei Jahre mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes nach Harvard und erhielt jetzt den erstmals ausgeschriebenen Preis für die beste Diplomarbeit der letzten vier Semester am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Wie bitte schafft man das alles mit gerade mal Mitte zwanzig?

Mehr als Glück und guter Wille

„Ich bin einfach immer gerne zur Schule und zur Uni gegangen und hatte ziemlich viel Glück“, erklärt sie fast verlegen lächelnd ihren Bilderbuch-Lebenslauf, während sie die Leute im Biergarten des Praters beobachtet. Zwar wohnt sie momentan wieder bei ihren Eltern im Wedding, aber am liebsten geht sie im Prenzlauer Berg aus. Aber braucht man nicht mehr als Glück und guten Willen, um so weit zu kommen, gerade als Einwandererkind in Deutschland? Hat nicht gerade die Pisa-Studie gezeigt, dass fast nirgendwo auf der ganzen Welt die Herkunft der Eltern eine so wichtige Rolle spielt wie in der Bundesrepublik? Arzu Hatakoys Beispiel zeigt, dass dem deutschen Ausbildungssystem nicht alle talentierten Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern durch die Maschen fallen.

Anfang der siebziger Jahre kamen ihr Vater und ihre Mutter aus einer türkischen Kleinstadt nach Berlin. Der Vater arbeitete bei Siemens und die Mutter kümmerte sich um die drei Kinder. „Klar haben meine Eltern keinen bildungsbürgerlichen Hintergrund, und zu Hause haben wir nur Türkisch gesprochen, aber dafür haben mein Vater und meine Mutter mich und meine Geschwister immer voll unterstützt.“ Dass gerade Kinder aus Migrantenfamilien sehr viel Unterstützung brauchen, hat sie gemerkt, als sie dann später selber Nachhilfestunden gab.

Arzu Hatakoy kennt den Druck, unter dem hier geborene oder größtenteils aufgewachsene junge Deutsch-Türken der zweiten oder dritten Einwanderergeneration stehen. Viele türkische Eltern wollen, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen, damit sie später größere Chancen als sie selber haben. Die Eltern erwarteten dann, dass die Kinder sich in der Schule anstrengen. Gleichzeitig werde aber zu Hause nur Türkisch gesprochen, und Lesen sei für viele überhaupt nicht selbstverständlich, da laufe eher den ganzen Tag der Fernseher. Das sei ganz schwierig für die Kinder, denn ohne ein bisschen Förderung hielten viele den Druck nicht aus und gäben dann irgendwann ganz auf. „Warum soll ich deutsch auch noch in meiner Freizeit sprechen, wenn ich mit meinen Freunden genauso gut türkisch reden kann?“, sagten sie dann, berichtet Arzu Hatakoy.

Und als was sieht sie sich selber mehr? Als Deutsche oder als Türkin? „Das gehört beides zu mir“, sagt Hatakoy bestimmt. Und nach einigem Zögern setzt sie hinzu: „Ich würde mich selber als eine Deutsche mit türkischen Wurzeln beschreiben.“ Besonders bei ihren Auslandsaufenthalten in Paris und jetzt kürzlich in Thailand, wo sie bei einem Entwicklungsprojekt mitarbeitete, spielte ihre Doppel-Identität nie eine Rolle. Nur in der Türkei, wo sie 1999 ein Praktikum bei der Vertretung der europäischen Kommission in Ankara absolvierte, geriet sie in den typischen Widerspruch der im Ausland aufgewachsenen Einwandererkinder: „Dort wirst du eher als Deutsche wahrgenommen, während du hier eben die Türkin bist.“ Aber mittlerweile gelingt Arzu Hatakoy der Wechsel zwischen beiden Kulturen mühelos.

Bloß kein Migranten-Thema

Nur manchmal, wenn ihre deutschen Gesprächspartner einen Augenblick stutzen, wenn sie sich mit ihrem Namen vorstellt, fällt ihr wieder auf, dass es für einige Leute offenbar doch nicht so selbstverständlich ist, einer jungen, erfolgreichen, türkischen Frau gegenüberzustehen. Aber sie hat keine Lust, sich darüber ständig den Kopf zu zerbrechen: „Ich will, dass mich die Leute als das nehmen, was ich bin und was ich kann und nicht ewig die Klischees aus der Schublade holen.“ Ihre Diplomarbeit schrieb sie über den „Wandel des Konzepts der humanitären Intervention“ – und nicht über die deutsch-türkischen Beziehungen, wie ihr viele geraten hatten.

In ihrer Arbeit untersuchte sie, wann und warum in der Vergangenheit derartige Eingriffe stattfanden, wie sie von der Uno legitimiert wurden und analysierte den Wandel in den Neunzigerjahren am Beispiel des Kosovo. Dass sie damit ein Thema bearbeitete, das gerade heute nach dem 11. September und dem Irak-Krieg an Bedeutung gewonnen hat, konnte sie damals noch nicht wissen – es führte aber unter anderem dazu, dass ihr Professor die Arbeit für den OSI-Club-Preis vorschlug.

Ende August wird sie für zwei Jahre in die USA gehen und in Harvard den Studiengang „Master in Public Administration“ belegen, um sich weiter wissenschaftlich mit dem Thema zu befassen. Und später will sie vielleicht einmal im Bereich der Außen- oder Entwicklungspolitik arbeiten. Aber schon heute kann man bei Arzu Hatakoy von einer Bilderbuch-Erfolgsstory sprechen – ganz ohne Migranten-Klischees.

Sandra Löhr

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