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Gesundheit: Auf der Jagd nach altem Erbgut

Neue Verfahren ermöglichen die Entzifferung des Genoms von Mammut und Neandertaler

Es gehört zu den vielzitierten Legenden, dass der wahre Nutzen der Mondlandung in der Teflonpfanne liegt. Auf ähnliche Weise könnten jetzt auch die technischen Randaspekte eines anderen Großprojektes zum eigentlichen Nutzen werden. Denn während konkrete medizinische Anwendungen aus dem Humanen Genomprojekt noch lange auf sich warten lassen werden, entwickeln Molekulargenetiker Techniken zur schnellen Sequenzierung ganzer Genome weiter – vom Menschen und von Mäusen bis hin zum ausgestorbenen Mammut und Neandertaler. Es herrscht Goldgräberstimmung in ihren Reihen. Und auch ein wenig Wildwestmentalität.

Die neuen Sequenzierverfahren lassen die Kosten für die Analyse selbst kompletter Genome ins Bodenlose fallen. Als sich Forscher an die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts machten, brauchten sie zweierlei: viel Zeit und Geld.

Aufgrund des aufwendigen Verfahrens, bei dem die Abfolge der rund 3,4 Milliarden Nukleotide (der Einzelbausteine in den DNS-Strängen) des Menschen bestimmt wurde, dauerte es über zehn Jahre bis zur ersten Rohfassung Anfang 2001. Die kostete knapp 300 Millionen US-Dollar.

Für die vollständige Endversion kalkulierten Experten sogar das Zehnfache. Dagegen war das im Februar 2006 veröffentlichte Genom des Rhesusaffen, das zweite nichtmenschliche Säugetier-Genom nach dem des Schimpansen, bereits für 22 Millionen Dollar zu haben. Für das Jahresende kündigten Forscher nun ein weiteres komplettes Säugetier-Genom an – für nur 100 000 Dollar. Inzwischen macht die Vision des 1000-Dollar-Erbguts die Runde. Experten wie George Church von der Harvard Medical School in Boston ebenso wie Dennis Gilbert von der bisher bei Sequenziermaschinen führenden Firma Applied Biosystems sehen die Genomforschung vor einer Revolution.

Längst ist vor allem in den USA das Wettrennen eröffnet, nachdem die Craig Venter Science Foundation 2003 500 000 Dollar für eine derart kostengünstige Genlesetechnik auslobte. Ein Jahr später starteten die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA ein 70-Millionen-Dollar-Programm zur Förderung neuer Sequenzierverfahren am Säuger-Genom. Mit dem Effekt, dass in den USA nun Start-up-Firmen wie Pilze aus dem Boden sprießen.

Der Harvard-Biochemiker George Church ist einer der Pioniere von „do-it- yourself“-Sequenziertechniken, bei denen sich mit den in besseren molekulargenetischen Laboren üblichen Chemikalien sowie mittels Epifluoreszenz-Mikroskop das Genom eines Lebewesens vollständig sequenzieren lässt. Letzten September stellte das Team um Church im Magazin „Science“ (Band 309, Seite 1728) am Beispiel des Bakteriums Escherichia coli eine Methode vor, um Genome im Miniaturverfahren und in Windeseile zu sequenzieren. Statt in Fabrikhallen mit Dutzenden Sequenziermaschinen die Bausteinabfolge aus dem zuvor fragmentierten Gesamtgenom zu bestimmen und die Sequenz anschließend mühsam wieder zusammenzusetzen, wird die Abfolge der Bausteine des Erbmoleküls im Labor in winzigen Reaktionsgefäßen bestimmt.

Während in diesen Picoliter-Reaktoren die DNS-Fragmente mit einer Länge von 100 Basenpaaren wiederholt zusammengebaut werden, schaut man der Erbsubstanz bei der Vermehrung zu. Die Abfolge der verwendeten Bausteine wird dabei Buchstabe für Buchstabe mitgeschrieben, indem man mit verschiedenen Leuchtfarbstoffen markierte Bausteine im Fluoreszenz-Mikroskop automatisch registriert. Bei der klassischen Sequenzierung war ein aufwendiger Schritt notwendig, die Gel-Elektrophorese. Dabei wurden einzelne Fragmente mit den neu eingebauten DNS-Komponenten wie mit einem Netz herausgefischt.

Als erste Firma hat jetzt das US-Unternehmen „454 Life Sciences“ aus Branford in Connecticut ein solches Verfahren zur Marktreife gebracht und bietet den „Genome Sequencer 20 System“ als ultraschnelles Gerät der neuen Generation an. Ein Team um den „454“-Forscher Jonathan Rothberg hatte 2005 zeitgleich mit Church im Fachblatt „Nature“ (Band 437, Seite 376) über die Mikrofakrikations-Sequenzierung des Bakterien-Genoms von Mycoplasma genitalium berichtet, die 100-mal schneller läuft als übliche Verfahren. Die Technik basiert ebenfalls auf dem schrittweisen Aufbau der Sequenz durch Einzelmoleküle und einen Erkennungsmechanismus, der die biochemisch markierten Bausteine registriert.

Diese Techniken sollen nicht nur neue Märkte für medizinische Anwendungen öffnen. Findige Forscher haben das Potenzial erkannt – und sind bereits zu wahren Wettrennen angetreten. Längst geht es nicht mehr nur um die schnelle Sequenzierung allein heute lebender Organismen. Zwar steckt die „Paleogenomics“, die uralte Genome untersucht, noch in den Kinderschuhen. Doch sie hat schon erste Erfolge. So haben Molekulargenetiker um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig Anfang Februar die vollständige Entzifferung der in den Zellorganellen der Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, gelegenen Erbsubstanz des Wollmammuts publiziert („Nature“, Band 439, Seite 724). Das Team setzte knapp 200 Milligramm Knochensubstanz des Ende der letzten Eiszeit ausgestorbenen Mammuthus primigenius aus dem Permafrost Sibiriens ein, um die Sequenz von 16 770 Basenpaaren zu bestimmen.

Zuvor war es aufgrund der schlecht erhaltenen DNS in den Überresten ausgestorbener Tiere nicht möglich, mehr als 1000 Basenpaare lange Erbgutfragmente zu bestimmen. Jetzt gelang es mit neuen Sequenzierverfahren, das ringförmige Mammut-Genom der Mitochondrien aus 46 Einzelfragmenten wieder zusammenzusetzen. Daraus und durch den Vergleich mit anderen nahen Verwandten schließt Pääbos Team auf den Asiatischen Elefanten (Elephas maximus) als nächsten Verwandten des Mammuts; ihre Entwicklung trennte sich vor 5,6 Millionen Jahren.

Während sich die Leipziger Forscher noch mit dem vergleichsweise überschaubaren Erbgut in den Mitochondrien eines 12 000 Jahre alten Mammuts begnügten, war einem Team um den deutschen Molekulargenetiker Stephan Schuster von der Pennsylvania State University gemeinsam mit Hendrik Poinar ein viel größerer Coup gelungen. Die Forscher berichteten schon im Januar 2006 in „Science“ (Band 311, Seite 392), dass sie mit Hilfe des bei „454“ entwickelten neuen Sequenzierverfahrens mehr als 28 Millionen DNS-Bausteine aus dem Knochenmaterial eines vor 27 700 Jahren gestorbenen Mammuts entziffern konnten. Ein Quantensprung verglichen mit den bisher vergleichsweise winzigen Schnipseln des Erbguts ausgestorbener Tiere.

Immerhin rund die Hälfte davon, knapp 13 Millionen Basenpaare, konnten sie dem Genom aus Zellkern und Mitochondrien des Mammuts zuordnen, während die übrige DNS von Bakterien und anderen Mikroorganismen stammt. Schusters Kollege Alan Cooper lobte dessen jüngste Studie mithin auch als die Zukunft der Forschung zur alten DNS. Zwar datiert auch Schusters Team den letzten gemeinsamen Urahnen von Mammut und Elefant auf ein Alter von knapp sechs Millionen Jahren. Doch sehen sie im Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) den nächsten Verwandten der zotteligen Eiszeitgiganten, da ihr Erbgut zu 98,55 Prozent übereinstimmt.

Verkündet hatte Pääbo seine Entdeckung übrigens schon Wochen vor dem Erscheinen seiner Studie in „Nature“ – ein eher unübliches Verfahren. Kurz vor Weihnachten 2005 wollte er wohl den Konkurrenten aus den USA zuvorkommen. Für Aufregung unter Experten sorgte auch die jüngste Ankündigung der Leipziger, in den nächsten 24 Monaten das Genom des Neandertalers, unserem vor 30 000 Jahren verstorbenen Cousin, zu sequenzieren. Geschätzte Kosten: fünf Millionen Euro, die die Max-Planck-Gesellschaft in München Pääbo bereits bewilligte und die vor allem der Firma „454“ zugute kommen werden.

Ähnlich wie beim menschlichen Genom werden derart prestigeträchtige Projekte neuerdings vorab angekündigt, während sich Forscher sonst nur ungern über ungelegte wissenschaftliche Eier verbreiten. Ihnen galt bislang die Publikation mehr als der Pressetermin. Aber das hat sich geändert.

Der Autor ist Forschungsdirektor am Berliner Museum für Naturkunde.

Matthias Glaubrecht

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