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Gesundheit: Auf der Jagd nach dem grünen Gold

Vom Abenteuer, bis ans Ende der Welt nach kostbaren Pflanzen zu suchen

Man kann die Insel riechen, noch ehe man sie sieht. So steht es in alten Berichten; und so war es auch, als der wagemutige Seefahrer und Abenteurer Nathaniel Courthope am 23. Dezember 1616 die kleine Insel Run – damals eine der reichsten Insel im Ostindischen Archipel – für England in Besitz nahm. Der Schatz der Insel bestand nicht aus Gold, sondern aus Muskatnussbäumen. Hohen, gertenschlanken Gewächsen, von denen ein köstlicher Duft ausströmte, deren Laub an Lorbeer erinnerte und mit denen diese Insel – und nur diese Insel – bis weit ins 17. Jahrhundert dicht bewachsen war.

Muskatnüsse, die Samen des Baumes, die heute ein Allerweltsgewürz sind, waren damals eine Kostbarkeit; sie galten als Wundermittel, das sogar gegen die „pestilenzische Seuche“ helfen sollte. Weil man in London und Antwerpen das 600-fache ihres Einkaufswertes bezahlte, winkten denen gigantische Vermögen, die sich die Gewürzinsel sicherten. So kämpfte Courthope mit nur 30 Mann jahrelang bis zu seiner Ermordung gegen eine holländische Übermacht. Und ermöglichte englischen Kaufleuten sagenhafte Gewinne. Bis die Engländer 1667 die Muskatnuss-Insel schließlich gegen eine andere Insel tauschten, die sich bis dahin auf der anderen Seite des Globus in holländischem Besitz befand: Manhatten, jene Halbinsel am Hudson-River, aus der später New York hervorging. Ein wahrlich geschichtsträchtiger Tausch einer mit Gewürzbäumen bestandenen Insel. Er sollte den Lauf der Geschichte verändern, und ist doch fast vergessen.

Kaum mehr als eine Fußnote in der Geschichte sind heute auch jene Abenteurer, die auf der Jagd nach dem „grünen Gold“ Gesundheit, Besitz und oft genug das Leben riskiert und verloren haben. Wer wüsste schon vom Run auf die Muskatnussinsel, die kaum auf heutigen Landkarten zu finden ist, hätte Giles Milton den abenteuerlichen Wettlauf um dieses Eiland und die Kulturgeschichte des Muskatnussbaumes Myristica fragrans nicht unlängst nacherzählt („Muskatnuss und Musketen. Europas Wettlauf nach Ostindien“, Zsolnay Verlage). Der übrigens wächst längst auch anderswo, nachdem, Ironie der Geschichte, die Engländer 1817 heimlich Hunderte von Schößlingen ausgruben und Pflanzungen in Ceylon, Pinang und Singapur anlegten; die Produktion übertraf bald die Ernte der Insel Run, und die dank ihres Gewürzmonopols vormals so mächtige Holländisch-Ostindische Kompagnie verschwand in den Geschichtsbüchern.

Lange waren die Territorialinteressen der europäischen Nationen im indomalaiischen Archipel, anfangs Portugals und Spanien, später vor allem Hollands und Großbritanniens, durch den Handel mit tropischen Pflanzen und ihren Produkten diktiert. Neben Schiffsladungen von Muskatnuss und -blüten bescherten Tonnen von Gewürznelken und Ingwer, Säcke voller Zimt und Pfeffer den Kaufleuten exorbitante Gewinne. Aber bald machten sich Abenteurer anderer Couleur auf die Reise in tropische Gefilde. Es waren Pflanzensammler und Blumenentdecker wie etwa der deutsche Arzt Paul Hermann (1646 bis1695), der 1672 für die Vereinigte Ostindische Kompagnie nach Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, segelte. Zwar sollte der 26-Jährige die Gewürzhandel treibenden Mitarbeiter der Kompagnie von Ruhr, Pocken und Malaria heilen, doch Hermann war Pflanzensammler aus Leidenschaft.

Statt Kranker versorgte er europäische Pflanzenhändler und Botanikfreunde mit Saat und Herbarmaterial tropischer Gewächse, 800 neue Arten allein aus Südafrika, das er unterwegs besuchte. Mit einer für die damalige Zeit unglaublichen Pflanzensammlung 1680 glücklich zurückgekehrt, erhielt er zum Lohn eine Berufung an die Universität in Leiden und wurde Leiter des Botanischen Gartens. Die 657 Herbarexemplare, die vom schwedischen Systematiker Carl von Linné bearbeitet wurden, sind noch heute in der botanischen Abteilung des Britischen Naturkundemuseums in London erhalten ( zu betrachten unter www.nhm.ac.uk ).

Blühende Paradiese

Während kein Standbild des Engländers Courthope die Straßen Manhattans oder Londons schmückt, haben Kej Hielscher und Renate Hücking mit ihrem Buch Pflanzenjäger („In fernen Welten auf der Suche nach dem Paradies“, Piper Verlag) anderen Abenteurern, Entdeckern und Naturforschern ein Denkmal gesetzt. Dem Gartenfreund und Naturliebhaber heute oft kaum bewusst, haben diese und andere Pflanzenjäger mit Dahlien aus Mexiko, Pelargonien aus Südafrika (besser als Geranien bekannt), mit Lobelien, Clematis, Hortensien, Orchideen und Kakteen europäische Parks und Wintergärten in blühende Miniaturparadiese verwandelt.

Ohne die wundersamen, einst bestaunten und heute allgegenwärtigen Mitbringsel aus fernen Ländern sähen unsere Balkone, Fensterbänke und Terrassen trostlos aus. Mit spitzblättrigem Ahorn und Ulmen etwa aus Japan wurde schließlich sogar das Bild unserer Kulturlandschaft nachhaltig verändert. So hat sich der Wunsch des Dichters und Pflanzenjägers Adelbert von Chamisso (1781 bis 1837) erfüllt, der selbst mit 2500 Pflanzenarten von seiner Weltumsegelung mit dem russischen Zweimaster „Rurik“ zurückkehrte. „Ist es nicht schön, wenn unter unserem Himmel auf heimatlichem Boden aus fernen Welten unbekannte Pflanzenkinder keimen und wachsen?“ Allein 150 Pflanzenarten sind heute nach ihm benannt.

Anders als beim Kampf um die Muskatnuss ging es diesen Pflanzenjägern nicht um Profit, sondern um Botanik. Sie waren Pioniere und vom Sammeln Besessene; ihre Leidenschaft galt der Suche neuer, bisher unentdeckter Pflanzen. Eine einzige Expedition brachte Hunderte, gar Tausende unbekannter Arten. Aber Feuer, Schiffbruch, der Befall durch Insekten und Pilze oder der Überfall Einheimischer konnte die Ausbeute jahrelanger Mühsal vernichten. Viele dieser Pflanzenjäger verzichteten auf ein bürgerliches Leben. Botanisieren und Naturkunde lagen vor allem im 19. Jahrhundert im Trend der Zeit und belohnte mit Ruhm und Ehre.

Von seiner fünf Jahre währenden Südamerikareise brachte der Berliner Universalgelehrte Alexander von Humboldt (1769 bis 1859) im Sommer 1804 nicht weniger als 40 Kisten wissenschaftlicher Ausbeute mit. Unter den rund 6000 Arten, von denen in Europa mehr als die Hälfte unbekannt war, befand sich auch die Saat von Dahlien. Im Gepäck hatte er außerdem den Bericht von zahllosen Abenteuern.

Schwunghafter Handel

Eine Ausnahmeerscheinung im Kreis solcher Naturforscher war die 1821 geborene Amalie Dietrich (1821 bis1891). Als botanische Autodidaktin verdiente sie ihren Unterhalt mit dem Verkauf von Herbarien, bevor sie sich 1863 im Auftrag des Hamburger Reeders und Überseekaufmanns Cesar Godeffroy nach Australien einschiffte.

Für nicht einmal die Hälfte des Lohns ihrer männlichen Feldforscher sammelte die emsige Pflanzenjägerin im Nordosten des Kontinents zehn Jahre lang Naturalien für das Privatmuseum des Handelsherren, der mit den Dubletten einen schwunghaften Handel treibt. Denn immer waren exotische Naturalien auch gut für Gewinne, und oft bestand eine Grauzone zwischen Forschung und Geschäftemacherei. Bis heute verdanken Blumenliebhaber und etwa die Bewunderer von Kakteen oder Orchideen ihr Hobby der Gier nach exotischer Blütenpracht, für die Samen geschmuggelt und Bestände geplündert wurden.

Der aus Bremen stammende, in London residierende Orchideenkönig Frederik Sander hatte für seine Blumenhandlung gut zwei Dutzend Orchideenjäger unter Vertrag, die für ihn weltweit auf der Jagd waren – und die nicht selten dabei ihr Leben verloren: sie ertranken im Orinoko, stürzten in Sierra Leone in den Tod, blieben in Panama verschwunden, wurden in Kolumbien von Kugeln getroffen oder in Mexiko ermordet.

Den wissenschaftlichen Ruhm heimsten vielfach andere ein. Was an zahllosen Tieren und Pflanzen während mühsamer und gefahrvoller Reisen gesammelt wurde, bearbeiteten und benannten Forscher daheim erst nach jahrelanger Arbeit. Oft erinnern nur die Pflanzennamen wie Schweinfurthia pterosperma oder Acacia dietrichiana an jene Sammler, deren harmloser Habgier nach Neuem wir auch hier zu Lande die Vielfalt an exotischen Arten mit ihrer Fülle an Farben und Formen verdanken.

Matthias Glaubrecht

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