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Gesundheit: Aufstand in Oxford

Die Professoren wollen nicht, dass Wirtschaftsexperten die alte Uni managen

Immer wenn in Oxford gestritten wird, findet dies unter großer Anteilnahme der britischen Öffentlichkeit statt. Das hat mit der beispiellosen Stellung der traditionsreichen Uni in der kollektiven Psyche Großbritanniens zu tun. Aber auch damit, dass hier gerne und viel gestritten wird. Denn Oxford wird wie Cambridge nach einem aus dem Mittelalter stammenden und im Kern demokratischen Prinzip dezentraler Selbstverwaltung regiert. Danach genießen die 39 Colleges weitreichende Autonomie und der akademische Lehrkörper zumindest theoretisch das Letztentscheidungsrecht.

Der Neuseeländer John Hood war 2004 als erster nicht aus Oxford stammender Vice-Chancellor (Rektor) angetreten, dies zu ändern. Nach einer zwei Jahre währenden hitzigen Debatte scheiterte er jetzt mit seinen ehrgeizigen Plänen für eine Zentralisierung der universitären Entscheidungsstrukturen. Unterstützt vom repräsentativen Oberhaupt der Uni, dem Kanzler und ehemaligen Tory-Minister Chris Patten, wollte Hood das Exekutivorgan der Hochschule, den bislang aus 26 Mitgliedern bestehenden University Council, durch ein 15-köpfiges Gremium ersetzen. Das sollte mehrheitlich mit Externen, darunter Vertretern der Wirtschaft, besetzt werden und fortan die Finanzen der Universität beaufsichtigen. Die Reformer sahen darin den einzigen Weg, in Zeiten globalen Wettbewerbs und knapper öffentlicher Kassen für effizientere Entscheidungsverfahren und Transparenz zu sorgen.

Die Gegner hingegen fürchteten das Ende einer 900-jährigen Tradition von Dezentralität und demokratischer Selbstverwaltung. Für sie wäre es einer Entmachtung gleichgekommen, die Entscheidungen über alle wichtigen finanziellen und operativen Angelegenheiten künftig in die Hände von Universitätsfremden zu legen. Sie ließen Hoods Vorschlag Ende November nach einer hitzigen Debatte durchfallen. Daraufhin wurde eine Briefwahl anberaumt, deren Ende des Jahres verkündetes Ergebnis mit 60 Prozent ein klares Nein ergab.

Hood, der in den letzten Monaten zusehends isolierte wirkte, kündigte nach der Niederlage an, im Amt bleiben und weiter als „Diener einer Universität mit großer Vergangenheit und großer Zukunft“ arbeiten zu wollen. Seine Stellung kann indes als angeschlagen gelten. Der Ex-Manager, der bereits die Uni Auckland umbaute, ist vielen Wissenschaftlern ein rotes Tuch. Er gilt ihnen als Erfüllungsgehilfe der Labour-Regierung. Von Kritikern gerne als sherryschlürfende, realitätsvergessene Elite karikiert, wehren sie sich seit Jahren gegen eine Hochschulpolitik, die ihrem Empfinden nach betriebswirtschaftliche Rationalität und Effizienzsteigerung über die Freiheit der Wissenschaft und das akademische Eliteprinzip Oxfords stellt.

„Die Reformvorschläge folgen dem Blair’schen Prinzip, dass alles, was mit Business zu tun hat, gut ist“, so Oxford-Geschichtsprofessor Nicholas Stargardt. Übersehen werde dabei, dass kein verantwortlicher Unternehmer die Geschicke seiner Firma in die Hände eines Fachfremden legen würde. Stargardt sieht in den Vorschlägen den „Versuch, eine Struktur zu schaffen, derzufolge der Vice-Chancellor niemandem Rechenschaft schuldig wäre. Je zentralisierter die Entscheidungsstrukturen der Universität, desto leichter ist sie zu kontrollieren.“ Auch viele seiner Kollegen glauben, dass universitätsfremde Ratsmitglieder zu „natürlichen Alliierten der Exekutive“ geworden wären, wie es Politikwissenschaftler Vernon Bogdanor im „Observer“ ausdrückte. Vor allem, weil es ihnen unmöglich gewesen wäre, Interessen jenseits der des Vizekanzlers und seiner Unterstützer überhaupt zu registrieren. Es mangele ihnen an Expertise, die Gleichheit der Disziplinen und das Wohl der Universität als Ganzes im Auge zu behalten.

Während die Reformgegner also um die Seele Oxfords fürchteten, erklärten die Befürworter, darunter der Historiker Timothy Garton Ash, die Reformdebatte in Oxford zum Lakmustest dafür, ob Europa im globalen Wissenschaftswettbewerb noch eine Zukunft hat. Denn seine pittoreske Collegearchitektur lässt mitunter vergessen, dass Oxford wie auch Cambridge Rankings zufolge zwar nach wie vor zu den besten Universitäten der Welt zählt. In vielerlei Hinsicht hinkt es aber längst hinter seinen ungleich potenteren US-Spiegelbildern, Harvard, Yale und Co., hinterher. Harvard verfügt über 22 Milliarden Euro Vermögen und ein Vielfaches an Budget. Auch sind viele Bereiche Oxfords ein Verlustgeschäft – inklusive der Lehre. Internen Berechnungen zufolge macht Oxford aufgrund der gesetzlichen Obergrenze für Studiengebühren mit jedem Bachelor-Student 7500 Euro Verlust. US-Unis dürfen locker das Fünffache pro Jahr verlangen. Hood bemüht sich daher darum, Forschung und Lehre billiger und effektiver zu machen. Er regte die Einführung leistungsbezogener Gehälter an und jagte die Beratungsfirma McKinsey durch die Universität.

Angesichts dieser neuen, kommerziellen Prinzipien stört das Prinzip der akademischen Selbstverwaltung auf den ersten Blick nur. Doch sind dessen Auswirkungen in der Praxis ohnehin begrenzt. Nach einer 2000 in Kraft getretenen Reform obliegen bereits heute die Entscheidungskompetenzen über alltägliche administrative Angelegenheiten einer professionellen Schicht von Verwaltungsfachleuten in den fünf Lehrbereichen der Uni. Diese wiederum verfügen seit jeher über reichlich Autonomie. „Nicht nur Konservative sagen, dass das in den letzten 900 Jahren eigentlich ganz gut funktioniert hat“, sagt Kritiker Stargardt.

Leonard Novy

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