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Gesundheit: Berliner Klinika: Im Wettbewerb mit Heidelberg und München

Hans-Peter Seitz (59) ist Vorsitzender des wichtigsten Ausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, des Hauptausschusses. Der Hauptausschuss entscheidet über den Landeshaushalt.

Hans-Peter Seitz (59) ist Vorsitzender des wichtigsten Ausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, des Hauptausschusses. Der Hauptausschuss entscheidet über den Landeshaushalt. Außerdem ist Seitz Gesundheitsexperte der SPD. Er hat Physik studiert. Seit 1972 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Molekularbiologie der DDR-Akademie der Wissenschaften. Seit 1991 ist er Abgeordneter.

SPD und PDS verlangen einschneidende Veränderungen von der Berliner Hochschulmedizin. Wie sollen diese aussehen?

Wir haben in Berlin zwei Universitäten mit zwei Universitätsklinika an drei Standorten. Elf Jahre nach der Einheit dieser Stadt darf man sich die Frage stellen, ob das die optimale Struktur ist. Das auch vor dem Hintergrund der finanziellen Zwänge. Die Antwort muss sichern, dass weder Forschung noch Lehre durch eine neue Lösung schlechter gestellt werden. Ich denke, es gibt hierfür Möglichkeiten: Durch das Gesetz zur Neuordnung der Hochschulmedizin ist eine Zahl von 600 Studienanfängern pro Jahr in der Hochschulmedizin festgelegt worden. Brauchen wir dafür zwei Kliniken an zwei Universitäten oder gibt es auch die Möglichkeit eines gemeinsamen Hochschulklinikums? Diese und andere Fragen soll eine Expertenkommission beantworten und Vorschläge machen, wie das Problem gelöst werden kann.

Nehmen Sie nur die Studentenzahlen als alleiniges Kriterium für die Wertung der Hochschulmedizin in Berlin? Die Expertenkommission, die 1993 die ersten Empfehlungen für eine Neuordnung nach der Wiedervereinigung abgegeben hatte, hat bewusst den Rückstand der deutschen Hochschulmedizin in der Forschung beklagt und deswegen empfohlen, die Charité in Mitte mit dem Klinikum Rudolf Virchow der Freien Universität zusammenzulegen, damit die neue Charité in die Lage versetzt wird, mit den Spitzenkrankenhäusern in Heidelberg und München Schritt zu halten und auch international wieder eine Rolle zu spielen. Das stand im Vordergrund und nicht die Studentenzahl. Wollen Sie diese erfolgreiche Entscheidung jetzt korrigieren?

Nein, Sie haben ja selber das Argument dafür geliefert. Die Fusion des Universitätsklinikums Rudolf Virchow und der Charité sind erfolgreich. Es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Weshalb muss man an dieser Stelle stehen bleiben? Wäre es nicht auch möglich, die Forschung in Berlin insgesamt zu konzentrieren. Da wird immer behauptet, Wettbewerb fördert das Geschäft. Wettbewerb findet nicht nur in Berlin, der entscheidende Wettbewerb findet zwischen Berlin und den großen Standorten Heidelberg und München statt. Diesen Wettbewerb hat Berlin zu bestehen, und dafür könnte es durchaus sinnvoll sein, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben.

Wenn wir das in konkrete Berliner Schritte übersetzen, könnte das bedeuten, dass es künftig nur noch zwei Standorte für die Krankenversorgung geben wird, nämlich das Klinikum Rudolf Virchow in Wedding und das Klinikum Benjamin Franklin in Steglitz. Wird dann die Charité in Mitte vorwiegend zum Forschungsstandort?

Ich würde das nicht ausschließen, aber der Expertenkommission überlassen.

Die Charité bemüht sich zurzeit, um den Standort zu sichern, die Bundeswehr mit ihrem Krankenhaus in Mitte anzusiedeln. Sie denkt dabei an die Mitnutzung des Bettenhochhauses. Werden solche Pläne durch die Neuordnung gefährdet?

Keinesfalls! Es sollte zunächst geprüft werden, ob ein Universitätsklinikum Berlin sinnvoll ist. Dieses Unternehmen könnte sich dann auch Dritten gegenüber öffnen. Ein denkbarer Dritter ist die Bundeswehr. Dabei muss man auch nicht stehen bleiben. Ich schließe nicht aus, dass sich große Unternehmen in ihrem eigenen Interesse an dem Universitätsklinikum beteiligen. Und ich schließe auch nicht aus, dass sich andere Krankenhausunternehmen an diesem Klinikum beteiligen.

Ein Klinikum mit vielen Beteiligten, das müsste eine neue Rechtsform bekommen als GmbH oder als eingetragener Verein. Das heißt, die Gesellschafter würden dann die Freie Universität, die Humboldt-Universität, die Bundeswehr und Unternehmen sein?

Ich rede nur über meine Überlegungen und nicht die der Expertenkommission. Meine primäre Überlegung ist, dass ein Universitätsklinikum beispielsweise in der Rechtsform einer GmbH mit den beiden Gesellschaftern Freie Universität und Humboldt-Universität ein sinnvoller Ansatz sein kann. Weitere Gesellschafter oder Kooperationspartner sind dann nicht ausgeschlossen. Diese Lösung hätte den Vorzug, das wir Angebote konzentrieren können. Wir könnten Forschungsflächen konzentrieren, die medizinische Versorgung an den Standorten konzentrieren. Ein Universitätsklinikum hätte weiterhin den Vorzug, dass die Betten, die nicht mehr unmittelbar zur Universität gehören, trotzdem von dem Universitätsklinikum als Versorgungsbetten geführt werden.

Denken Sie auch an einen Abbau von Mehrfachangeboten?

Wir würden bestimmte Angebote der bisherigen Klinika an einem Ort konzentrieren. Wir brauchen nur eine Gerichtsmedizin, wir brauchen zum Beispiel nur eine pränatale Medizin, wir brauchen nur eine Zahnmedizin. Wir benötigen vielleicht auch nur eine Vorklinik. Das sind alles Strukturüberlegungen. Darüber soll sich die Expertenkommission Gedanken machen und prüfen, ob es sinnvoll und kostensparend sein wird und welche Eingriffe in Forschung und Lehre diese Eingriffe nach sich ziehen.

Der Wissenschaftsrat hat 1998 den Berliner Senat aufgefordert, eine dauerhafte Unterfinanzierung der drei Universitätsklinika zu vermeiden. Dann wäre es besser, ein Klinikum aufzugeben. Inzwischen erkennt der Wissenschaftsrat die außerordentlichen Forschungsleistungen der FU-Mediziner in Steglitz an und möchte der Freien Universität das Klinikum bewahren. Sehen Sie das auch so?

Niemand bestreitet die Forschungsleistung beider Universitätsklinika der Humboldt-Universität und der Freien Universität. Sie haben einen hohen Stellenwert in Deutschland. Umso mehr kann man sich fragen: Müssen sie das im Wettbewerb miteinander tun, oder würden sie das nicht unter einem Dach unter Umständen noch sehr viel besser können? Sie könnten ja im Wettbewerb um Drittmittel noch viel erfolgreicher sein.

Die SPD, PDS und Grüne verlangen von den Hochschulmedizinern, in drei Jahren 145 Millionen Mark zu sparen. Die Mediziner sagen, das gefährdet ihre Forschungsleistungen und die weitere Rekordeinwerbung von Drittmitteln. Das gefährdet auch den Reformstudiengang Medizin. Wollen Sie alle diese Glanzstücke der Berliner Hochschulmedizin in Frage stellen?

Das ist eine sehr provokante Frage. Ich bin grundsätzlich dagegen, einfach Geld zu streichen ohne Angaben darüber, wie man es leisten kann. Wenn man sagt, dass wir mit weniger Geld auskommen können, dann müssen wir auch darstellen, wie man mit weniger Geld auskommen soll. Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, dass eine Expertenkommission nicht nur klärt, wie man das Geld sparen kann, sondern wie man vor dem Hintergrund knapper Finanzen zu einer Struktur kommt, die es möglich macht, das zu sparen, ohne an Qualität einzubüßen. Hierzu wird die Expertenkommission bis Mitte des nächsten Jahres Aussagen machen. Ich bin durchaus nicht der Meinung, dass darunter der Reformstudiengang Medizin leiden muss. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, dass eine neue Struktur auch mehr Mittel für die Kernaufgaben der Universitätsklinika freisetzen kann. Ich glaube auch nicht, dass die Forschung leiden muss. Wir wissen ja, dass ein Teil der Drittmittel reine Forschung ist und ein anderer Teil Untersuchungsreihen zu Pharmazeutika und Kosmetika finanziert. Das ist weniger Forschung. Deshalb sollte auch eine Evaluierung der Qualität von Forschung und Lehre erfolgen und das Ergebnis in die Strukturüberlegungen einbeziehen.

Den Krankenhäusern in Berlin und in Deutschland steht eine neue Abrechnungsmethode bevor, die so genannten DRGS - das sind diagnosebezogene Fallgruppen. Die DRGS erfordern neue Zuordnungen von Funktionseinheiten und Betten. Wird dann die Gesamtzahl der für ein Universitätsklinikum notwendigen Betten zu überprüfen sein?

Mit der Einführung der DRGS wird es eine Revolution in der Kostenvergütung von Krankenhausleistungen geben. Eine Krankenhausleistung wird dann deutschlandweit gleich bezahlt. Egal ob sie an einer Universität erbracht wird, in einem nüchternen Zweckbau oder in einem denkmalgeschützten Krankenhaus mit großem Park. Fachleute haben mir gesagt, wenn sich am System der DRGS nichts mehr ändert, dann werden die Unversitätsklinika in Berlin einem satten dreistelligen Millionenbetrag an Verlusten entgegengehen. Man muss diesem Umstand Rechnung tragen.

Was bedeutet das für die Organisation der Klinika?

Deshalb glaube ich, dass die Organisation eines Universitätsklinikums in Berlin durchaus in der Größe, wie der Wissenschaftsrat das vorschlägt, eine sinnvolle Lösung ist. Das wäre dann sicher nicht die Gesamtzahl der Betten, die bisher beide Universitätsklinika betreiben. Aber die übrigen Betten sind dann für die Krankenversorgung nach dem Krankenhausplan notwendig. Der Wissenschaftsrat stellt zu Recht Forschung und Lehre in den Vordergrund seiner Strukturvorschläge. Da aber der wesentliche Beitrag zur Finanzierung von den Kassen kommt, muss die Krankenversorgung auch in sinnvolle betriebswirtschaftliche Strukturen gebracht werden. Wir könnten in Zukunft weniger Universitätsbetten haben, die aber in einer Zahl, die eine hochqualifizierte Forschung und Lehre ermöglicht und darüber hinaus vom selben Träger geführte Versorgungsbetten, die den DRGS gerecht werdem. Den drohenden Verlust eines dreistelligen Millionenbetrags müsste sonst das Land Berlin auf Dauer ausgleichen. Dazu hat es nicht das Geld.

SPD, PDS verlangen einschneidende Veränder

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