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Gesundheit: Das Lied der Eiweiße

Der Nobelpreis für Chemie 2002 belohnt Forscher, die Instrumente für die Nanobiologie entwickelten – Deutsche gingen leer aus

Von Bas Kast und

Hartmut Wewetzer

Die kleine Welt der Zelle wird immer größer, je näher man ihr kommt. Einem Zoo gleich ist sie bevölkert mit Zehntausenden verschiedener „Lebewesen“ – den Proteinen. Diese Eiweißmoleküle sind der Schlüssel, um das Leben und seine Krankheiten zu verstehen. Der Nobelpreis für Chemie des Jahres 2002 geht an drei Forscher, die Sonden für diesen Mikrokosmos bauten.

Der Amerikaner John Fenn, der Japaner Koichi Tanaka und der Schweizer Kurt Wüthrich entwickelten Methoden, um große biologische Moleküle wie Proteine oder Nukleinsäuren genauer zu untersuchen. Fenn und Tanaka teilen sich die eine Hälfte des mit insgesamt 1,1 Millionen Euro dotierten Preises, die andere geht an Wüthrich.

Fenn und Tanaka haben eine seit Jahrzehnten bewährte Methode ns Massenspektrometrie verfeinert und für die Lebenswissenschaften nutzbar gemacht. Bei der Massenspektrometrie wird eine Substanz zunächst in einen gasförmigen Zustand versetzt (zum Beispiel durch Verdampfen), dann elektrisch geladen und schließlich nach Ladung und Masse aufgetrennt. Das erlaubt die Feststellung, welche Substanzen (erkannt am charakteristischen Molekulargewicht) – und in welcher Menge – in einer Probe enthalten sind. Das Verfahren ist aus Chemie, Umweltanalytik und Arzneiforschung nicht mehr wegzudenken.

Die Massenspektrometrie ist extrem genau und kommt mit winzigen Probenmengen aus. Aber sie hat einen Nachteil: sie ist rabiat. Die Untersuchungsprobe wird zerstört, und große, für die Biologie interessante Moleküle wie Bluteiweiße konnten nicht „spektroskopiert“ werden, weil sie zu anfällig waren, um in gasförmige geladene Teilchen (Ionen) verwandelt zu werden. Das eben verlangt die Massenspektrometrie.

Ein Durchbruch kam 1988. Der Chemiker John Fenn von der Yale-Universiät präsentierte auf einem Symposium in San Francisco ein Verfahren namens Elektrospray-Ionisierung. Dabei wird die wässrige Stoffprobe in einem 3000 Volt starken Feld elektrisch aufgeladen (ionisiert). Schrittweise verschwindet das Wasser. Übrig bleiben die „nackten“ gasförmigen Ionen, wie man sie für die Massenspektrometrie braucht. Mit dieser schonenden Technik konnte Fenn auch empfindliche Proteine untersuchen, ohne sie vor der Messung zu zerstören.

Ein anderes „sanftes“ Verfahren wandte Koichi Tanaka von der Shimadzu Corporation an. Wie er 1987 auf einem Forschertreffen in Osaka bekannt gab, war es ihm gelungen, mit Hilfe eines „soften“ Laserstrahls intakte Proteine zu spektroskopieren.

Sowohl Fenn als auch Tanaka griffen zu einem Trick: Sie gingen die empfindliche Probe nicht direkt an, sondern betteten sie in eine Matrix ein, eine schonende Hülle. Das verhinderte die Zerstörung der fragilen Biomoleküle.

Wenig erfreut über das Votum des Nobel-Komitees für Tanaka waren am Mittwoch allerdings deutsche Forscher. Michael Karas (Uni Frankfurt am Main) und Franz Hillenkamp (Uni Münster) hatten in den 80er Jahren praktisch zeitgleich mit dem Japaner die eng verwandte „Maldi“-Technik entwickelt. Sie unterscheidet sich in technischen Details, zum Beispiel der Matrix und der Laser-Wellenlänge, von der Methode des Japaners. Und: das „Maldi“-Verfahren hat sich weltweit durchgesetzt. „Maldi“-Erfinder Michael Karas gegenüber dem Tagesspiegel auf die Frage, ob die Nobelpreis-Entscheidung gerechtfertigt war: „Kein Kommentar.“ Auf Verständnis lässt das nicht schließen.

Unbestritten dagegen ist der Verdienst des schweizer Forschers Kurt Wüthrich von der ETH Zürich, der quer durch die Wissenschaftsdisziplinen gehen musste, um dahin zu gelangen, wo er heute steht. Der mal Chemiker, mal Physiker, mal Mathematiker sein musste – und das, um eine Frage zu beantworten, die sich eigentlich ganz einfach anhört: Wie sieht eigentlich ein Eiweiß aus?

Der Mensch besteht zum wesentlichen Teil aus zwei Bausteinen: Wasser und Eiweißen. Die Eiweiße übernehmen verschiedenste Funktionen. Als Botenstoffe vermitteln sie Signale von Zelle zu Zelle. Als Hormone beeinflussen sie unsere Gefühle. Eiweiße sind die Bausteine unserer Muskeln und Organe. Wer also herausfindet, wie unsere Eiweiße aussehen, der weiß auch, wie wir – und die meisten unserer Krankheiten – beschaffen sind.

Wie also sehen Eiweiße aus? Wüthrich verfolgt die Frage seit Ende der 70er Jahre. Als „kleinen Wüterich“ beschreibt Dirk Heinz, Strukturbiologe bei der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig, den rastlosen Forscher. Bereits 1985 gelang es Wüthrich, mit Hilfe der Kernspinresonanz-Spektroskopie die Struktur eines Eiweißes komplett zu bestimmen.

Das Problem ist, dass man ein Eiweiß nicht einfach unter ein Mikroskop legen und studieren kann. Man muss indirekt vorgehen. Ein Verfahren ist die Kernspinresonanz-Spektroskopie. Der große Vorteil dieser Methode: Man kann die Eiweiße so studieren, wie sie auch im Körper vorliegen. Bei anderen Verfahren, etwa der Röntgenkristallographie, muss man dem Eiweiß zuerst das Wasser entziehen, es kristallisieren.

Bei der Kernspinresonanz-Spektroskopie bringt man das Eiweiß in ein Magnetfeld, das auf die Atomkerne des Proteins wirkt. Die Kerne mancher Atome verhalten sich in dem starken Magnetfeld wie Kompassnadeln – sie zeigen alle in die gleiche Richtung. Ein starker Impuls von Radiowellen bringt die Kerne aus ihrer Position, als würde man einen Kompass schütteln. Danach kehren die Kerne wieder in ihre alte Position zürück und geben dabei Radiowellen ab. Diese Radiowellen geben Auskunft über die Struktur des Eiweißes. Wüthrichs großer Wurf: Er entwickelte ein Verfahren, mit dem man den Abstand zwischen den Atomen eines Eiweißes bestimmen kann.

Die Radiowellen, die das Eiweiß abgibt, sind wie ein Lied in der Oper – man versteht einfach nicht, was da gesungen wird. Also entwickelte Wüthrich auch mathematische Methoden, die das Lied der Eiweiße dekodieren können.

Wüthrichs Entdeckungen könnten helfen, Krankheiten aufzuklären. Bei Alzheimer beispielsweise ist es ein Eiweiß, dass sich in und an die Hirnzellen lagert und diese zerstört. Auch der Verursacher des Rinderwahns BSE ist ein Protein („Prion“). Diesem ist man mit Hilfe der Kernspinresonanz-Spektroskopie schon auf die Schliche gekommen. Wüthrich konnte zeigen, dass das Prion aus zwei Teilen besteht. Ein Teil ist stabil, der andere ist äußerst flexibel. Am Prion wird die ganze Bedeutung der Strukturbiologie deutlich: Nur eine falsche Faltung macht aus diesem harmlosen Eiweiß ein Molekül des Todes.

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