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Gesundheit: Das Strahlen von innen

Rheumakranken eine radioaktive Flüssigkeit injizieren? Das klingt zunächst gefährlich. Doch die Therapie wird seit langem erfolgreich angewandt. Ein Besuch bei einem Nuklearmediziner.

Unter das rote Laser-Fadenkreuz auf dem Behandlungstisch platziert Ingrid Manko ihr angeschwollenes Handgelenk. So kann der Arzt die radioaktive Flüssigkeit injizieren, die in einer mit Plexiglas ummantelten Spritze bereitliegt. Unter dem Fadenkreuz sitzt der Auslöser für die Schmerzen, die die 75-jährige Rheuma- Patientin aus Steglitz seit kurz vor Weihnachten plagen: die entzündete Schleimhaut im Gelenk. Hier sollen sich die Radionuklide einnisten, damit die Schleimhaut abschwillt und sich regenerieren kann.

Radiosynoviorthese (RSO) oder nuklearmedizinische Injektionstherapie nennt sich das Verfahren, bei dem mit Strahlung gegen die chronische Entzündung der Gelenkschleimhaut vorgegangen wird. Der Nuklearmediziner Ekkehart Stelling, 52, spritzt im Vivantes-Auguste-Viktoria-Klinikum in Schöneberg mehr als 1500 Patienten pro Jahr die strahlende Flüssigkeit in die entzündeten Gelenke. Meist sind es Rheuma-Patienten, aber auch bei reaktiver Arthritis, Arthritis bei Schuppenflechte oder Entzündungen nach dem Einsatz künstlicher Gelenke kann die RSO helfen, wenn alle medikamentösen Therapien und die Cortison-Behandlung nicht angeschlagen haben.

Bundesweit werden jedes Jahr 65000 radioaktive Spritzen verabreicht, schätzt Gynter Mödder, Experte des Berufsverbands Deutscher Nuklearmediziner. Er wendet die Methode schon seit den 70er Jahren an und hat sie entscheidend vorangebracht. Es ist eine kleine Spritze mit großer Wirkung. „Man belästigt die Patienten ja kaum“, sagt er. Anders als bei der Operation können zudem mehrere Gelenke auf einmal behandelt werden.

Für Ekkehart Stelling, der die Therapie seit mehr als 20 Jahren anbietet, ist der Umgang mit dem strahlenden Material Routine. Das Hauptrisiko besteht für die Patienten in der Infektionsgefahr, nicht in der Strahlenbelastung. Die sei niedrig, vergleichbar mit einer Röntgenaufnahme, sagt der Nuklearmediziner. Die sogenannten Beta-Strahler wirken lokal und haben eine auf die Größe des Gelenks abgestimmte Reichweite zwischen 0,3 Millimeter und einem Zentimeter.

Die Behandlung beginnt bei Ingrid Manko mit einer ausgiebigen Desinfektion des Handgelenks. Auch Ekkehart Stelling lässt sich die Hände nochmals von der Röntgenassistentin desinfizieren und sich Handschuhe reichen. „Damit ich keine Fingerabdrücke hinterlasse“, sagt er und lacht. Patientin, Arzt und Assistentin tragen schwere Bleischürzen zum Schutz vor der Strahlung des Röntgengeräts, das über den Behandlungstisch ragt. Es dient dem Arzt dazu, sicherzugehen, dass die Nadel auch wirklich im Gelenk sitzt. Zuvor gelangt eine lokale Betäubung durch die Kanüle, gefolgt von einem Kontrastmittel für das Röntgenbild. Zuletzt setzt Stelling die Spritze mit dem Plexiglas-Mantel an.

Die radioaktiven Teilchen verteilen sich durch die Gelenkflüssigkeit an der entzündeten, stark verdickten Schleimhaut. Die vernarbt durch die Strahlenwirkung – die Entzündung geht zurück, die Schleimhaut kann sich regenerieren. Ekkehart Stelling schätzt, dass das Verfahren bei etwa 75 Prozent der Fälle anschlägt. Bei manchen Patienten tritt eine Besserung schon nach wenigen Tagen ein. Eine abschließende Beurteilung über den Erfolg der Therapie fällt der behandelnde Arzt nach drei bis sechs Monaten.

Auch Adriana Grzanna, 65, aus Schöneberg, hat Stellings Spritze geholfen. Rheumatoide Arthritis wurde 1993 bei ihr diagnostiziert. „Das sind brennende Schmerzen, als ob der ganze Körper Feuer gefangen hätte“, sagt sie. Genau weiß sie nicht mehr, wie oft die RSO bei ihr durchgeführt wurde, rund sechsmal, meist in den Fingergelenken. Die Entzündungen gingen zurück – auch wenn eine Heilung des Rheumas nicht erreicht werden kann.

Auch Ingrid Manko hat sich vor zehn Jahren bereits das Kniegelenk mit der RSO behandeln lassen, dann war erst einmal Ruhe. Jetzt sind die Schmerzen kurz vor Weihnachten wieder in den Handgelenken aufgetaucht. „Zwei Nächte lang konnte ich überhaupt nicht schlafen“, erzählt sie und hofft, dass die RSO jetzt erneut erfolgreich ist. Beim linken Handgelenk, das ebenfalls dick geschwollen ist, stellte Ekkehart Stelling bei der Voruntersuchung fest, dass die Sehnenscheiden betroffen sind. Hier hilft die Injektion nicht, sondern nur noch die Operation. Ein gutes Drittel der Patienten müsse er wieder nach Hause schicken, sagt Stelling, weil die Voraussetzungen am Gelenk nicht stimmen. Zu den Voruntersuchungen zählen auch Ultraschall und das bildgebende Verfahren der Knochenszintigrafie.

Die Radionuklide werden für die Patienten extra bestellt – an zwei Tagen pro Woche lässt Stelling sie aus Frankreich liefern. Noch am selben Tag müssen sie gespritzt werden, weil sie sonst aufgrund der geringen Halbwertszeit von wenigen Tagen nicht mehr wirksam sind. Hinter einer Tür mit dem gelb-schwarzen Strahlenwarnzeichen werden die Flüssigkeiten im Schutz einer kleinen Bleiabschirmung mit Sichtfenster auf die Spritzen verteilt. Alles Material, das bei der Therapie verwendet wird, kommt in den Abklingkeller der Klinik, wo es nach etwa 250 Tagen erneut auf Strahlung getestet und dann entsorgt wird.

Bis zu 40 Patienten spritzt Ekkehart Stelling pro Behandlungstag und rotiert dabei zwischen fünf Behandlungszimmern. „Geschwindigkeit ist das Beste, sonst werden die Patienten wegen der Spritzen zu aufgeregt“, sagt er. Zum Schluss kommt ein Verband um das Gelenk und gegebenenfalls eine Schiene zum Ruhigstellen. Abschließend wird per Szintigrafie überprüft, ob sich die strahlende Flüssigkeit wie erwünscht im Gelenk verteilt hat. 48 Stunden lang müssen die Patienten das Gelenk dann ruhig stellen.

Ingrid Manko hat die Behandlung unbeeindruckt über sich ergehen lassen. „Als Rheumakranker bekommt man so viele Spritzen, da ist man abgehärtet“, sagt sie. Im schlimmsten Fall wird sie von der Spritze eine leichte Schwellung bekommen – im besten Fall erwarten sie erneut viele schmerzfreie Jahre.

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