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Gesundheit: Das Universum nebenan

Astronomen und Physiker vermuten, dass es mehr als einen Kosmos gibt

Von Rainer Kayser, dpa

Das Weltall ist unvorstellbar groß – vielleicht sogar unendlich. Trotzdem ist es Forschern noch nicht groß genug: Sie spekulieren, ob es außer unserem Weltall nicht noch weitere Universen geben könnte: möglicherweise wiederum eine unendliche Anzahl, Universen mit anderen Naturgesetzen, aber auch Paralleluniversen, die dem unseren bis auf kleine Unterschiede gleich sind.

Die Existenz anderer Universen könnte dabei helfen, eine Reihe fundamentaler Fragen zu beantworten, so die Hoffnung einiger Kosmologen und Physiker. Zum Beispiel die Frage, warum die Naturgesetze und Naturkonstanten in unserem Universum gerade so aufeinander abgestimmt sind, dass intelligente Lebewesen existieren. Schon geringfügig andere Werte der Naturkonstanten hätten dazu geführt, dass nach dem Urknall alle Materie in kürzester Zeit auf Nimmerwiedersehen in Schwarzen Löchern verschwunden wäre. Oder es hätten sich keine schwereren Elemente als Wasserstoff bilden können. In beiden Fällen hätte es in unserem Kosmos weder Planeten noch Lebewesen gegeben.

Wenn es jedoch nicht nur ein Weltall, sondern eine unendliche Vielfalt von Universen mit allen denkbaren Bedingungen gibt, hat dieses Problem eine einfache Lösung: Natürlich findet sich ein intelligenter Beobachter in genau einem solchen Universum wieder, dessen Bedingungen die Entstehung von Leben erlauben – denn sonst könnte es ihn nicht geben. Die Warum-Frage wird damit zur Tautologie.

Nicht alle Wissenschaftler sind von dieser kosmischen Vielfalt begeistert. „Das ist keine überprüfbare Idee“, sagt Paul Steinhardt von der Universität Princeton. „Niemand kann nachweisen, ob es diese Universen gibt oder nicht. Und damit betreten wir das Reich der Metaphysik."

Der Kosmologe Andreas Albrecht von der University of California sieht das anders. Für ihn sind andere Universen eine logische Folge der Quantenmechanik. „Sie ergeben sich einfach aus der Mathematik - wir haben keine Wahl." Nach gängigen Vorstellungen der Kosmologen ist unser Universum nämlich aus einer Quantenfluktuation geboren: Die Quantentheorie erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen die Entstehung von Materie und Energie quasi aus dem Nichts.

Und sie lässt sich, so Albrecht, nicht auf ein Ereignis, auf einen Urknall beschränken. „Die Quantenmechanik gibt die anderen Alternativen nicht freiwillig auf." Damit nicht genug, liefert die Quantenmechanik gleich noch ein weiteres Füllhorn voller Universen gratis dazu. In dieser Theorie ist der Zustand etwa eines Elementarteilchens nicht mehr durch feste physikalische Größen wie Ort und Geschwindigkeit gegeben, sondern nur noch durch Wahrscheinlichkeiten, ausgedrückt in der „Wellenfunktion". Erst unsere Beobachtung lässt das Teilchen wie von Zauberhand einen bestimmten Zustand einnehmen. Physiker sprechen vom „Kollaps der Wellenfunktion“, ohne eigentlich zu verstehen, warum es dazu kommt.

Berühmt-berüchtigt ist das Beispiel von „Schrödingers Katze“, einem Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger: In einem geschlossenen Kasten befindet sich ein Atom. Es zerfällt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Zerfällt es tatsächlich, setzt die dabei entstehende Strahlung über einen Mechanismus ein Gift frei, das eine ebenfalls im Kasten sitzende Katze tötet.

Nach einer bestimmten Zeit beträgt die Wahrscheinlichkeit für den Zerfall des Atoms 50 Prozent. Ist die Katze noch lebendig oder schon tot? Aus Sicht der Quantenmechanik weder noch: Sie befindet sich in einem makabren Überlagerungszustand, beschrieben durch die Wellenfunktion des gesamten Kasteninhalts. Erst wenn der Beobachter den Kasten öffnet, kollabiert die Wellenfunktion und die Katze ist entweder tot oder lebendig.

Dem gesunden Menschenverstand widerspricht die Existenz solcher Zombiekatzen. Die Existenz anderer Universen bietet aber einen Ausweg aus dem Dilemma. Schon 1957 schlugen der Student Hugh Everett und sein Betreuer John Wheeler an der Universität Princeton vor, es gäbe gar keinen Kollaps der Wellenfunktion. Jede Möglichkeit der Quantenmechanik sei vielmehr in einem anderen Universum verwirklicht. Jeder quantenmechanische Vorgang führt dieser These zufolge zu einer Aufspaltung unseres Weltalls in zwei oder gar mehr parallele Universen, die sich nur geringfügig – zum Beispiel durch eine entweder tote oder lebendige Katze – voneinander unterscheiden.

Die Paralleluniversen befreien die Physik vom Zufall. Die Frage, warum ein Atom zerfällt oder nicht, ist sinnlos, wenn beide Möglichkeiten in verschiedenen Universen verwirklicht sind. Doch auch diese Theorie hat Nachteile: Die Paralleluniversen sind keiner Beobachtung zugänglich, ihre Existenz lässt sich also nicht beweisen. In parallelen Universen wäre letztlich jeder mögliche Verlauf der Geschichte des Kosmos realisiert, und damit auch der Menschheit oder unseres persönlichen Lebens. Der Astrophysiker Max Tegmark wies kürzlich darauf hin, dass dazu allerdings nicht einmal Paralleluniversen nötig sind. Unser eigener Kosmos reicht völlig aus, um Doppelgänger aller Art von uns zu enthalten. Denn in einem unendlichen Weltall müsse alles, was physikalisch erlaubt ist, auch irgendwo existieren. Und das nicht nur einmal, sondern beliebig oft – unendlich oft.

Tegmarks Überlegungen basieren auf der Unendlichkeit des Kosmos. Erst kürzlich behaupteten jedoch der Astronom Jean-Pierre Luminet von der Sternwarte Paris und der amerikanische Mathematiker Jeff Weeks, unser Universum sei lediglich 37 Milliarden Lichtjahre groß. Wenn sich diese umstrittene These bestätigen sollte, dann kann es in unserem Universum keine Parallelwelten mit Doppelgängern von uns geben. An die Vielfalt der Universen der Kosmologie und der Quantenmechanik aber werden wir uns wohl gewöhnen müssen, glaubt Albrecht.

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