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Gesundheit: „Den Einfluss der Industrie bremsen“

Der Arzneimittelexperte Wolf-Dieter Ludwig kritisiert unseriöses Marketing

Herr Professor Ludwig, wozu brauchen wir in Deutschland eine Arzneimittelkommission?

In erster Linie ist es unsere Aufgabe, die Ärzte über Arzneimittel zu informieren. Eine unserer wichtigen Aufgaben ist die Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen. In Zukunft wollen wir uns verstärkt damit beschäftigen, auch die Patienten über das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Arzneimitteln zu informieren. Im Internet-Zeitalter ist das ein besonders wichtiges Thema. Dabei ist Unabhängigkeit von der pharmazeutischen Industrie, aber auch Unabhängigkeit vom Staat ein ganz entscheidender Punkt.

Sehen Sie die Pharmaindustrie als Gegner?

Einerseits ist sie unser Partner bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe, die wir dringend brauchen. Und wir brauchen die Firmen bei der aufmerksamen Beobachtung unerwünschter Wirkungen von Medikamenten. Hier sind sie wichtige Gesprächspartner und keineswegs Gegner. Leider spielen Forschung und Entwicklung in den Firmen aber heute eine zu geringe Rolle, dafür hat sich das Marketing sehr in den Vordergrund gedrängt. Wir müssen unbedingt den Einfluss bremsen, den die Industrie auf das Verordnungsverhalten der Ärzte nimmt. In diesem Punkt sehe ich sie durchaus als bisweilen übermächtigen Gegner. Einer der Schwerpunkte unserer Tätigkeit wird darin bestehen, unseriöse Marketingstrategien öffentlich zu machen. Denn die haben eindeutig zugenommen.

Betrifft das auch die Patienten?

Wir müssen die unabhängige Information nicht nur für Ärzte, sondern auch für Patienten deutlich verbessern. So hat zum Beispiel die Infiltration der Selbsthilfegruppen durch die Pharmaindustrie inzwischen ein bedenkliches Ausmaß angenommen. So wichtig solche Gruppen für Krebskranke oder Menschen mit einer chronischen Krankheit sind: Es ist eine fatale Entwicklung, dass einige von ihnen sogar ganz gezielt von Firmen gegründet wurden. Da werden etwa Krebspatienten ermuntert, auf wenig sinnvollen Verordnungen zu bestehen. Es wird der Eindruck erweckt, der behandelnde Arzt behandle aus Kostengründen falsch, wenn er seinem Krebspatienten nicht auf jeden Fall das teure Erythropoetin – ein Mittel gegen Blutarmut – verordnet. Dabei hilft das keineswegs jedem.

Wie merkt ein Patient, ob eine Selbsthilfegruppe unabhängig ist?

Man sollte sich informieren, woher die Organisation ihr Geld bekommt. Interessenkonflikte, die sich daraus ergeben, müssen unbedingt offengelegt werden.

Sind eigentlich die Medikamente die „Hauptschuldigen“, wenn unser Gesundheitswesen immer teurer wird?

Medikamente sind heute der zweitgrößte Posten in den Leistungsausgaben der Krankenversicherung, an erster Stelle stehen die Klinikbehandlungen.

Wenn die Behandlung besser wird, muss man eine Kostenexplosion dann nicht akzeptieren?

Ja und nein: Viele neue Medikamente bringen den Kranken eindeutig eine Verbesserung. Aber es kommen auch zahlreiche Analogpräparate auf den Markt, die keinen Zusatznutzen haben. Ein großes Problem ist auch, dass neu zugelassene Mittel meist in kurzer Zeit vielen Patienten verordnet werden, obwohl man ihren Stellenwert noch gar nicht kennt und nicht weiß, wem sie wirklich nützen. Diese Therapie nach dem Gießkannenprinzip ist teuer und wegen der möglichen Nebenwirkungen ethisch problematisch. Wir brauchen ein System, mit dem der Nutzen der neuen Medikamente besser erfasst werden kann. Und wir müssen verlangen, dass die Hersteller, die an den Präparaten gut verdienen, sich auch an den Kosten für unabhängige Studien nach der Zulassung beteiligen.

Wie wird es weitergehen mit der Medikamentenentwicklung?

Allein in der Tumorbehandlung sind fast 400 neue Wirkstoffe in der klinischen Prüfung. In den nächsten Jahren werden sicher viele teure Medikamente zugelassen werden. Das Machbare wird noch einmal exponentiell zunehmen. Damit kommt eine Kostenlawine auf uns zu, die auch durch immer neue Gesetze nicht gebremst werden kann. Um eine Rationierung werden wir wahrscheinlich nicht herumkommen. Doch sie ist nur vertretbar, wenn wir gute Kriterien anlegen können. Wir müssen den Patienten wirklich innovative Medikamente zugute kommen lassen. Gleichzeitig müssen wir verhindern, dass man mit Arzneimitteln, deren Nutzen wir gar nicht kennen, das große Geld verdienen kann.

Die Fragen stellte Adelheid Müller-Lissner.

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