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Gesundheit: Der Bundestag entscheidet heute. Eine Aufnahme in die Verfassung ist jedoch unwahrscheinlich

Ostern naht, und die Eierproduzenten krempeln die Ärmel hoch. Aus Ställen mit Hunderttausenden von Din A4-großen Hühnerkäfigen pressen sie den enormen Bedarf für das farbenfrohe Fest heraus.

Ostern naht, und die Eierproduzenten krempeln die Ärmel hoch. Aus Ställen mit Hunderttausenden von Din A4-großen Hühnerkäfigen pressen sie den enormen Bedarf für das farbenfrohe Fest heraus. Für gesellschaftliche oder politische Diskussionen bleibt da keine Zeit. Nein, die Eierproduzenten kümmert die für heute vorgesehene Abstimmung im Bundestag über den Tierschutz als Grundrecht nicht. Das neuerliche Aufbegehren von SPD, Grünen und der FDP wird nicht als Gefahr für die Legebatterien angesehen. Hier geht alles vorschriftsgemäß zu. Die europäische Legehennenverordnung hat das Federvieh erst kürzlich in zentimetergenaue Schranken verwiesen. Für die nächsten Jahre dürfte es dabei bleiben.

Auch in anderen Zweigen der Massentierhaltung oder Tierzüchtung, wo Tieren am deutlichsten sichtbar Leid zugefügt wird, reagiert man gelassen. Dass der Tierschutz möglicherweise in die Verfassung aufgenommen wird, führt weder Mastviehhalter noch Schlächter zu Protestaktionen und Traktor-Karawanen zusammen.

"Der Staat schützt auch in der Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere", soll der um drei Worte ergänzte Grundgesetzartikel 20"a lauten, wenn es nach dem Willen der breiten interfraktionellen Mehrheit ginge. Aber dass die Tiere durch eine Verfassungsänderung wirklich geschützt würden, dass der Mensch auch ihm fremden Lebewesen in Zukunft mehr Respekt entgegenbringt, damit rechnet hier zu Lande offensichtlich niemand. Zu weit klaffen die Gedanken, die sich mit dem Verfassungsziel verbinden, und die durch Gesetze geregelte gängige Praxis in der Nahrungsmittelproduktion auseinander, als dass der Status Quo in absehbarer Zeit ernsthaft ins Wanken geraten könnte.

Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Wolfgang Apel, kann sogar erfreut auf die Unterstützung durch den Deutschen Bauernverband verweisen. "Ich sehe keine Nachteile für die Landwirtschaft, und bei einer breiten politischen Mehrheit bejahen wir das Staatsziel Tierschutz", hatte der Präsident des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, gesagt.

Der Koalition der Tierfreunde im Bundestag, der auch die PDS angehört, fehlen für eine Zweidrittelmehrheit allerdings 25 Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU. Und die wird sie wohl nicht bekommen. Denn die Unionsfraktion hat sich auf ihrer Sitzung am Mittwoch in Berlin geschlossen dagegen ausgesprochen, den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen.

Die CDU/CSU will damit vor allem der Forschung den Rücken stärken. Während sich Bauern, die chemische Industrie und die Pharmaindustrie - sich einer starken Lobby bewusst - ruhig zurücklehnen, wird der Konflikt um den Tierschutz seit Jahren in erster Linie in der Wissenschaft ausgetragen. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis hin zur Hochschulrektorenkonferenz befürchten die Wissenschaftsorganisationen, dass ein Staatsziel Tierschutz die Forschung "in nicht hinnehmbarer Weise" beeinträchtigen würde. Man rechnet mit einer Flut von Prozessen und einstweiligen Verfügungen gegen Tierversuche. Als Folge davon könnten Hintergründe für Krankheiten oder Therapien nicht mehr aufgeklärt werden, Forscher müssten mit ihren Vorhaben ins Ausland abwandern.

Tatsächlich richtet sich der Zorn vieler Tierschützer vor allem gegen mit öffentlichen Mitteln geförderte Tierexperimente. Auch bei einer Demonstration am Dienstag in Berlin wurde der Hirnforscher als Hauptfeind angeprangert, der einem Menschenaffen Elektroden am Kopf befestigt: Hier die kalte Rationalität des Forschers, dort das Mitgefühl für die dem Menschen in der Evolution am nächsten stehenden Lebewesen. Und ein noch so strenges Tierschutzgesetz schützt diesen Primaten nicht vor dem Zugriff der Wissenschaft. Denn die Forschungsfreiheit hat Verfassungrang und damit bislang Vorrang vor einem Anspruch der Tiere auf Leidensfreiheit.

Auch Forscher stehen Experimenten mit Menschenaffen mitunter kritisch gegenüber. Der Primatenforscher Cristophe Boesch, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, spricht sich zum Beispiel dagegen aus, dass Schimpansen als Versuchstiere für die Aidsforschung herhalten müssen. Dadurch würde eine ganze Art bedroht, sagt Boesch.

Für viele einstige Tierversuche gibt es inzwischen Ausweichverfahren. Die Zahl der Experimente ist daher in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen: Mussten 1989 noch 2,6 Millionen Versuchtiere sterben, waren es 1998 noch 1,5 Millionen Tiere, vor allem Mäuse und Ratten. Doch wer erwartet, dass Medikamente so helfen, wie sie helfen, könne derzeit nicht auf Tierversuche verzichten, betonen Forscher.

Rüdiger Wolfrum, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, ist einer der Vermittler zwischen Forschung und Tierschutz. Er hält die Folgen einer Verfassungsänderung auch für die Forschung für vertretbar. Natürlich müssten einige Prozesse ertragen werden. "Und ich will nicht ausschließen, dass es mittelfristig gesetzgeberische Veränderungen geben würde. Aber auch das Bewusstsein würde sich ändern", sagt Wolfrum. "Ich verspreche mir davon eine künftig emotionsfreiere Abwägung zwischen dem Tierschutz einerseits und der Gesundheitsforschung und der Grundlagenforschung andererseits. Die Probleme würden dann endlich dorthin getragen, wo sie hingehören: nämlich in den Bundestag und nicht in Einzelfallentscheidungen."

Wenn erkennbar wird, dass ein Großteil der Bevölkerung Tiere als schützenswert erachtet, wird der Tierschutz wohl früher oder später Eingang ins Grundgesetz finden. Dann aber werden sich nicht nur Forscher noch öfter fragen lassen müssen, was sie mit Tieren machen und ob es dazu keine Alternativen gibt.

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