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Gesundheit: Die Fluten des Mars

Der Rote Planet ist staubtrocken, aber unter seiner Oberfläche liegt Eis – und das ergießt sich bisweilen explosionsartig über die Landschaft

Von Thomas de Padova

Auch auf dem Mars gibt es Überschwemmungen. Und sie verlaufen heftiger als hienieden auf der Erde. Das Wasser tritt dort plötzlich und explosiv aus großen Tiefen hervor. Die anschließenden Fluten graben Kanäle in den Marsboden, die noch nach Jahrmillionen zu sehen sind.

An der Universität von Arizona in Tucson beugt sich Alfred S. McEwen über ein Foto der steinigen Marskruste. Die Satellitenaufnahme zeigt eine karge Landschaft. Hier und da hat der Mars kleine Dellen, Krater, die herabstürzende Metoriten ins Gestein geschlagen haben. Neun Grad nördlich des Äquators hält der Direktor des Planeten-Bildlabors inne und weist auf den „Cerberus-Graben“ (siehe Grafik). Die Schlucht durchschneidet die Landschaft auf einer Länge von 100 Kilometern.

„Die Gegend hier liegt nicht weit von der Landestelle entfernt, in der vor wenigen Jahren bei der Mars-Pathfinder-Mission ein kleiner Roboter landete“, sagt McEwen. „Wir gingen zunächst davon aus, dass die Region seit jeher trocken ist.“ Denn das sechsrädrige amerikanische Fahrzeug stieß 1997 während seiner wochenlangen Fahrt über den Mars nur auf Staub, Sand und Fels. In seinem Wirkungskreis gab es keinerlei Spuren von Wasser. Der Mars entpuppte sich einmal mehr als kalte Gesteinswüste.

Doch ist selbst hier vor nicht allzu langer Zeit Wasser geflossen. Das legen zumindest die Bilder nahe, die die amerikanische Raumsonde „Mars Global Surveyor“ in den vergangenen Jahren gemacht hat.

„Sehen Sie diesen Kanal?“, fragt McEwen und folgt mit dem Finger einem schmalen Tal, das vom Cerberus-Graben aus in Richtung Südwesten führt (siehe Bild). „In der Mitte des Kanals liegen mehrere Inseln. Und diese Inseln sind exakt stromlinienförmig. Durch den Kanal muss einst Wasser geflossen sein – das ist die einzig schlüssige Erklärung für die Form der Inseln.“

Ein „junges“ Flussbett

„Der Kanal sieht genau so aus wie ein Flussbett“, ergänzt seine junge Kollegin Devon M. Burr. „Er ist etwa 20 Kilometer breit und 100 Meter tief.“ Dann zeigt sie auf weitere Einzelheiten: Sedimentablagerungen und kleine Rinnsale, die an den Seitenwänden des Kanals heruntergelaufen zu sein scheinen.

Auffällig ist weiterhin, dass das Flussbett selbst unberührt und jung ist. Die Inseln dagegen sind stark erodiert. Meteoriten, die auf den Mars gestürzt sind, haben Krater auf den Inseln und der umgebenden Landschaft hinterlassen. Im Flusslauf dagegen kaum.

„Der Wasserlauf kann sich erst vor wenigen Millionen Jahren bei einer plötzlichen Flut in das Gelände gegraben haben“, sagt McEwen. „Und dieses Wasser kam sicherlich aus sehr tiefen Schichten an die Oberfläche.“ Es sei vermutlich in starken Eruptionen aus dem Cerberus-Graben ausgetreten.

Die beiden Planetenforscher haben in den zurückliegenden Monaten noch mehr derartige Bilder studiert. Auch in anderen Marsgegenden sind sie auf die Hinterlassenschaften einstiger Überflutungen gestoßen. Alle Versuche, diese Fotos anders zu deuten, sind bislang gescheitert.

Eine nahe liegende Vermutung wäre, dass Lava die Kanäle ausgegraben hat. „Lava kann sehr flüssig sein", sagt McEwen. „Aber bei einem Lavastrom würden keine Inseln in der Mitte des Flussbettes zurückbleiben.“ Auch Gletscher scheiden als Alternative aus. Sie könnten sich auf dem Mars wegen der geringen Schwerkraft des Planeten nicht schnell genug vorwärts wälzen. Auch Ströme aus flüssigem Kohlendioxid wären nicht dicht genug und hätten nicht genügend Kraft, derartige Kanäle auszuheben.

Jeder Krater zählt

Wann das Wasser durch die Täler geflossen ist, lässt sich bisher nur grob abschätzen. McEwen kommt in seinen Berechnungen auf etwa zehn Millionen Jahre. Den wichtigsten Anhaltspunkt dafür geben die Einschlagskrater der Meteoriten. Es ist bekannt, wie viele Meteoriten welcher Größe den Mars alle Million Jahre im Durchschnitt treffen. Ein einfaches Abzählen der wenigen Krater im Flussbett verweist somit auf dessen Alter.

Zehn Millionen Jahre sind, geologisch betrachtet, ein sehr kurzer Zeitraum. Denn der Mars selbst ist mit 4,5 Milliarden Jahren so alt wie die Erde. Das Wasser ergoss sich erst „gestern“ über den Mars. Und wahrscheinlich gibt es auch heute noch kurzzeitige Überschwemmungen auf dem Roten Planeten.

Das nötige Wasser dafür scheint immer noch vorrätig zu sein: in Form von unterirdischem Eis, das mit dem Gestein vermischt ist. Auf der Marsoberfläche selbst dagegen kann sich kein Wasser halten. Es würde sofort in den Weltraum entweichen.

Das unterirdische Eis reicht an den Polkappen des Mars bis an die Oberfläche heran. Das hat McEwens Kollege William Boynton anhand der Satellitenaufzeichnungen der „Mars-Odyssee“-Sonde kürzlich nachgewiesen. „Mit den Messgeräten können wir maximal einen Meter tief unter die Oberfläche des Planeten schauen“, sagt Boynton. „Trotzdem waren wir überrascht, so viel Wasser auf dem Mars zu finden.“

Die Eisvorräte erstrecken sich von den Polen bis hinab zum fünfzigsten Breitengrad. Näher zum Äquator hin entschwindet das Eis in größere Tiefen. „Der Mars ist wohl immer noch ein sehr wasserreicher Planet, obwohl er in der Vergangenheit sicherlich viel Wasser verloren hat“, resümiert McEwen. „Ob es auf dem Mars jemals einen Ozean gegeben hat, ist hingegen reine Spekulation.“

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