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Gesundheit: Die Kunst, einen Fehler zu finden

Rechtsmediziner setzen sich für die Interessen von Patienten ein – auch Politik und Gerichte stärken ihnen den Rücken

Wir befinden uns im Umbruch: von einer paternalistischen zu einer partnerschaftlichen Medizin. Erwachsene lassen sich nicht mehr wie unmündige Kinder behandeln, nur weil sie krank sind.

„Die Mehrzahl der Ärzte lernt begreifen, dass eine paternalistische Haltung nicht die Autonomie und die Würde des Patienten respektiert“, sagte auch Wolfgang Eisenmenger, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Dennoch macht es ihm und vielen seiner Fachkollegen Sorgen, dass die Missachtung der Patientenrechte noch immer verbreitet ist. „Die Sprachlosigkeit zwischen Arzt und Patient ist oft Anlass zu Klagen.“ Weil Patienten Kunstfehler vermuten, wenn sie mit Behandlungsmisserfolgen allein gelassen werden.

Das Klima ändert sich jedoch. Immer mehr Ärzte wünschen sich mündige Patienten, die Verantwortung für ihre Gesundheit und Mitverantwortung für ihre Genesung übernehmen können; nicht so einfach bei dem asymmetrischen Verhältnis zwischen dem wissenden Fachmann und dem hilfesuchenden Laien.

Oft steht nicht Absicht hinter der Verletzung von Patientenrechten, sondern Nachlässigkeit oder Unkenntnis, bestätigt der Münchner Rechtsmediziner. Beispiele kennen viele Patienten aus eigener Erfahrung. Da wird mit Daten sorglos umgegangen, wenn der Computer der Arzthelferin so steht, dass man fremde Krankengeschichten mitlesen kann. Da wird Patienten ihr verbrieftes Recht auf Einsicht in ihre Akten verweigert. Und da wird noch immer gegen die ärztliche Pflicht zur ausführlichen und verständlichen Aufklärung verstoßen.

Aber ohne Einwilligung des informierten Patienten ist jede eingreifende Untersuchung und jede Therapie – nicht nur eine Operation – eine strafbare Körperverletzung. Ein Patient, etwa ein Schwerkranker, kann zwar ausdrücklich auf Aufklärung verzichten oder eine Vertrauensperson dafür benennen, dies muss der Arzt aber dokumentieren. Als Körperverletzung kann auch Nichtbehandlung gelten, zum Beispiel eine unzureichende Therapie starker Schmerzen. Auf ein Muster-Urteil dazu wartet Eisenmenger noch – sowie auf eine bessere Aus- und Fortbildung der Ärzte in Schmerztherapie wie überhaupt in Palliativmedizin.

Die Probleme am Beginn und am Ende des Lebens beschäftigen die Rechtsmediziner besonders stark. Eisenmenger berichtete von einem heftigen Streit um die Präimplantationsdiagnostik: Die einen lehnen eine Vorauswahl einwandfreier Menschenkeime als unethisch ab, die anderen sehen darin eine Verhinderung späterer Abtreibungen. Die Mehrheit der Rechtsmediziner möchte bei genetisch belasteten Familien Ausnahmen zulassen, sehen aber die Gefahr des Missbrauchs.

Was das Lebensende betrifft, so rät der Münchner Hochschullehrer dringend zur genauen Formulierung einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht. Die Rechtsmediziner setzen sich dafür ein, dass die Wünsche des Kranken unbedingt respektiert werden: „Wir sind der Meinung, wenn es in der Patientenverfügung heißt: keine künstliche Ernährung, dann soll das gelten.“ Eisenmenger denkt zum Beispiel an jene auf Dauer bewusstlosen Patienten, deren Hirn durch Sauerstoffmangel schwer geschädigt ist und bei denen, anders als bei Unfallopfern, nicht die geringste Aussicht auf Erholung besteht. Er begrüßt es außerdem, dass oberste Gerichte in der letzten Zeit die Patientenrechte auf vielen Gebieten gestärkt haben. Ein paar Beispiele:

Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte den Freispruch eines Ehemanns, der die Beatmung seiner Frau beendete, weil sie mit ihrer schweren Nervenkrankheit (ALS) im letzten Stadium nicht mehr leben wollte.

Eine andere BGH-Entscheidung verfügte eine Umkehr der Beweislast: Wenn unklar ist, ob die Ursache einer Schädigung ein Behandlungsfehler war, muss der Arzt nachweisen, dass der Schaden nicht durch seinen Fehler entstand.

Eine dritte BGH-Entscheidung verpflichtet die Krankenhäuser, Patienten vor dem Unterschreiben des Vertrages genau über die Zusatzkosten von Wahlleistungen zu informieren. Nach Urteilen des Bundessozial- und des Bundesverfassungsgerichts dürfen bei Gefahr für Leib und Leben ohne andere Therapiemöglichkeiten die Kassen die Zahlung von Medikamenten auch dann nicht verweigern, wenn sie für die betreffende Krankheit gar nicht zugelassen sind.

Nicht nur das Richterrecht, auch die Politik fördert mehr und mehr die Patientenrechte – und die Rechtsmedizin stärkt ihnen den Rücken.

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