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Gesundheit: „Die Physik lässt genügend Raum für Gott“

Quantentheorie und Neues Testament sind kein Widerspruch: In Weizsäckers Weltbild hat alles seinen Platz

Vor dem Konfliktforscher und Philosophen tritt der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker manchmal in den Hintergrund. Was war für Sie als Physiker Weizsäckers wichtigster Gedanke?

Carl Friedrich von Weizsäcker hatte als Physiker keine Berührungsängste zur Philosophie. Die von Planck, Bohr und Heisenberg entwickelte Quantentheorie warf ein philosophisches Interpretationsproblem auf, weil nicht mehr klar war, ob der sogenannten Wellenfunktion als solcher oder erst ihrer Reduktion im Messprozess „Realität“ zukommt.

Das müssen Sie erklären …

Weizsäcker nahm Kants Gedanken ernst, dass die Naturgesetze die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung beschreiben. Seine geniale Idee war es, zu sagen, was wäre, wenn die Quantentheorie schon diese allgemeinste Theorie der Naturbeschreibung ist, und daraus den „Aufbau der Physik“ zu versuchen. Aber die meisten Physiker störten sich daran, dass das messende Subjekt, der Mensch, Teil der Beschreibung der „objektiven Realität“ sein sollte. Ob man Welle- oder Teilcheneigenschaften nachweist, hängt vom aufgebauten Experiment ab. Lax gesagt: Die Antworten, die uns die Natur gibt, hängen davon ab, welche Fragen wir an sie stellen. Ein faszinierender Gedanke!

Der Betrachter ist Teil des Experiments.

Man könnte vielleicht sogar sagen, indem wir Fragen stellen, greifen wir in die Natur ein; unser Handeln hat Einfluss auf den Lauf der Dinge. Das wiederum bedeutet, dass unseren Entscheidungen oft eine ganz andere Verantwortung zukommt, als wir gemeinhin meinen. Die Grenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, zwischen Physik, Philosophie und Religion sind für modernes naturwissenschaftliches Denken nicht wirklich ein Problem.

Erklärt dieser Gedanke ein Stück weit Weizsäckers Weg von der Physik zur Religion?

Wenn wir uns als Fragende und handelnde Subjekte wichtig nehmen, dann sollte es auch Bedeutung haben, wenn wir nach Gott fragen oder nach welchem Gott wir fragen. Natürlich gibt es da keinen einfachen und geraden Weg von Elementarteilchen oder Kosmologie hin zur Religion. Aber es gibt eben nicht diesen Widerspruch zwischen Physik und Theologie, von dem manche immer noch ausgehen. „Die Einheit der Natur“ heißt ein Buch Weizsäckers – und es ist großartig, dass es möglich ist, diese Einheit zu denken. Aber Weizsäcker konnte auch von der anderen, der religiösen Seite her kommen und sagte, die Metaphysik lehrt uns, die Grenzen der Physik zu sehen.

Da kommt Gott ins Spiel?

Die Physik lässt genügend Platz für Gott, den der Philosophen und den christlichen. Für Weizsäcker war nicht nur die Verbindung zur Philosophie und Religion, sondern auch die zur Politik wichtig. Viele Beiträge beschäftigen sich mit der Verantwortung des Wissenschaftlers für die Ergebnisse seiner Forschung. Man kann nicht sagen, das ist außerhalb von mir, das geht mich nichts an. Das war für ihn Teil des großen Themas „Verantwortung des Menschen in der Welt“. Er war sich sehr wohl bewusst, dass es auch politisch darauf ankommt, was der Einzelne tut. Und er selbst hätte ja fast den Schlüssel zum Bau der Atombombe bei Hitler in der Hand gehabt.

Wie war Weizsäckers Rolle in der DDR?

Wenn er in die DDR kam, um Vorträge zu halten, etwa an der Akademie Leopoldina in Halle, dann hat er immer auch die Evangelische Studentengemeinde besucht. Da haben dann all diese Gedanken, aber natürlich vor allem die politischen eine wesentliche Rolle gespielt. Man muss die Abgeschlossenheit und Provinzialität der DDR mitdenken, um zu verstehen, welche Bedeutung es hatte, wenn ein großer Universalgelehrter den Horizont öffnete. Kein anderer Denker hat mich so geprägt wie er. Vielleicht gehörten auch diese Reisen zur Einheit seines Lebens und Denkens.

Welche Bedeutung hatte Weizsäcker für die Friedensbewegung in der DDR?

Für die Entwicklung in der DDR war entscheidend, dass er einen Gedanken von Probst Heino Falcke aufnahm, den dieser 1983 in Vancouver bei einer Weltkirchenkonferenz für ein Konzil des Friedens geäußert hatte. Weizsäcker hat sich beim Evangelischen Kirchentag 1985 in Düsseldorf dafür starkgemacht, und in der DDR kam es dann zur Jahreswende 1987/88 zu einer ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Es war für viele Oppositionsgruppen in der DDR wichtig, dass im kirchlichen Rahmen offen über gesellschaftliche Probleme diskutiert wurde. Viele, die 1990 in die frei gewählte Volkskammer einzogen, haben sich bei diesen Runden kennengelernt.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

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