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Gesundheit: „Die Sprache wird zerstört“

Der Linguist Peter Eisenberg meint: Man kann die Orthografie der Bevölkerung nicht überstülpen

Herr Eisenberg, nach Einschätzung der Zwischenstaatlichen Kommission hat sich die Rechtschreibreform insgesamt bewährt. Teilen Sie diese Ansicht?

Mir ist diese Einschätzung der Kommission völlig unverständlich. Nach der jüngsten Umfrage befürworten nur 13 Prozent der Deutschen die Reform. Das ist ein Ergebnis, das die Kommission erschrecken sollte. Vor allem, weil die Reform ja seit 1996 mit allen Mitteln durchgesetzt wurde.

Wo sehen Sie die größten Schwächen?

Vor allem in der Getrennt- und Zusammenschreibung. Die Neuregelung hat gravierende Folgen für das Deutsche. Es ist nicht übertrieben, hier von einem Zerstörungsprozess zu sprechen. In den Zeitungen etwa wird viel mehr auseinander geschrieben, als zulässig ist. Es entstehen Gebilde wie „Blut befleckt“ oder „tief gründig“, die es gar nicht gibt. Dafür trägt die Zwischenstaatliche Kommission die Verantwortung.

Hat die Reform nicht den Vorteil, dass mehr Varianten erlaubt sind als früher? Das scheint doch benutzerfreundlich zu sein.

Nein, das ist überhaupt keine Erleichterung, sondern eine Zerstörung der Sprache, die aus einer tiefen Verunsicherung herrührt. Im Grunde ärgert sich jeder über solche Gebilde. Wie der Lateiner so schön sagt: Aus dem Falschen folgt das Beliebige. Die Folgen für die Sprache sind unabsehbar.

Reformkritiker sagen, mit dem vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission, den die Kultusminister jetzt verabschieden wollen, würde es zu tausend Änderungen gegenüber der bisherigen Fassung der Regeln kommen. Stimmt das?

Die jetzige Situation ist für alle, die mit Sprache zu tun haben, unakzeptabel: für Lehrer, Kinder, Schriftsteller, Journalisten oder Sprachwissenschaftler. Man kann die Reform aber nicht verbessern, ohne etwas zu ändern. Es ist eine böswillige Unterstellung zu behaupten, es gebe jetzt tausend Änderungen. Wenn man eine Regel verändert, sind davon natürlich tausende von Wörtern erfasst. Aber verändert wird nur ein Typus.

Zum Beispiel?

Der Typus direktes Objekt und Partizip. Vor der Reform war es erlaubt, „fleischfressend“ oder „Fleisch fressend“ zu schreiben. Nach der Reform durfte man aber nur noch „Fleisch fressend“ schreiben, entsprechend etwa „Öl suchend“ oder „Wasser abweisend“. Nachdem großer Druck ausgeübt wurde, ist das jetzt rückgängig gemacht worden. Das ist ein richtiger Schritt.

Die Öffentlichkeit ärgert sich immer, wenn wieder etwas geändert wird. Doch auch die Akademie für Sprache, die die Kultusminister wegen des Protests einbezogen haben, wollte doch Änderungen?

Weil die Reform schlecht und unakzeptabel ist. Oder wollen Sie zum Beispiel „des Weiteren“ schreiben? Der Standpunkt der meisten Sprachwissenschaftler ist der: Man muss sich ansehen, wie Sprache und Schrift sich entwickeln und welche Vereinheitlichungen sich dabei herausbilden. Nichts anderes hat Konrad Duden jahrzehntelang gemacht. Er wäre nie auf die Idee gekommen, seine Regeln am Schreibtisch zu konstruieren und sie dann der Sprache überzustülpen. Die Kommission dagegen hat sich nie die Mühe gemacht zu beobachten, wie die Menschen wirklich schreiben.

Wie sind die Wünsche der Akademie noch eingeflossen?

Keine Ahnung. Jedenfalls ist nichts Wesentliches aufgenommen worden.

Noch immer lehnt fast die Hälfte der Bevölkerung die Reform ab. Was hätte man von Anfang an anders machen können, um nicht solchen Widerstand zu ernten?

Man hätte einfach auf die ganze Reform verzichten sollen.

Sie sahen keinen Bedarf für Änderungen?

Nein, obwohl der Duden in der Tat unlesbar war. Man hätte das dortige Regelwerk neu formulieren müssen. Das hätte aber an der Schreibweise der Wörter fast gar nichts geändert. Zum Beispiel gab es im alten Duden 32 Regeln für das Komma beim Infinitiv, also für Sätze wie: „Er hoffte, beim Tagesspiegel angestellt zu werden“ und so weiter. Als junger Assistent habe ich diese 32 Regeln auf sechs reduziert, habe aber dieselben Kommata damit erzeugt. Man hätte also versuchen müssen, die Regeln zu systematisieren. Das hätte nur zu ganz kleinen Änderungen in der Schreibung geführt, über die sich niemand aufgeregt hätte.

Warum hat man das dann nicht gemacht?

Die Reform ist politisch motiviert. Sie geht zurück auf Anstrengungen in der DDR der siebziger Jahre, wo eine Arbeitsgruppe neue Regeln aufstellte. Das war eine Bedrohung für die Einheit der deutschen Sprache. Die Bundesrepublik stand unter Druck und musste verhandeln. Nach der Wende haben wir gehofft, dass es nun andere Probleme gibt. Aber der Zug war nicht mehr zu stoppen. Einer meiner Kollegen hat die Reform deshalb „Honeckers Rache“ genannt.

Wird es bei den jetzigen Regeln bleiben?

Wir werden weiter alles tun, um das zu verhindern. Sie sehen ja, dass sich etwas bewegt. Zuerst haben die Kultusminister sieben Jahre gemauert. Dann haben sie der Kommission doch die Akademie zur Seite gestellt. Sie haben eingesehen, dass die Kommission nicht zurechtkommt. Inzwischen soll die Kommission sogar durch einen neues Gremium ersetzt werden. Hoffentlich wird es kompetent und beschlussfähig sein, denn so darf die Reform nicht bleiben.

Das Gespräch führte Anja Kühne

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