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Gesundheit: Dienstrechtsreform in der Wissenschaft: Freie Fahrt für den Nachwuchs

Der Hochschulverband hat seine Mitglieder zu einer Unterschriftenaktion bewegt, um gegen die Dienstrechtsreform und die Einführung einer Juniorprofessur zu protestieren. Ein weiterer Kritikpunkt des Hochschulverbandes richtet sich gegen die Abwertung der Habilitation, die bisher die wichtigste Voraussetzung für die Berufung zum Professor war.

Der Hochschulverband hat seine Mitglieder zu einer Unterschriftenaktion bewegt, um gegen die Dienstrechtsreform und die Einführung einer Juniorprofessur zu protestieren. Ein weiterer Kritikpunkt des Hochschulverbandes richtet sich gegen die Abwertung der Habilitation, die bisher die wichtigste Voraussetzung für die Berufung zum Professor war. Die Unterschriftenliste wurde als vierseitige Anzeige in der FAZ veröffentlicht. Der Präsident der Humboldt-Universität hatte vor seinem Wechsel nach Berlin als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft an einer Reform des Qualifikationsweges für die Nachwuchswissenschaftler gearbeitet. Warum eine Reform notwendig ist, begründet er im folgenden Beitrag. (D.Red.)

Qualifizierte junge Wissenschaftler werden in Zukunft im nationalen und internationalen Wettbewerb immer heftiger umworben. Wissen wird neben Rohstoffen, Arbeit und Kapital zum vierten Produktionsfaktor. Es ist höchste Zeit, dass das Land Berlin und seine drei Universitäten die Standortbedingungen für den Aufbau einer wissenschaftlichen Laufbahn so attraktiv wie möglich gestalten. Die Berliner Wissenschaft muss am internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe an vorderster Front teilnehmen.

Es liegt an den deutschen Universitäten selbst, ob sie sich den internationalen Standards der Nachwuchsförderung stellen wollen. Die gegenwärtige Diskussion in Deutschland über das Für und Wider der Habilitation ist gespenstisch. Es ist eine deutsche Diskussion, die international nur Kopfschütteln auslöst.

Der Reformbedarf in der Phase nach der Promotion ist am größten. Strukturelle Fehlentwicklungen wirken sich hier im gesamten Nachwuchssystem aus, sind aber bei den jetzigen Verhältnissen auf dieser Stufe nicht mehr korrigierbar. Exzellente Nachwuchswissenschaftler müssen die Möglichkeit haben, sich unmittelbar nach der Promotion wissenschaftlich selbstständig zu machen und in kurzer Zeit für die Position eines Hochschullehrers zu qualifizieren.

Genau an diesem Punkt gibt es Schwachstellen - und zwar bundesweit. Das ist auch im Ausland bekannt. In dem Bericht "Forschungsförderung in Deutschland", verfasst von einer internationalen Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft, wurde moniert, dass der wissenschaftliche Nachwuchs zu spät in die Selbstständigkeit entlassen wird. Verlangt werden Qualifizierungswege in Deutschland, die eine möglichst frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit des Nachwuchses nicht nur erlauben, sondern auch fördern. Leider haben die Universitäten von sich aus bisher kaum etwas zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses unternommen, geschweige denn von sich aus aktiv Nachwuchswissenschaftler rekrutiert oder diese in besonderer Weise, etwa im Rahmen einer Personalentwicklung, betreut. Auffällig ist auch der geringe Anteil an ausländischen Nachwuchswissenschaftlern.

Mit 40 Jahren zu alt

Der wissenschaftliche Nachwuchs benötigt klare Zeithorizonte im Sinne einer besseren Planungssicherheit für die berufliche Zukunft. Die Qualifikationsphase zum Hochschullehrer, auch Postdoc-Phase genannt, wird in Deutschland zu spät erreicht. Das liegt nicht nur an den zu langen Promotionszeiten, sondern auch an dem im internationalen Vergleich längeren grundständigen Studium sowie an dem mit über 22 Jahren immer noch zu hohen Durchschnittsalter der deutschen Studienanfänger. Darüber hinaus ist die Postdoc-Phase mit acht bis zehn Jahren zu lang. Hier kumulieren sich Befristungseffekte bei den Nachwuchsstellen, die ein Postdoktorand üblicherweise nach der Promotion durchläuft, unzeitgemäß aufwendige Habilitationsverfahren und langwierige Erstberufungen. Dies hat zur Folge, dass das durchschnittliche Alter der Habilitierten in Deutschland rund 40 Jahre beträgt.

Alles oder nichts

Daneben ist eine einseitige Fixierung auf die Habilitation als Ziel zu beobachten, da die acht bis zehn Jahre dauernde Phase ohne Stufen einer Zwischenevaluation allein auf die Habilitation im Sinne eines "Alles oder Nichts" hinführt. Für viele Habilitanden, gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften, endet diese Phase hochfliegender Erwartungen selbst im Falle einer erfolgreichen Habilitation im Nichts. Insofern scheinen Zweifel am Instrument der Habilitation berechtigt.

Die Habilitation in ihrer traditionellen Form ist vielfach kein Qualifikations-, sondern ein Chancenzuteilungsmechanismus. Es gibt Fakultäten, die intern dem Prinzip folgen, dass beispielsweise pro Semester nicht mehr als eine Habilitation erfolgen soll. Verbunden damit sind oft fehlende Transparenz des Verfahrens und mangelnder Wettbewerb. Diese Verhältnisse führen dazu, dass Nachwuchswissenschaftler in Deutschland oft bis weit in ihr fünftes Lebensjahrzehnt hinein nicht in der für die Wissenschaft und Forschung charakteristischen Selbstständigkeit arbeiten, sondern sich in vielfältigen Formen der Abhängigkeit bewegen.

Einzigartig in der Welt

International vergleichende Studien zeigen, dass in keinem vergleichbaren Land der Welt der Abstand zwischen Selbstständigkeit der Hochschullehrer und Abhängigkeit des Nachwuchses so groß ist wie in Deutschland. Überdies schlägt im Falle einer erfolgreichen Habilitation und Erstberufung dieser Zustand der Abhängigkeit sozusagen übergangslos in ein plötzliches Übermaß an selbstständig wahrzunehmenden Aufgaben eines Hochschullehrers um.

Schließlich wirken sich die deutschen Verhältnisse als entscheidendes Mobilitätshindernis aus. Die Risiken, insbesondere bei Mobilität im Ausland, werden privatisiert: Wer nach einem Aufenthalt in einer ausländischen Forschungseinrichtung in die deutsche Hochschullandschaft zurückkehrt, steht dort oft vor verschlossenen Türen. Die wenigen verfügbaren Stellen im Rahmen der geschilderten Abhängigkeitsverhältnisse sind bereits anderweitig besetzt worden. In Reaktion darauf nutzen jüngere Nachwuchswissenschaftler verstärkt die von deutschen Organisationen geförderten Auslandsaufenthalte als Sprungbrett für eine Tätigkeit in den nachwuchsfreundlicheren angelsächsischen Ländern. Auf der anderen Seite ist der Standort Deutschland für talentierte ausländische Nachwuchswissenschaftler zweite Wahl.

Angesichts dieser Defizite haben Politiker und die Institutionen der Wissenschaftsförderung auf dieses Problem reagiert. Neue Formen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses stellen einen wesentlichen Teil in der anstehenden Hochschuldienstrechtsreform dar. Zur Vorbereitung von Reformvorschlägen der Bundesregierung hatte die Bundesministerin für Bildung und Forschung die Expertenkommission "Reform des Hochschuldienstrechts" berufen. Das von Ministerin Bulmahn im September 2000 vorgestellte Konzept für ein Hochschuldienstrecht des 21. Jahrhunderts umfasst für den wissenschaftlichen Nachwuchs die Einführung einer Juniorprofessur mit dem Recht zu selbstständiger Forschung und Lehre. Dieser Vorschlag entspricht internationaler Gewohnheit und ist deshalb eine wichtige Voraussetzung sowohl für die internationale Anschlussfähigkeit des deutschen Hochschulsystems als auch für einen Gewinn an Attraktivität für deutsche und ausländische Nachwuchswissenschaftler. Festzuhalten bleibt aber auch, dass für die Juniorprofessuren sowohl Stellen als auch eine entsprechende Ausstattung bereitgestellt werden müssen. Daher gibt es berechtigte Zweifel, inwieweit der Grundsatz der Kostenneutralität bei der Reform des Dienstrechts nicht eher kontraproduktiv wirkt.

Unabhängig von der zu klärenden Kostenfrage ist die frühe Selbst- und Eigenständigkeit der Nachwuchswissenschaftler in Forschung und Lehre auch im Rahmen des 12-Punkte-Programmes des Präsidiums der Humboldt-Universität ein herausragendes Ziel. Strukturelle Karriere- und Motivationshemmnisse für den wissenschaftlichen Nachwuchs müssen weiter abgebaut werden. Gerade zwischen ihrem 30. und 40. Lebensjahr benötigen Wissenschaftler klare Zeithorizonte im Sinne einer besseren Planungssicherheit für ihre berufliche Zukunft. Dies käme auch der Frauenförderung zu Gute. Wenn wir hierbei weiterkommen wollen, müssen wir neue Wege gehen. Kürzere Qualifikationszeiten und damit bessere Rahmenbedingungen, um Beruf und Familie in der Wissenschaft vereinbaren zu können, gehören dazu. Auch hier sind unkonventionelle neue Wege gefragt.

Was die Humboldt-Universität will

Andere, durchaus nicht leistungsschwächere oder weniger kompetitive Hochschulsysteme bieten - etwa im Modell des amerikanischen "Tenure Tracks" - eine allmähliche Einübung in Forschungs- und Lehraufgaben an. Es gibt gestufte Übergänge - vor allemaber ist die frühe Selbstständigkeit eine wichtige Voraussetzung. Dieses System kann für die Besten in die "tenure" führen, das heißt in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis als Professor. Der Idee des Tenure Track und damit der Übernahme von Juniorprofessuren an der Humboldt-Universität steht derzeit das Hausberufungsverbot entgegen. Dieses Verbot dürfte aber bei öffentlicher Ausschreibung und externer Evaluation sowohl begleitend wie am Ende der Förderung seine Rechtfertigung verlieren. Die Einführung von Juniorprofessuren scheint mir nur in Kombination mit dem Modell des Tenure Track sinnvoll, was jedoch nicht mit einer automatischen Übernahme der Juniorprofessuren in Verbindung gebracht werden darf.

Anziehungspunkt für die Besten

Juniorprofessuren sind insoweit aus Sicht der Humboldt-Universität nachdrücklich zu begrüßen. Wir können es uns nicht länger leisten, dass die besten Köpfe ins Ausland abwandern, weil sie dort als junge Wissenschaftler/innen ihrem Alter entsprechend bessere Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden. Entscheidend wird es sein, für den Juniorprofessor adäquate Rahmenbedingungen zu schaffen. Es ist erklärtes Ziel der Humboldt-Universität, ein Anziehungspunkt für hervorragende Nachwuchswissenschaftler aus aller Welt zu werden. Auch bei der Stärkung des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses will die Humboldt-Universität unter den deutschen Universitäten eine Vorreiterrolle einnehmen.

Das Motto für die Humboldt-Universität ist damit klar. Es lautet: "Freie Fahrt für den wissenschaftlichen Nachwuchs!"

Jürgen Mlynek

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