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Gesundheit: Digitale Tränen: Ich schau dir in die Augen User

Computer sind kalte und gefühllose Maschinen. Sie gehorchen unbeirrbar der Logik ihrer Programme.

Computer sind kalte und gefühllose Maschinen. Sie gehorchen unbeirrbar der Logik ihrer Programme. Dieses Bild könnte bald der Vergangenheit angehören. In Zukunft sollen die Rechenknechte selbst Gefühle entwickeln und dadurch zu ganz neuenLeistungen fähig sein. So die Vision von Forschern der Arbeitsgruppe um Rosalind Picard im Medienlabor des Massachusetts Institute of Technology.

Viele Menschen verbringen inzwischen mehr Zeit mit Computern als mit anderen Menschen. Der tägliche Umgang mit den Maschinen hat enorme psychologische Auswirkungen. Die MIT-Forscher arbeiten daher daran, Rechner mit Gefühlen auszustatten, damit der Umgang mit ihnen natürlicher wird. "Mich stimmt zum Beispiel nachdenklich, was passiert, wenn Menschen den ganzen Tag damit verbringen, mit und durch eine Maschine zu interagieren, die ihre Emotionen andauernd ignoriert", sagt Rosalind Picard. "Wenn ein anderer Mensch Ihre Emotionen konstant ignoriert, dann hat das ungute Folgen für Ihre Beziehung, für Ihr Selbstbewusstsein und so weiter. Es beunruhigt mich, dass gefühllose Computer schädliche Auswirkungen auf uns haben."

Die Computer der Zukunft sollen den emotionalen Zustand ihrer Benutzer buchstäblich "erfühlen". Noch müssen die Wissenschaftler ihre Versuchspersonen dazu komplett verkabeln: Sensoren messen Körperdaten wie Blutdruck, Hautwiderstand, EEG und elektrische Muskelsignale. Auch Gesichtsausdruck, Stimmlage und Körperhaltung werden registriert. Starke Erregung macht sich etwa durch einen veränderten Hautwiderstand bemerkbar. Aus diesen Messungen kann der Computer Rückschlüsse auf den Gefühlszustand einer Person ziehen. So erkennt der Rechner von Raul Fernandez, ein Mitarbeiter Picards, wann ihr Gegenüber frustriert ist - ein Gefühlszustand, den viele Computernutzer leidlich kennen. Demnächst sollen weitere Gefühle in Angriff genommen werden: Ärger, Hass, Trauer, Ehrfurcht, Freude oder gar Liebe.

Die mitfühlenden Rechner versprechen vielfältige Anwendungen. Autounfälle beispielsweise werden häufig von wütenden und besonders erregten Menschen verursacht. Ein "sensibler" fahrbarer Untersatz könnte das erkennen und aktiv vorbeugen. Sehr nützlich wäre auch ein System, das Müdigkeit bei Fluglotsen rechtzeitig signalisiert und zur Ablösung auffordert. Und im Büro könnte der Computer einem Tief am Arbeitsplatz sogleich mit freundlichen Bemerkungen entgegenwirken und zur Kaffeepause auffordern.

Noch weiter gehen Versuche, das Lernen am Rechner komfortabler zu gestalten: Lerntempo und -lektion würde je nach Frust oder Langeweile genau auf das Niveau des Schülers eingepegelt. Und Sprachbehinderten, die auf Sprachcomputer angewiesen sind, könnte ebenfalls geholfen werden. Denn mit den heutigen Geräten werden diese Menschen auf Grund fehlender Sprachmelodie oft missverstanden. Emotionale Computer könnten den jeweiligen Gefühlszustand direkt in die passende Sprachmelodie übersetzen und dadurch Abhilfe schaffen.

Später sollen die sensiblen Rechner nicht nur Gefühle erkennen, sondern auch selbst welche entwickeln. Zu viel Emotionen können Entscheidungen erschweren, das weiß jeder aus eigener Erfahrung. Neu ist jedoch, dass zu wenig Emotionen ebenfalls Entscheidungen verhindern können. Was würde passieren, wenn unsere Emotionen "abgeschaltet" wären? Ist das überhaupt möglich? Der Neurologe Antonio Damasio von der Universität Iowa hat Patienten gefunden, bei denen dies tatsächlich der Fall ist. Deren Gehirn hat durch einen Tumor oder Unfall eine kleine Schädigung im Stirnbereich erlitten, die zum Ausfall aller Emotionen führt - ohne andere Leistungen allzusehr zu beeinträchtigen.

Solche Patienten handeln fortan nicht etwa rationaler - das Gegenteil tritt ein. Sie können kaum mehr klar denken und haben enorme Entscheidungsschwierigkeiten. Verabredungen etwa werden fast unmöglich, weil diese Menschen nicht in der Lage sind, sich auf Termine festzulegen. "Hätten wir keine Emotionen, so würden wir möglicherweise nie zu endgültigen Entscheidungen kommen", sagt die Computerforscherin Picard. "Dies zeigen auch die Patienten, deren Emotionszentrum im Gehirn nicht richtig verkoppelt ist."

Emotionen sind demnach also nicht etwa reiner Luxus, um das Leben aufregender zu machen. Sie sind notwendig für ein Bewertungssystem im Gehirn, das Entscheidungen erst ermöglicht. Die Gefühle helfen vor allem dann, wenn viele widersprüchliche Faktoren berücksichtigt werden müssen. Ohne sie würden wir in endlosen logischen Suchen verharren. Auch das Schöpferische wird stark von Gefühlen bestimmt. "Emotionen tragen viel zur menschlichen Kreativität bei - sie könnten dies auch für eine neue Kreativität der Maschinen tun", sagt Picard.

Eine gesunde Balance der Emotionen ist demnach entscheidend für menschliche Intelligenz und für kreatives, flexibles Problemlösen. Die Forscherin ist sich sicher: "Wenn Computer jemals wirklich intelligent werden sollen, wenn sie sich an uns anpassen und natürlich mit uns interagieren sollen, dann wird das nur möglich sein, wenn sie die Fähigkeit besitzen, Emotionen zu erkennen und auszudrücken und selbst Emotionen zu haben."

Was aber wäre, wenn Rechner die Emotionen von Menschen beeinflussen könnten? Ist das nicht eine erschreckende Vorstellung? "Die Manipulation von Emotionen ist schon heute an der Tagesordnung, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Schauen sie sich das Kinoprogramm an, die Werbung und die Politik", sagt Frau Picard. "Könnten emotionale Computer nicht dazu beitragen, die Menschen aufmerksam zu machen, so dass sie sich bewusster werden wie und wo sie manipuliert werden?"

Die Forscherin ist sich der Gefahren bewusst, die aus der neuen Technik erwachsen könnten: "Niemand möchte gefühlvolle Rechner, die Kernkraftwerke kontrollieren, internationale Börsen und Flugzeuge lenken und die wütend werden, wenn etwas nicht nach ihrer Meinung läuft." Zur Kontrolle schlägt sie vor, dass ein Rechner die jeweils erkannte Stimmung deutlich anzeigt. Dies könnte ihrer Meinung nach auch für Menschen nützlich sein, die unbewusst falsche emotionale Signale aussenden und daher oft missverstanden werden. Sie könnten durch den Rechner trainiert werden, indem er sie über ihre Ausstrahlung informiert.

Und Rechner unter sich? Sollen sie gegenseitig ihren emotionalen Status wahrnehmen können? Sollte ihnen gestattet werden, ihre Emotionen vor anderen (Rechnern) zu verstecken oder zu überspielen? Picard nimmt an, dass Computer eines Tages tatsächlich ihre Emotionen besser als Menschen verstecken könnten. Um daraus erfolgende Probleme zu vermeiden, schlägt sie eine spezielle "Maschinen-Ethik" vor. Die soll den Rechnern verbindliche Vorgaben für ihren gegenseitigen Umgang machen.

Bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht eines Tages unsere Rechner enttäuschen und sie uns ihre Dienste trotzig verweigern. Wie sagte es einst Marvin Minsky, der Pionier der "künstlichen Intelligenz"? "Maschinen werden eines Tages so überlegen sein, dass wir uns glücklich schätzen können, wenn sie uns als Haustiere behalten."

Jasdan Joerges

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