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Gesundheit: Droge auf Krankenschein

Rückkehr eines Medikaments: Warum es sinnvoll sein kann, chemisch reines Heroin zu verschreiben

Gegen Ende der achtziger Jahre war unübersehbar geworden, dass die Drogenpolitik auf ganzer Linie versagt hatte. Sie hatte es nicht vermocht, die über Jahre stetig wachsende Zahl der Erstkonsumenten harter Drogen und die der Drogentoten einzugrenzen geschweige denn zurückzudrängen. Zudem hatten drogenassoziierte Kriminalität und Morbidität ein inakzeptables Ausmaß erreicht.

Auf Bevormundung und Abschreckung beruhende Prävention, therapeutische Hilfe, die ihr zu erreichendes Ziel, nämlich die Abstinenz, absurderweise beim Abhängigen voraussetzte, bevor sie ihn als therapiefähig akzeptierte, war ebenso einfältig und zum Scheitern verurteilt wie die Vorstellung, man könne mit den Mitteln des Strafrechts Drogenkonsumenten zur Aufgabe ihres Verhaltens bewegen. Seitdem hat die bundesdeutsche Drogenpolitik – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Aids-Epidemie, die unter den Süchtigen grassierte – einen tief greifenden Wandel erfahren. Hin zu dem, was unter dem Terminus „akzeptierende Drogenarbeit“ firmiert.

Sie ist nicht Ziel in sich, wie vielfach missverstanden, vielmehr eine Methode, Abhängige auf dem Weg aus der Sucht zu begleiten und zu stützen: Spritzentausch, Methadonsubstitution, mobile medizinische Versorgung auf den Szenen, aufsuchende Sozialarbeit sowie schlichte Lebenshilfe sind Angebote, die sich jeder moralisierenden Betrachtung enthalten und nicht primär auf Drogenfreiheit zielen. Sie favorisieren vielmehr ein pragmatisches, den Schaden begrenzendes Vorgehen, das über Teilziele wie gesundheitliche Stabilisierung, risikoarme Konsumformen und Distanzierung vom kriminellen Milieu eine, wo immer möglich, allmähliche Lösung von der Droge und so letztlich auch Drogenfreiheit anstrebt.

Die positiven Erfahrungen, die sowohl Abhängige wie auch das Drogenhilfesystem mit diesem neuen Paradigma machten, konnten und können allerdings über zwei Tatbestände nicht hinwegtäuschen. Zum einen wird nach wie vor hochgradig verunreinigtes, krank machendes Straßenheroin stark wechselnder Konzentration konsumiert; andererseits vermögen die beschriebenen Hilfsangebote eine bestimmte Konsumentengruppe, Schwerabhängige genannt, nicht zu erreichen.

Es leuchtet daher ein, dass der Versuch, pharmazeutisch reines Heroin unter ärztlicher Aufsicht im Kontext weitergehender Hilfen an Schwerabhängige abzugeben, aus der Perspektive der Schadensbegrenzung folgerichtig, wenn nicht gar geboten ist.

Den Teufel mit Beelzebub austreiben, wie Gegner der Originalstoffabgabe glauben machen wollen? Keineswegs. Vielmehr ist zu erwarten – und die bisherigen Studien bestätigen das –, dass ärztlich verordnete Heroinabgabe vorteilhafte Perspektiven eröffnet: Die Abgabe qualitativ wie quantitativ definierten Originalstoffs reduziert entscheidend die beiden größten Risiken, denen Opiatkonsumenten ausgesetzt sind: akuten Drogentod sowie lebensbedrohliche Infektionen.

Weiterhin bietet die Verordnung von Originalstoff Abhängigen die Chance, den Drogenmarkt zu verlassen. Sie wechseln aus einem überteuerten, höchst gefährlichen, unkalkulierbaren Markt in einen sicheren, kostengünstigen und kalkulierbaren mit umfassendem Service. Dieser kann eine tragfähige Bindung aufbauen und den Weg für weitere Fortschritte bei der Lösung von der Droge ebnen. Heroin führt nicht bedingungslos auf die Straße von Verelendung, Krankheit und Tod. Nicht allein die Droge, sondern erst das Zusammenspiel mehrerer Faktoren bestimmt ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Verhalten. Man erinnere sich: Heroin kam 1898 als Arzneimittel in die Welt und ist es, in manchen Ländern, bis heute geblieben.

In niedriger Dosis lindert es Schmerzen, Luftnot und schweren Husten. Gleich dem Morphin entfaltet es eine hervorragende Wirkung. Erst seine Verwendung zu anderen als therapeutischen Zwecken und die mit der illegalen Produktion einhergehende krankheitsträchtige Kontamination der Substanz führten dazu, dass sein Drogencharakter, die andere Seite des Januskopfes Heroin, zum Vorschein kam und ihn fortan dominierte. Seine faktische Verbannung aus dem Arzneischatz gehorchte allein politischen, nicht medizinischen Erwägungen.

Es ist polemisch und geradezu absurd, Heroin verschreibende Ärzte, die sich schadensbegrenzenden Vorgehensweisen verpflichtet fühlen, als „Dealer in Weiß“ zu brandmarken. Wie für jedes Arznei- und Heilmittel ist auch für die ärztlich kontrollierte Verordnung von Heroin allein maßgebend, ob sie dazu geeignet ist, bei Drogenabhängigen schwere gesundheitliche Schäden und Verelendung zu verhindern oder aufzuhalten oder gar einen Prozess der körperlichen und mentalen Genesung einzuleiten. Die Argumente für die Heroinvergabe sind einleuchtend. Die bisherigen Modellvorhaben haben überzeugende Hinweise dafür geliefert, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt.

Der Autor leitet die Rettungsstelle des Vivantes Klinikums Am Urban in Berlin-Kreuzberg. Er ist Verfasser des Buchs „Heroin – Vom Arzneimittel zur Droge“ (Campus-Verlag 2001).

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