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Gesundheit: „Ein schlechter Tag für die Wissenschaft“

„Nature“-Redakteur Karl Ziemelis über Betrug in der Forschung

Der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön hat in großem Stil wissenschaftliche Studien gefälscht und in angesehenen Zeitschriften veröffentlicht. Wie viele Publikationen hat er in „Nature“ untergebracht und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Insgesamt haben wir von Schön als Erstautor sieben Studien veröffentlicht. Fünf von ihnen wurden von der Untersuchungskommission genauer untersucht, und bei allen fünf besteht ein ernsthafter Manipulationsverdacht. Wir benachrichtigen nun alle Mitautoren und fordern sie auf, die Studien zurückzuziehen. Einige haben schon zugestimmt, so dass wir hoffentlich bald einen Schlussstrich ziehen können. Außerdem haben wir die Arbeiten im Internet besonders markiert. Die beiden anderen Studien sind nicht von der Kommission untersucht worden, da ist die Situation schwieriger. Hier warten wir ab, was die Ko-Autoren sagen.

Sind die Mitautoren nicht auch mitschuldig?

Die Kommission hat mit allen Betroffenen gesprochen und die Schlussfolgerung gezogen, dass diese nicht schuldig in dem Sinne sind, dass sie sich falsch verhalten und Daten manipuliert oder erfunden hätten.

Aber sind sie nicht mitverantwortlich?

Das ist eine andere Frage. Eine sehr wichtige. „Nature“ verhandelt nur mit einem Wissenschaftler, dem korrespondierenden Autor. Die Mitautoren der Studie müssen den Inhalt vor der Veröffentlichung gesehen und zugestimmt haben. Auf der anderen Seite können Sie nicht erwarten, dass bei Studien, in denen verschiedene Experten zusammenarbeiten, jeder genau weiß, was der andere macht. Da kann man kein detailliertes Wissen voraussetzen. Ein Chemiker kann zum Beispiel nicht immer beurteilen, was der Physiker in seinem Teil der Studie angestellt hat. Trotzdem sind alle mitverantwortlich, schließlich setzen alle ihren n über die Studie.

Werden Sie weitere Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen?

Darüber denken wir sehr sorgfältig nach. Gab es irgendwelche Warnzeichen? Oder können wir künftig etwas besser machen, um so einen Fall zu verhindern? Aber ich muss sagen, dass es nichts Offenkundiges gab, was uns auffallen konnte. Das große Problem ist: Der Gutachter-Prozess bei wissenschaftlichen Zeitschriften funktioniert eigentlich außerordentlich gut. Aber er ist nun einmal nicht dazu geeignet, Betrüger zu erkennen. Das ist nicht sein Zweck.

Hätten die Gutachter nicht skeptischer sein müssen angesichts der sensationellen Daten, die Schön vorlegte?

In vielerlei Hinsicht waren die Daten sensationell und beeindruckend. Auf der anderen Seite gaben sie genau das wieder, was sich die Wissenschaftler erhofften oder erwarteten. Beeindruckend zwar, aber nun auch wieder nicht so überraschend.

Sie sahen, was sie zu sehen hofften.

Die Gutachter waren schon kritisch, was die Studien von Schön betraf – aber nicht, was seine Daten anging. Sie kritisierten die Schlussfolgerungen Schöns. Die Daten selbst wurden für wahr gehalten. Es gab schon Nachfragen, die die Autoren vor der Publikation noch beantworten mussten. Es war nicht so, dass die Leute so aus dem Häuschen waren, dass sie riefen: Druckt es! Druckt es! Auf der anderen Seite: Selbst wenn es Fragen hinsichtlich der Interpretation gab, waren die Gutachter einhellig der Meinung, dass die Daten selbst so beeindruckend waren, dass sie so schnell wie möglich gedruckt werden sollten, damit die Wissenschaftlergemeinde sie diskutieren konnte.

2001 publizierte Schön alle acht Tage eine Studie . . .

Ich war sehr überrascht, als ich diese Zahl hörte. Aber sie müssen die Art seiner Forschung betrachten. Schön gab vor, nach jahrelanger Arbeit eine bestimmte Technik zu beherrschen. Wenn man sie im Griff hat, ist es relativ einfach, sie auf verschiedene Materialien anzuwenden. Jedesmal kommt etwas Neues dabei heraus. Hier war ein Forscher, der ein paar Jahre an einer Methode gearbeitet hat und sie nun beherrscht, sonst keiner. Er nutzte seinen Vorsprung vor den anderen.

Warum fälschte Schön?

Ich möchte nicht darüber spekulieren. Das ist so ein außergewöhnlicher Fall, dass alles nur pures Rätselraten wäre.

Glauben Sie, dass Ihre Sicherheitsvorkehrungen ausreichend sind?

Wir versuchen immer besser zu werden. Aber größere Veränderungen planen wir nicht. Das erste, was wir neuen Redakteuren sagen, ist: Seid besonders sorgfältig. Auch den Gutachtern kann man keinen Vorwurf machen. Sie haben nicht schlampig gearbeitet. Schöns Studien wurden nicht besonders schnell durchgeschleust.

Gibt es in den letzten Jahren mehr Betrug?

Ein oder zwei Beispiele allein reichen nicht, um einen Langzeittrend festzustellen. Man muss auch berücksichtigen, dass die Wissenschaftlergemeinde ständig wächst und es immer mehr Veröffentlichungen gibt. Alle Maßnahmen werden nicht verhindern können, dass irgendjemand irgendwann eine betrügerische Arbeit veröffentlicht. Noch einmal: Das System ist nicht dafür ausgelegt, so etwas zu entdecken. Dazu müsste man ein sehr bürokratisches Regelwerk installieren, und ein langsames dazu. Aber unser Ziel ist es, Ergebnisse schnell unter die Leute zu bringen.

Und die Lektion?

Wir müssen alle aus der Sache lernen. Die Forschungslabors, die Zeitschriften und die Gutachter. Aber es war schon eine sehr ungünstige Situation. Und ein schlechter Tag für die Wissenschaft.

Das Gespräch führte Hartmut Wewetzer.

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