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Gesundheit: Ein Stall für den Wahnsinn

Forscher wollen auf der Ostsee-Insel Riems Kälber gezielt mit BSE infizieren und untersuchen

Hammerschläge scheppern auf Metall, Bohrmaschinen jaulen dazwischen. Ein Arbeiter im Blaumann schraubt Halterungen für Ruheboxen auf dem Betonboden fest, zwischen denen von November an Kälber auf Matten ausruhen können. Ansonsten sollen sich die Tiere in einem 450 Quadratmeter großen Laufstall bewegen.

„Das hier wird unser Rinder-Hotel“, sagt Thomas Mettenleiter. Er führt allerdings keine Tier-Pension, sondern ist Biologe und Präsident der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV), die ihren Hauptsitz auf der Ostsee-Insel Riems nahe Greifswald hat. Der Laufstall dient einem Versuch, von dem sich Mettenleiter und sein Team wertvolle Erkenntnisse in der BSE-Forschung erhoffen.

Etwa 50 Kälber wollen die Forscher mit BSE infizieren. Die Kälber bekommen einen Brei aus befallenem Rinderhirn auf die Zunge gespritzt und schlucken ihn. Denn man vermutet, dass die bislang 208 in Deutschland erkrankten BSE-Rinder sich auch über aufgenommene Nahrung angesteckt haben – etwa über verseuchtes Tiermehl, das lange Zeit an Wiederkäuer verfüttert werden durfte.

Die Test-Kälber stammen aus unverdächtiger Zucht; es sind Bio-Rinder aus einem Naturschutzgebiet Mecklenburg-Vorpommerns, die bei ihren Müttern aufgewachsen sind und außer Kuhmilch und Gras kein Futter bekommen haben. „Sie sind auf andere Seuchen getestet und werden hier alle zur selben Zeit infiziert“, erklärt Mettenleiter.

Die Versuchstiere werden es in ihrem Laufstall vergleichsweise gut haben. Nur auf die Wiese dürfen sie nicht. Ein betonierter Auslauf steht ihnen offen, damit sie wenigstens etwas frische Ostsee-Luft schnappen können. Kot und Urin der Kälber, etwa 5000 Liter pro Tag, werden bei 134 Grad Celsius und drei Bar Druck eine Stunde lang erhitzt. Zwar nehmen die BFAV-Forscher nicht an, dass die Exkremente den Erreger enthalten könnten, doch wollen sie sicher gehen.

Keines der Tiere wird den BSE-Stall lebend verlassen. Höchstens vier bis fünf Jahre sollen die Kälber dort zubringen, allerdings werden schon nach einem Monat und dann in gewissen Abständen einige von ihnen eingeschläfert, damit jeweils 80 verschiedene Gewebeproben und Körperflüssigkeiten untersucht werden können.

Die Gewebeproben werden genetisch veränderten (transgenen) Mäusen gespritzt. Die Forscher manipulieren die Mäuse so, dass diese extrem empfänglich für eine BSE-Infektion sind und den beginnenden Ausbruch der Erkrankung bei einem Rind gut anzeigen. Sie stecken sich durch den BSE-Erreger, durch krankhaft verändertes Rinder-Prionenprotein, etwa zehntausendmal leichter an als bisher eingesetzte, für BSE bereits hochempfindliche Labormäuse. „Wenn wir bei den Mäusen sehen, dass sich Prionen anreichern, wissen wir, dass die Rinder den Erreger in sich haben“, sagt Martin Groschup, Veterinär-Professor und Direktor des BFAV-Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger.

Der BSE-Versuch dient vielen Zwecken. Es sollen regelmäßig Gewebe-Proben von Rindern gewonnen werden, die nachweislich infiziert, aber noch nicht erkrankt sind. Denn nach wie vor gibt es keinen frühzeitig anwendbaren und verlässlichen BSE-Test am lebenden Rind.

Auch weiß niemand, wo im Rinderkörper sich der Erreger während der langen Inkubationszeit aufhält, also von der Infektion bis zum offenkundigen Ausbruch der Krankheit oder auch nur bis wenige Monate vorher, wenn sich die Prionen erstmals in Hirn und Rückenmark oder im Lymphgewebe nachweisen lassen. Bis dahin vergeht bei Rindern erfahrungsgemäß viel Zeit, nämlich vier bis sechs Jahre – anders als bei Schafen, die an Scrapie leiden, einer mit BSE verwandten Krankheit.

Die verfügbaren Schnelltests können beim Rind eine BSE-Infektion nicht ausschließen. Schon deshalb war und wäre es noch immer aus wissenschaftlicher Sicht nicht statthaft, getestetes Rindfleisch als „BSE-negativ“ oder „garantiert BSE-frei“ zu vermarkten, wie dies eine Zeitlang geschah – übrigens verbotenerweise, weil mit Selbstverständlichkeiten wie zwangsweise getestetem Fleisch nicht geworben werden darf.

Experten gehen aber davon aus, dass der Schnelltest schließlich greift, sobald sich infektiöses Prionen-Material im Hirn angesammelt hat und ein Verzehr des betreffenden Tieres riskant wäre. Groschup hofft, dass die entnommenen Proben aus dem BSE-Stall dazu dienen, früh einsetzbare und verlässliche Lebend-Tests zu entwickeln. Gäbe es welche, wäre das ein riesiger Sprung in der BSE-Forschung.

Es ist zudem noch immer nicht geklärt, wie der BSE-Erreger vom Magen-Darm-Trakt ins Gewebe von Hirn und Rückenmark gelangt, auch wenn Nervengewebe im Darm die biologisch plausible Eintrittspforte ist. Auch dies hofft Groschups Team zu erhellen. Und drittens „suchen wir Wege, wie wir eine BSE-Infektion auch anders nachweisen können als über transgene Mäuse“, fügt Groschup hinzu.

Der Tiermediziner denkt dabei an messbare Körpervorgänge, etwa Stoffwechsel-Prozesse, durch die sich die Krankheit möglicherweise zu erkennen gibt und die bisher aber übersehen worden sind. „Wir sind dort auf der Suche, wo man bisher nichts gefunden hat“, fasst Groschup.

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