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Gesundheit: „Ein Text ist wie eine Partitur“

Harry-Potter-Sprecher Rufus Beck über die hohe Kunst des Vorlesens

ERZÄHL MIR WAS – DER WETTBEWERB IM TAGESSPIEGEL

Herr Beck, Sie sind Millionen von Kindern in Deutschland bekannt als Sprecher der HarryPotter-Hörbücher und werden dafür bewundert, mit wie vielen Stimmen Sie sprechen können. Was tun Sie für Ihre Stimme?

Überhaupt nichts.

Keine Mo-mo-mo-Übungen, kein Atemtraining …?

Nein. Ich lerne die Dinge am besten, wenn ich sie einfach tue. Ich habe auch keine richtige Sprechausbildung. Das heißt: Ich habe einmal privat Sprechunterricht bei einem Schauspieler genommen, da musste ich mit Korken im Mund sprechen. Furchtbar! Da verkrampft man sich doch nur.

Bei unserem Erzählwettbewerb haben wir die Leser gebeten, uns Kassetten mit eigenen Geschichten zu schicken. Viele fanden es sehr ungewohnt, ihre Texte aufzusprechen und die eigene Stimme vom Band zu hören.

Das ist ein Verfremdungseffekt, da man sich an die eigene Stimme gewöhnen muss. Interessanterweise gibt es ja Stimmen, die im Privatleben normal klingen und erst vor dem Mikrofon interessant werden, so wie manche Menschen auf Fotos besser aussehen als in Wirklichkeit. Meine Stimme behandle ich wie ein Musikinstrument, und das Mikrofon ist ein Hilfsmittel, mit dem ich spiele. Ich setze bei Aufnahmen den Kopfhörer auf, so dass ich meine Stimme sofort so hören kann, wie sie auch auf Band aufgenommen wird. Dadurch kann ich unmittelbar auf den Klang reagieren, ich höre sofort Fehler und Unreinheiten und spüre, ob ich das Tempo anziehen, eine Pause machen oder eine ganze Passage in einem Bogen sprechen muss.

Das entscheiden Sie spontan im Studio? Oder kommen Sie mit einem Text voller Notizen?

Als ich Harry Potter gesprochen habe, habe ich mir die einzelnen Stimmen farbig unterstrichen, blau für Harry, gelb für Hermine und so weiter, damit ich gleich weiß, welche Figur gesprochen wird. Aber Zeichen für Pausen oder Stimmhebungen mache ich mir nicht, dafür habe ich genug Übung.

Sie wirken auch bei Hörspielen mit, verstehen es aber wie Wenige, die Zuhörer zu fesseln, wenn Sie Texte alleine vortragen. Worin liegt für Sie der Reiz beim Vorlesen?

Das Vorlesen ist eine Kunstform für sich, das liegt nur wenigen Schauspielern. Ein routinierter Synchronsprecher ist noch lange kein guter Vorleser und umgekehrt. Als Schauspieler schlüpfe ich ja in eine Rolle, ich verwandle mich. Beim Vorlesen dagegen interpretiere ich die unterschiedlichen Figuren, aber darf die Rolle des Erzählers nicht aus dem Ohr verlieren. Ich versuche sozusagen das ganze Orchester und den Dirigenten zu spielen. Einen literarischen Text versuche ich wie ein Musikstück, wie eine Partitur aufzufassen.

Dafür muss die Stimme extrem wandlungsfähig sein.

Man sollte sein Stimmorgan beherrschen und wissen, wie man auf dem großartigsten Instrument der Welt, der menschlichen Stimme, Töne, Stimmungen und damit auch Emotionen erzeugt. Wenn Sie eine rauchige oder näselnde Stimme haben, dann kann das wunderbar für einzelne Rollen sein. Aber es kann doch sehr ermüden, wenn Sie einen längeren Text vorlesen. Abwechslung ist wichtig und eine musikalische Bandbreite.

Worauf kommt es beim Vorlesen noch an, von Stimme und Musikalität einmal abgesehen?

Ich muss dem Zuhörer Zeit lassen, damit Bilder in seinem Kopf entstehen können. Dazu muss ich mir die Bilder selbst genau vorstellen können. Das Wichtigste beim Lesen sind eigentlich die Pausen, die Zwischenräume am Ende und zu Beginn eines neuen Gedankens. Die Pausen oder Fermaten strukturieren einen Text, geben Rhythmus und Atem.

Nicht alle Texte eignen sich zum Vorlesen …

Es gibt toll geschriebene Texte, die einfach nicht klingen. Umgekehrt gibt es Bücher, die beim Lesen simpel scheinen, aber durch einen guten Sprecher Gehalt und Geheimnis bekommen. Ich entdecke erst beim Laut- Lesen, ob ein Text Längen hat – denn beim Für-sich-Lesen springt das Auge über langweiligere Passagen einfach hinweg und kürzt in Gedanken. Ein Sprecher kann durch den Klang seiner Stimme eine Atmosphäre herbeizaubern, für die ein Autor eine längere Beschreibung benötigen würde. Es gibt Texte, denen Kürzungen gut tun. Harry Potter und die John-Irving-Romane sind natürlich ungekürzt produziert worden.

Mit unserem Erzählwettbewerb wollen wir das Erzählen und Vortragen von Geschichten auch in den Schulen fördern.

Die Schule in Deutschland vernachlässigt die freie Rede, das Präsentieren. Meine Kinder gehen auf eine internationale Schule, wo sehr viel Wert auf Gruppenarbeit und die mündliche Präsentation von Projekten gelegt wird. Die Kinder lernen von klein auf, vor ihren Klassenkameraden, vor den Eltern und vor der ganzen Schule ihre Arbeiten vorzustellen. Geübt wird das durch Vorlesen, Theaterarbeit, aber auch Musikunterricht. Das ist so wichtig und macht den Kindern doch Spaß! Talent fällt schließlich nicht vom Himmel, das muss gefördert werden.

Das Gespräch führte Dorothee Nolte. Rufus Becks jüngste Hörbuch-Produktionen für Kinder: „Das Sams in Gefahr" von Paul Maar (Deutsche Grammophon), und „Artemis Fowl – der Geheimcode" von Eoin Colfer (Ullstein Hörbuch). Für Erwachsene: „Das Hotel New Hampshire“ von John Irving (Ullstein). Die Harry-Potter-Hörbücher sind im Hörverlag erschienen.

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