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Gesundheit: „Ein Zentralkomitee für richtig und falsch“

Der Historiker Ulrich Herbert hält die Gründung einer nationalen Akademie für überflüssig

Herr Herbert, nach über 15-jährigem Streit nimmt die Gründung der „Deutschen Akademie der Wissenschaften“ konkrete Formen an. Kann man der deutschen Wissenschaft gratulieren?

Dazu besteht kein Anlass. Die Begründungen für eine solche nationale Akademie überzeugen keineswegs. Es wäre ein weiteres Gremium in einem Konzert von ohnehin schon viel zu vielen Gremien, das keine neuen Perspektiven eröffnen kann, aber mit vielen Illusionen behaftet ist.

Frankreich, Großbritannien, die USA – alle haben nationale Akademien, nur Deutschland nicht. Was ist falsch daran, dass auch die deutsche Wissenschaft endlich mit einer Stimme sprechen soll?

Die nationalen Akademien zumindest in Frankreich und Großbritannien haben nahezu keinen Einfluss auf die nationale Wissenschaft und Wissenschaftspolitik. In Großbritannien ist nicht einmal die Royal Society die Stimme der Wissenschaft, sondern eine Stimme der Wissenschaft neben anderen. Umso weniger würde eine Neugründung in Deutschland die eine Stimme sein.

Aber wenn eine unter der Ägide des Bundespräsidenten stehende Gelehrtengesellschaft sich aus den Mauern des wieder aufgebauten Berliner Schlosses zu brennenden Zukunftsfragen wie dem Klimawandel oder der Migration äußert – das hätte doch Gewicht, oder?

Wissenschaftler sind vor allem Fachleute. In einer solchen Akademie würden sich die Widersprüche und Differenzen innerhalb der einzelnen Disziplinen und zwischen den Disziplinen genauso abbilden, wie das jetzt der Fall ist. Umstrittene wissenschaftliche Probleme, auch die Fragen der Kernforschung, in der Nanotechnik oder der Biomedizin, lassen sich nicht lösen, indem man eine „Akademie“ oder auch nur deren Vorstand entscheiden lässt. Sie werden in der öffentlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung debattiert. Man kann sich hier kaum etwas Unangenehmeres vorstellen als ein Zentralkomitee für die Entscheidung zwischen richtig und falsch.

Offenbar gehen aber international ausgelobte Fördergelder verloren, weil die deutsche Wissenschaft keine einheitliche Außenvertretung hat.

Das halte ich für Spekulation. Ob die politische Interessenvertretung mit 16 Länderstimmen und einer weiteren des Bundes optimal ist, kann man sicherlich zu Recht fragen Aber tatsächlich scheint mir die deutsche Wissenschaft auf europäischer Ebene sehr gut vertreten.

Durch wen?

Durch die starken Wissenschaftsorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Helmholtz-Gemeinschaft, aber auch durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), den größten Wissenschaftsförderer in Europa. Die werden sich ja nicht auflösen. Die DFG spricht ja auch von einer Vertretung der Wissenschaftler, nicht der Wissenschaften – dafür bleiben selbstredend die großen Institutionen verantwortlich. Die Akademie ist im besten Falle als Wissenschaftsdekor gedacht. Die Entscheidungen fallen woanders: dort, wo das Geld ist. Und das ist auch richtig, denn nur dann entsteht auch Verantwortung.

Welche Interessen stehen dann hinter der nationalen Akademie? Immerhin haben die Wissenschaftsorganisationen dem Konzept, über das Bund und Länder im September verhandeln wollen, ihre Unterstützung zugesichert.

Zum einen geht es um die Interessen der verschiedenen Akademien. Das Akademieprinzip hat allerdings in den vergangenen Jahrzehnten stark an Bedeutung verloren. Innovative, bahnbrechende Forschungen sind nicht an Akademien, sondern an den großen Forschungsinstitutionen entstanden. Zum anderen gibt es offenbar auch Kräfte, die hemmende Faktoren bei bestimmten Projekten aushebeln wollen, etwa in der Stammzellforschung. Und schließlich kommt offenbar auch ein Repräsentationsbedürfnis hinzu, das durch die nüchternen Drittmittelprojekte und Sonderforschungsbereiche nicht gedeckt zu werden scheint. Da ist ein Stadtschloss natürlich verlockend.

Trotzdem: Politikberatung und Orientierung für die Gesellschaft von wissenschaftlicher, politisch neutraler Warte scheint gefragt zu sein.

Mein Eindruck aus den letzten Jahren ist eher ein anderer: Es hat insbesondere unter der rot-grünen Koalition eine Inflation von Räten gegeben, alle hochrangig besetzt, Ethik-Kommission, Wirtschaftsweise, Rat für Migration und andere. Der Rat für Migration hat gute, vorausschauende Vorschläge gemacht – aber die Politik hat sich nicht dran gehalten, weil Politiker eben noch andere Aspekte berücksichtigen müssen, zum Beispiel den Wählerwillen. Was Politiker und Journalisten in der Tat ärgert ist, dass Wissenschaftler keine unanfechtbaren Wahrheiten verkaufen – drei Experten, vier Meinungen. Die Probleme liegen eher bei den bildungspolitisch autarken Ländern. Hier gibt es sicherlich erhöhten Koordinations- und Beratungsbedarf. Da wird die Rolle des Wissenschaftsrats als Koordinations- und Beratungsinstitution vermutlich noch wichtiger werden.

Hat die Wissenschaft ein Vermittlungsproblem?

In politiknahen Bereichen, wie in der Klimaforschung, bei der Demografie oder in vielen Ingenieursbereichen, fehlt es ja nicht an wissenschaftlichem Know-how und auch nicht an Vermittlung, um das als notwendig Erkannte durchzusetzen. Es fehlt an politischem Willen, an Mehrheiten und an Geld. Wir haben in Deutschland sicher in vielen Bereichen zu wenig Forscher, weil das Wissenschaftssystem unterfinanziert ist. Das ist in der Tat eine schwierige, bedrohliche Lage. Repräsentations-Institutionen haben wir in der der Wissenschaft hingegen mehr als genug.

Hoffen Sie nun, dass es den Befürwortern der Akademie ohnehin nicht gelingen wird, sich zu einigen, oder fürchten Sie, dass es doch zur Gründung kommt?

Ich vertraue auf den nüchternen Sinn der Wissenschaftler – und auf die heilende Wirkung der leeren Kassen.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

Ulrich Herbert (54), Historiker an der Universität Freiburg, ist Mitglied der

Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und des Wissenschaftsrats.

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