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Gesundheit: Eine Frage der Ehre

Berliner Universitäten streiten sich um historische Nobelpreisträger

Welche Berliner Hochschule darf sich mit den Nobelpreisträgern der alten Berliner Universität schmücken? „Die moralische Nachfolgerin ist die FU und sonst keine“, sagt Dieter Lenzen, der FU-Präsident. Die Humboldt-Universität sieht das anders. Deshalb freue sie sich „ohne Häme“ über Korrekturen am Shanghai-Ranking der 500 weltbesten Hochschulen, wie eine Sprecherin sagt.

Die Chinesen hatten auf ihrer Bestenliste des vergangenen Jahres alle Nobelpreisträger, die seit 1911 mit der Berliner Universität verbunden waren, der FU angerechnet, nicht aber der Humboldt-Uni. Diese lag in dem Ranking deshalb nur in der Gruppe mit den Platzierungen 152 bis 200, die FU dagegen auf Platz 95 als fünftbeste deutsche Uni. Die Humboldt-Universität fragte bei den Forschern in Shanghai nach – die nun alle Nobelpreisträger der HU gutschrieben. Jetzt ist sie auf Platz 95, die FU stürzt in die Gruppe mit den Plätzen 202 bis 310 ab (wie berichtet).

FU-Präsident Lenzen hält das Ranking für fragwürdig. Warum soll man Nobelpreisträger, die vor fast hundert Jahren an einer Einrichtung geforscht haben, heute noch in einem Qualitätsurteil berücksichtigen? Zwar will er sich mit der HU nicht „über verweste Nobelpreisträger streiten“. Doch es geht um das Image der FU, das auch von Rankings bestimmt wird – selbst wenn sie holzschnittartig, verzerrend oder gar falsch sind. Deshalb sollen die Chinesen die Nobelpreisträger beiden Berliner Unis anrechnen, fordert Lenzen. Er beruft sich auf die Geschichte seiner Universität. Die FU wurde 1948 ins Leben gerufen, weil die Kommunisten die Studierenden an der 1810 im Geiste Humboldts gegründeten Berliner Universität unterdrückten, die ab 1949 Humboldt-Universität hieß.

Doch haben die Gründungsväter der FU die neue Uni tatsächlich als Nachfolgerin der Berliner Universität gesehen? Michael Engel, der Leiter des Universitätsarchivs der FU, ist skeptisch. In den Festreden kommen zwar allgemeine Hinweise auf den „Humboldt’schen Geist“ der FU vor. Doch fast alle deutschen Unis sehen sich heute in dieser Tradition. Engel meint, die Gründungsväter und auch die Amerikaner, die sie unterstützten, hätten es geradezu vermieden, offizielle Ansprüche geltend zu machen: „Man wollte den Konflikt mit den Russen nicht auf die Spitze treiben. “

Hat die Berliner Universität aber überhaupt 29 Nobelpreisträger hervorgebracht, wie die HU stolz auf ihrer Homepage auflistet? Viele der Forscher haben ihren Durchbruch an anderen Einrichtungen erzielt, oft außerhalb von Berlin. Zwar studierte etwa Otto Diels, der 1950 mit seinem Schüler K. Alder den Nobelpreis für Chemie erhielt, in Berlin und wurde dort zum Professor berufen. Doch wenig später, 1916, wechselte er an die Uni Kiel, wo er 1928 die entscheidende Entdeckung machte. Und mit dem Mediziner Forssmann, der den Preis 1956 erhielt, schmückt sich auch die Uni Mainz.

Ähnlich verhält es sich auch mit den beiden Forschern, die die FU als „ihre“ Nobelpreisträger betrachtet: Der Wirtschaftsforscher Reinhard Selten, der 1994 den Nobelpreis als Professor in Bonn gewann, lehrte nur kurz an der FU, von 1969 bis 1972. Der Physik-Nobelpreisträger Ernst Ruska war zwar lange Honorarprofessor an der FU und der TU Berlin. Aber seine großen Forschungsleistungen erbrachte er bei Siemens und Halske. Dürfen sich die Unis solcher Erfolge rühmen? Beim Nobelpreis-Komitee in Schweden heißt es, üblicherweise würden die Forscher mit denjenigen Einrichtungen in die Annalen eingehen, an denen sie zur Zeit der Verleihung geforscht hätten. Es sei jedem aber freigestellt, auch andere wichtige Institute zu erwähnen, etwa im Lebenslauf. Dass Unis Nobelpreisträger gerne für sich vereinnahmen, selbst wenn diese nur kurz „durchgereist“ sind, ist dem Komitee nicht neu: „Das machen alle so“, lacht eine Sprecherin.

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