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Gesundheit: „Einen Königsweg gibt es nicht“

Pisa-Forscher Manfred Prenzel: Auch ein mehrgliedriges Schulsystem lässt sich entscheidend verbessern

Herr Prenzel, in weiten Teilen der Öffentlichkeit werden auch die Ergebnisse der zweiten PisaStudie eher negativ kommentiert, obwohl Sie selbst doch eher einen positiven Trend erkennen. Woran liegt das?

Gerade im Bildungsbereich sind schlechte Nachrichten offenbar gute Nachrichten. Womöglich hat die Wahrnehmung der Medien auch etwas mit den Meldungen der Deutschen Presseagentur zu tun, die schon vor der Veröffentlichung der Studie kursierten und den Eindruck erwecken wollten, es gäbe einen neuen Skandal. Ich will die Pisa-Ergebnisse nicht schönreden, wir sind natürlich noch nicht am Ziel. Aber wenn man einfach ignoriert, dass die Schüler sich verbessert haben, ignoriert man auch Chancen.

Sie sind über die Indiskretionen im Vorfeld ziemlich verärgert. Ist das große deutsche Interesse an Pisa nicht erfreulich?

Wenn vorab falsches Stückwerk verbreitet wird, verletzt das nicht nur die Spielregeln, sondern verhindert auch eine vernünftige Diskussion der Ergebnisse. Es schockiert mich schon ein bisschen, wenn die gleichen Journalisten, die die mangelhaften Lesekompetenzen der Schüler anprangern, nicht in der Lage sind, die Pisa-Tabellen richtig zu lesen.

Ist wegen der vorzeitigen Veröffentlichung von Ergebnissen mit Strafen von der OECD zu rechnen?

Alle, die die Pisa-Studie kannten, sind Geheimnisträger und haben eine Vertraulichkeitserklärung unterschrieben. Die OECD könnte Sanktionen gegen Länder verhängen, zum Beispiel einen verspäteten Zugang zum internationalen Bericht gewähren.

Wenn große Teile der Öffentlichkeit die Ergebnisse auch jetzt eher negativ sehen, können sie sich auch auf die pessimistische Interpretation von Andreas Schleicher, dem Pisa-Koordinator der OECD in Paris, stützen.

Andreas Schleicher interpretiert die Ergebnisse nicht pessimistisch. Er hat die Veränderungen wahrgenommen. Aber als Deutscher ist es für ihn eine besondere Herausforderung, sich zu Deutschland zu äußern. Es gibt mehrere Länder, zu denen viel zu sagen wäre. Wir müssen aufpassen mit Vergleichen: Sie können anregen. Einen Königsweg, an dem sich alle orientieren müssten, gibt es aber nicht. Die Länder haben einfach sehr unterschiedliche Traditionen.

Schleicher hält Deutschlands Verbesserung für gering. Polen habe sich im gleichen Zeitraum deutlich stärker gesteigert.

Ja, Polen ist international beispiellos in seiner Dynamik. Die Polen haben in ihrem Bildungswesen viel gemacht. Das darf man aber nicht abtrennen von der lebhaften Aufbruchstimmung, die dort auch in anderen Bereichen herrscht. Das ist schön, aber nicht ohne weiteres übertragbar.

Wie ernst kann man die etwas besseren Ergebnisse für Deutschland in Mathematik und den Naturwissenschaften wirklich nehmen? Womöglich sind die Schüler von ihren Lehrern diesmal nur besser auf die Tests vorbereitet worden?

Wenn dem so wäre, müssten ja auch die Leseergebnisse besser sein. Außerdem haben wir die Schüler gefragt, ob sie mit ihren Lehrern für Pisa geübt haben. 20 Prozent sagten, sie hätten dafür geübt – aber die Leistungen dieser Schüler sind im Schnitt nicht besser als die der anderen. Wir müssen die Ergebnisse aber noch einmal gründlicher betrachten, wenn wir den Vergleich zwischen den Bundesländern anstellen.

Die Kultusminister glauben, dass die Ergebnisse auch besser wurden, weil man nach der Tims-Studie 1998 das Sinus-Projekt zur Verbesserung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts aufgelegt hat. Können einige hundert Teilnehmerschulen den Schnitt wirklich heben?

Nein, dafür ist die Gruppe der Sinus-Schulen noch zu klein. Aber viele Ideen aus dem Projekt sind in der Lehrerschaft verbreitet worden, eine neue Aufgabenkultur hat in den Unterricht Einzug gehalten. Überhaupt hat man den Unterricht seit der Tims-Studie neu entdeckt, anstatt sich auf die Gestaltung des Schullebens zu beschränken.

Die neue Pisa-Studie zeigt, dass in Deutschland diesmal besonders schwächere Gymnasiasten sowie einige Real- und Gesamtschüler besser abgeschnitten haben. Das scheint doch zu zeigen, dass die Lehrer das Mittelmaß besser fördern, aber an den Schwächsten und Stärksten methodisch immer noch vorbei arbeiten?

Es ist doch gut, dass die Schüler oberhalb der Mitte besser geworden sind. Der nächste Schritt ist es, sich den anderen Herausforderungen zu stellen, die Schwächeren und die Talente zu fördern.

Sie sagen, die Studie gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass es einen systematischen Zusammenhang zwischen dem mehrgliedrigen Schulsystem und den Leistungen der Schüler gibt. Auch das Alter, in dem die Schüler auf die Schulformen aufgeteilt werden, wirke sich nicht aus. Andererseits stellen Sie aber fest, in Deutschland wirke sich die Schulform deutlich auf das Niveau eines Schülers in Mathematik aus. Das ist doch ein Widerspruch?

Pisa zeigt nicht die Überlegenheit eines Systems. Es gibt gute und schlechte Ergebnisse in integrierten und in mehrgliedrigen Systemen. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht fragen müssen, ob wir die Schüler angemessen fördern, ob wir sie fair auf die Schulformen aufteilen und ob die Durchlässigkeit des Systems nicht verbessert werden muss.

Die deutschen Schüler sind im Feld „Problemlösen“ überdurchschnittlich stark. Dabei geht es um das Anwenden analytischer Fähigkeiten. Genau darum geht es doch aber auch im Berufsleben. Zeigt das Ergebnis nicht, dass der Mathematikunterricht zu abstrakt und zu weltfremd ist?

Es gibt zwei Perspektiven. Die einen meinen, Mathematik könne in der Anwendung gewinnen. Die anderen sehen in der Mathematik ein ästhetisches Spiel, bei dem man lernen kann, Muster und Strukturen zu erfassen. In Deutschland ist im Moment eine Bewegung zu einem realitätsbezogenen Unterricht zu erkennen. Aber auch innermathematische Anforderungen können für die Schüler sehr reizvoll sein, wenn sie gut präsentiert werden.

Ein Bildungsforscher denkt sicherlich auch über die politischen Voraussetzungen für ein besseres Schulwesen nach. Im Moment versuchen die Länder, den Bund, der doch immerhin das große Ganztagsschulprogramm angeschoben hat, ganz aus der Bildungspolitik zu drängen. Ist das sinnvoll?

Man sollte ganz entspannt in einen Wettbewerb der Ideen eintreten. Im übrigen kann man durch gute Kooperationen Ressourcen sparen.

Das Gespräch führte Anja Kühne

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