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Gesundheit: Forschern fehlen gute Daten aus Schule und Arbeit Die Hartz-Kommission könnte Abhilfe schaffen

Von Gert G. Wagner Im wirtschaftspolitischen Trubel um die bislang bekannt gewordenen Vorschläge der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit sind Überlegungen zur Reform der Arbeitsmarktstatistik nahezu völlig untergegangen, die für die Wissenschaft in Deutschland große Bedeutung haben.

Von Gert G. Wagner

Im wirtschaftspolitischen Trubel um die bislang bekannt gewordenen Vorschläge der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit sind Überlegungen zur Reform der Arbeitsmarktstatistik nahezu völlig untergegangen, die für die Wissenschaft in Deutschland große Bedeutung haben. In der Kommission wurde diskutiert, dass der Staat künftig seine Statistikdaten für die unabhängige wissenschaftliche Evaluation der Arbeitsmarktpolitik freigeben soll. Wenn das aufgegriffen wird, wird auch die Evaluation des Schulsystems besser, weil dann die Daten für die einzelnen Bundesländer vernünftig ausgewertet werden können. Darüber hinaus wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der gesamten empirischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Deutschland gesteigert, wenn besseres Datenmaterial zur Analyse bereitsteht als bisher.

Grundsätzlich befinden sich die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in der merkwürdigen Situation, dass ein großer Teil des Datenmaterials, das sie analysieren, nicht von den Wissenschaftlern selbst geschöpft wird. Vielmehr produzieren staatliche Behörden – neben Statistischen Ämtern sind das große Verwaltungen wie die Bundesanstalt für Arbeit – die Daten und werten sie zum großen Teil auch selbst aus, ohne dass wissenschaftlicher Sachverstand unmittelbar einfließt. Wissenschaftler können nur mit aggregierten Daten arbeiten, die in Form von „Standard-Tabellen“ von den Ämtern und Verwaltungen publiziert werden.

Ein Naturwissenschaftler würde eine solche Rolle niemals akzeptieren. In den Naturwissenschaften ist es selbstverständlich, dass die zur Analyse benötigten Daten vom Wissenschaftler selbst erhoben werden – entweder in Form von Beobachtungen, wie in der Astronomie, oder, weit häufiger, mit Hilfe von Experimenten. Diesen Weg gehen die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften erst seit einigen Jahren, da er auch kostspielig ist. Um Geld zu sparen, werden weiterhin die vom Staat erhobenen Statistiken benutzt. Die ihnen zugrunde liegenden Daten sind aber bislang nicht vollständig für die Wissenschaft zugänglich.

Dadurch leidet nicht nur die Leistungsfähigkeit der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Auch der Staat und die Gesellschaft nutzen den vollen Informationsgehalt der aufwendig erhobenen Daten nicht aus. Und das kann zu fatalen politischen Entscheidungen führen. Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sind Beispiele dafür.

Bei der Analyse von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sagen hohe Vermittlungsquoten, wie sie von der Bundesanstalt für Arbeit standardmäßig errechnet werden, nichts aus, da die Teilnehmer an solchen Maßnahmen in der Regel von vornherein besser qualifiziert sind als andere Arbeitslose. Will man den Erfolg der ABM messen, muss man die Teilnehmer an Maßnahmen nur mit denjenigen Nicht-Teilnehmern vergleichen, die den Teilnehmern möglichst gleich sind („statistische Zwillinge“). Um dies tun zu können, reicht die Analyse der üblichen Tabellen nicht aus, sondern Fall für Fall muss vom Computer ausgezählt werden. Zuvor werden natürlich n und Adressen der Arbeitslosen aus den Daten, die statistisch analysiert werden, entfernt. Noch wichtiger aber ist: Es steht nirgendwo eindeutig geschrieben, was die allerbeste Methode für die Ermittlung statistischer Zwillinge ist. Dazu müssen Annahmen gemacht werden, die durchaus das Endergebnis beeinflussen können. Deswegen darf es niemals eine rein regierungsamtliche Evaluation der Arbeitsmarktpolitik geben. Nur unabhängige Wissenschaftler, die in Konkurrenz zueinander stehen, können belastbare Ergebnisse zu Tage fördern. Dieses Konzept ist auch für die PISA-Daten sinnvoll, wird aber bislang nicht angewandt.

Pisa-Daten zur Prüfung freigeben

Auch wenn man den Erfolg von Schulen und Schulsystemen messen will, reicht der einfache Vergleich der Leistungsfähigkeit von Schülern in verschiedenen Bundesländern nicht aus. Zum Beispiel ist der soziale Hintergrund der Schüler in den Bundesländern unterschiedlich. Noch wichtiger ist: An Schulversuchen nehmen Kinder nicht zufällig teil. Erfolge einer Waldorf-Schule oder der Montessori-Pädagogik beruhen zum Teil auf der „positiven Selbstselektion“ der Schüler. Auch hier ist ein aussagekräftige Evaluation wieder schwierig, da man statistische Zwillinge definieren und finden muss.

Deswegen sollte die Kultusministerkonferenz die PISA-Daten für einschlägige Wissenschaftler freigeben. Denn unabhängig von einer Veränderung der Studiumsstrukturen muss die auf die Lehrerausbildung und das Bildungswesen bezogene Forschung intensiviert werden. Der Wissenschaftsrat empfiehlt daher nachdrücklich den Ausbau einer international konkurrenzfähigen empirischen Bildungsforschung in Deutschland. Doch ohne eine gute Datenbasis ist das nicht machbar. Das können die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler von den Naturwissenschaftlern lernen.

Der Autor ist Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin. Er ist Mitglied im Wissenschaftsrat.

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