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Gesundheit: Forschung in Museen (V): Rechnen kann schön sein

Es rappelt und rasselt, es klingelt und ächzt - die "rechnende Turmuhr" arbeitet schwer. Nur langsam bewegt sich das metallene "Uhrwerk" aus Walzen, Hebeln und Gewichten, ehe in kleinen Fenstern auf dem "Ziffernblatt" die Lösung der Aufgabe angezeigt wird.

Es rappelt und rasselt, es klingelt und ächzt - die "rechnende Turmuhr" arbeitet schwer. Nur langsam bewegt sich das metallene "Uhrwerk" aus Walzen, Hebeln und Gewichten, ehe in kleinen Fenstern auf dem "Ziffernblatt" die Lösung der Aufgabe angezeigt wird. Der Betrachter empfindet aufrichtiges Mitgefühl für die unüberhörbar schuftende Maschine: Rechnen, wer weiß das nicht aus eigener Erfahrung, kann wirklich anstrengend sein.

Ästhetik als gemeinsamer Nenner

Vor 300 Jahren hat Giovanni Poleni die "rechnende Turmuhr" gebaut - immerhin eine "Vierspeziesmaschine", die bereits die vier Grundrechenarten beherrschte. Der Italiener war mit seinem Werk dennoch nicht zufrieden und hat die Maschine offenbar in einem Wutanfall verbrannt. Ein Nachbau steht nun im Bonner Arithmeum, das seit September 1999 Rechnen als intellektuelles wie ästhetisches Erlebnis präsentiert: Rechenkunst eben. Der Rundgang durch die Rechengeschichte mit zahlreichen historischen Maschinen bis hin zu den heutigen Computerchips wird verbunden mit Ausstellungen moderner Kunst. Dabei ergeben sich verblüffende Ähnlichkeiten, etwa zwischen den Bildern eines Konkreten Künstlers wie Horst Bartnig und mikroskopisch vergrößerten Chip-Bauplänen.

Hier wird Ästhetik zum gemeinsamen Nenner von Mathematik und Kunst. Zugleich ist dieses ungewöhnliche Wissenschafts-Museum mehr, als der arglose Besucher erkennen kann: Es ist Ausdruck einer Erfolgsgeschichte, die es dem oft maroden Zustand deutscher Hochschulen zum Trotz immer noch geben kann. Der 22 Millionen Mark teure Neubau beherbergt neben dem Arithmeum auch das Forschungsinstitut für diskrete Mathematik - beides zentrale Einrichtungen der Universität Bonn. Die Mittel machte die Düsseldorfer Landesregierung (der Bund beteiligte sich mit fünf Millionen) vor allem deshalb locker, um einen exzellenten Wissenschaftler in Bonn zu halten. Mathematik-Professor Bernhard Korte hat sich als Chip-Designer einen weit über die Grenzen Deutschlands hinausragenden Ruf erworben. An seinem Bonner Institut wurden die Baupläne entwickelt, nach denen die von IBM produzierten Computer-Gehirne arbeiten.

Der Konzern hat freilich nicht mit Korte persönlich, sondern mit der Universität Bonn einen millionenschweren Vertrag mit unbegrenzter Laufzeit abgeschlossen. "Wir werden natürlich begünstigt", bestätigt Korte augenzwinkernd, dass dies gewiss nicht zum Schaden des gut ausgestatteten Instituts ist. "Hier habe ich exzellente Arbeitsbedingungen, die ich sonst nirgendwo finde", sagt der rührige Professor, der Angebote aus Princeton, Ulm und auch aus der Industrie ausschlug.

Zu den "exzellenten Arbeitsbedingungen" zählt auch, dass Kortes Institut nun nicht mehr einer Fakultät unterstellt ist. Zwar ist sein Fach als Schwerpunkt vor allem für Mathematik- und Informatik-Studierende in den normalen Lehrbetrieb eingegliedert, doch "Verteilungskämpfe über 10 000 Mark brauche ich wirklich nicht mehr", sagt Bernhard Korte. Beim Nachwuchs im eigenen Fach hat der Mathematiker Bernhard Korte dagegen weniger Glück. Derzeit kann das Institut einige Stellen nicht besetzen. "Geld ist kein limitierender Faktor. Geld kann man drucken, Köpfe nicht", erklärt Korte. Das eigentliche Problem deutscher Hochschulen sei nicht die mangelhafte finanzielle Ausstattung, sondern der Mangel an Initiative und Ideen.

Wenn der Professor aus seinem Büro im dritten Stock tritt, ist er ein paar Schritte weiter bereits mitten im Museum. Hier beginnt der chronologische Rundgang mit archaischen Tontafeln und Zahlenschnüren, mit deren Hilfe Sumerer und Mayas bereits vor Tausenden von Jahren Zahlen darstellten. Natürlich fehlt auch nicht die Nachbildung eines "Abacus", eines antiken Rechenbrettes. Älteste Originalstücke des Museums sind Rechenpfennige, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Frankreich in Gebrauch waren. Diese kleinen, mit Ornamenten verzierten Metallstücke hatten keinen eigenen Wert, sondern wurden an Rechentischen als Platzhalter für den jeweiligen Stellenwert verwendet. Zu den Rechenmeistern, die in der jungen Neuzeit an solchen Tischen hantierten, gehörte auch ein gewisser Adam Ries (1492-1559), von dem das Arithmeum einige Originalschriften ausstellt. Seine Rechenbücher - frei nach Adam Riese - beeinflussten noch lange Zeit den Schulunterricht.

Doch wer weiß schon, dass die bereits vor über 2000 Jahren bekannten Rechenbretter noch heute im alltäglichen Gebrauch sind? Das Arithmeum zeigt ein skurriles Gerät, bei dem ein Soroban (japanisches Rechenbrett) mit einem modernen Taschenrechner kombiniert ist. "Damit werden in japanischen Zügen Fahrkarten verkauft", berichtet die Kunsthistorikerin Ina Prinz, die bereits mit 25 Jahren das Museum leitet.

Ideen hat es in der Geschichte der Rechenkunst reichlich gegeben, wie das Arithmeum beweist: Das Kernstück sind die historischen Maschinen, die Bernhard Korte seit seiner Studentenzeit sammelte. Von den mehr als 1200 Exponaten, die weltweit als die vollständigste Sammlung gelten, sind rund ein Viertel in dem Gebäude am Rande des Bonner Hofgartens zu sehen. Angefangen bei den "Taschenrechnern des 17. Jahrhunderts", den Stäben des Schotten John Napier, der die erste Multiplikationshilfe erfand. Die mechanischen Ideen für Rechenmaschinen lieferten vor allem der Franzose Blaise Pascal (1623-1662) und der Deutsche Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716).

Im Wert von 1,5 Millionen Mark

Die Barockzeit brachte prunkvolle Maschinen hervor, die jedoch eher Schmuckstücke waren und noch nicht mit den Rechenbrettern konkurrieren konnten. Die mechanischen Prinzipien überdauerten freilich Jahrhunderte, und auch das wertvollste Museumsstück, eine 1,5 Millionen Mark teure Originalmaschine des Ansbacher Uhrmachers Johann Christoph Schuster aus dem Jahre 1822, arbeitet mit den von Leibniz erdachten Staffelwalzen. Mit der im prächtigen Gold erstrahlenden kreisrunden Maschine Schusters treten freilich die wertvollen Einzelstücke von der Geschichtsbühne ab; denn nun begann die Ära der industriell gefertigten Rechenmaschinen.

Die letzte rein mechanische Maschine (die Hamann 1630) wurde 1969 gebaut und sah nur noch wie ein grober Klotz aus. Im aussichtslosen Konkurrenzkampf mit den Elektronikrechnern war sie "total überzüchtet", sagt Ina Prinz. "Die wanderte direkt auf den Schrottplatz."

Vieles kann man berühren

Den Besuchern des Arithmeums wird nicht nur fürs Auge etwas geboten; viele der Ausstellungsstücke kann man berühren, manches darf man selbst ausprobieren. Ausführliche Texte in Deutsch und Englisch bieten vertiefende Informationen. Dennoch finden nur Exponate ihren Weg in die Ausstellung, die auch einen ästhetischen Wert bieten. Außerdem kann sich das Publikum am Computerbildschirm auf spielerische Weise mit mathematischen Grundproblemen beim Chip-Design beschäftigen und am Ende sogar seinen eigenen Chip basteln. Deren Rechenvorgang ist längst nicht mehr sichtbar. Auf zwei Quadratzentimetern sind heute 25 Millionen Transistoren enthalten, die durch ein 1000 Meter langes Schaltnetz miteinander verbunden sind.

Bernhard Korte und seine Mitarbeiter suchen mit Hilfe der diskreten Mathematik den optimalen "Lageplan" der von Korte "Legosteine" genannten Transistoren. Diese Arbeit sprengt zweifellos die menschliche Vorstellungskraft; wie beruhigend ist es da zu wissen, dass der Meister selbst nur auf Papier, einen ganz weichen Bleistift setzt und gegebenenfalls ein Diktiergerät benutzt. Kaum zu glauben, aber wahr: Weder Zuhause noch im Büro arbeitet Bernhard Korte an einem Computer. "Ich kann viel schneller sprechen als eintippen", begründet er seine ganz und gar unmoderne Abstinenz. In puncto Kreativität bleibt eben selbst der schnellste Chip dem menschlichen Gehirn hoffnungslos unterlegen.

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