zum Hauptinhalt

Gesundheit: Galileos Erben mischen sich untersVolk

Von Hartmut Wewetzer „Der Mond kann eine Erde sein“, sagt Galileo. „So wäre kein Unterschied zwischen Erde und Mond?

Von Hartmut Wewetzer

„Der Mond kann eine Erde sein“, sagt Galileo.

„So wäre kein Unterschied zwischen Erde und Mond?“ fragt sein Gegenüber. „Wo ist dann Gott?“

„Bin ich Theologe?“ erwidert Galileo. „Ich bin Mathematiker.“

Galileo Galilei, der Mann, der die Erde aus dem Zentrum des Kosmos rückte und durch die Sonne ersetzte, hadert mit den Mächten seiner Zeit, mit Obrigkeit und Kirche. Es sind bleiche Stelzenmänner, der eine mit gelber Bischofsmütze, der andere mit grüner Schärpe.

Die Theaterszene spielt im kastaniengesäumten Innenhof der Berliner Humboldt-Universität. „Auf den Schultern von Riesen“ lautet der Titel der kleinen Performance, mit der die Gruppe „Interarte“ die „Lange Nacht der Wissenschaften“ eröffnet. Die Texte stammen aus Bertolt Brechts „Leben des Galilei“, die Musik von Hanns Eisler. Die allerdings geht in einem elektronischen Pfeifen und Fiepen unter.

Der Wissenschaftler als Provokateur, als Herausforderer – das ist an diesem lau-schwülen Sommerabend ein eher ungewöhnliches Motiv. Eigentlich wollen die Berliner Hochschulen und Institute mit der Langen Nacht ja die Distanz zwischen ihrem Tun und dem gewöhnlichen Volk aufheben. Den Ruf, in „unnahbaren und verschlossenen Elfenbeintürmen“ zu hausen (so Forschungsministerin Edelgard Bulmahn in ihrem Grußwort), wollen sie loswerden und ein „Sommerfest der Wissenschaft“ feiern.

Der Breitscheidplatz ist vielleicht der größte Gegensatz zum Elfenbeinturm, der sich denken lässt. Ein Tummelplatz für das gewöhnliche Volk. Cafés, Würstchenbuden, Schnellzeichner, Straßenmusikanten, Jugendliche auf Skateboards und BMX-Rädern. Und jede Menge Touristen. Hier, im Schatten der mächtigen Gedächtniskirche, hat die Freie Universität Berlin ihr weißes Plastikzelt aufgebaut. „Forschung zum Anfassen“ lautet das Motto der „Science Fair“ genannten dreitägigen Ausstellung.

Ökologische Murmelbahn

Im Innern herrscht geschäftiges Treiben. Institute haben Stellwände aufgebaut, auf denen Fotos, Grafiken und Texte die Arbeit erläutern. Geologen erläutern am Modell einer schrägen Murmelbahn, warum ein mäandernder Fluss in einem Auenwald Hochwasser viel besser aufhalten kann als ein begradigter Wasserlauf. Während die Murmeln im Fall der Wasserstraße einfach die Schräge herabrollen, werden sie im „Auenwald“ durch grün lackierte Holzstifte gebremst.

„Unser Ökoflipper ist natürlich nur ein Werbegag“, sagt der FU-Geograf Carsten Wirtz. „Aber die Kinder bleiben stehen, und wir kommen mit den Erwachsenen ins Gespräch.“ Denn eigentlich geht es um etwas weniger Verspieltes. Nämlich um die Frage, ob man am Oberrhein das Ufer über eine Breite von 90 Metern und auf 49 Kilometer Länge fünf Meter tief ausbaggern soll, um wieder natürliche Verhältnisse zu schaffen.

Saurier zum Anfassen

Ein paar Meter weiter wird das Motto „Forschung zum Anfassen“ Wirklichkeit. Der Paläontologe Michael Schudack präsentiert einen knapp einen Meter langen, wuchtigen Dinosaurierknochen. Der „recht kleine Oberschenkelknochen“ (Schudack) gehörte einem pflanzenfressenden Dinosaurier, der vor 120 Millionen Jahre lebte.

Jetzt kann jedermann den Knochen anfassen. Er ist in der Mitte entzweigebrochen, aber das ist umso besser. So kann man die feinen Knochenbälkchen im Innern betrachten und betasten. Sie sind mit den Jahrmillionen ein bisschen braun geworden, aber sie bestehen aus der gleichen Substanz wie unsere Gebeine: Kalziumphosphat. „Fassen Sie ruhig an“, sagt Schudack zu einer ungläubig blickenden älteren Dame, „dieser Knochen ist genauso porös wie ihre.“ Und fügt dann eilig hinzu: „Oder wie meine Knochen.“

Der jüngste Forscher auf dem Breitscheidplatz heißt Janek Stein und ist gerade zehn geworden. Janek zieht den Besucher am Ärmel und fragt, ob er ihm erklären soll, was ein Quasar ist. Mit einem Overhead-Projektor wirft er die Zeichnung eines Quasars an die Wand. In der Mitte ein Schwarzes Loch, in das Materie hineinstürzt. Das Loch ist von einer Akkretionsscheibe umgeben. Akkretion? „Da wird die Materie aufbewahrt“, erklärt Janek. Zusammen mit seinem Bruder hat er in der Wilhelm-Foerster-Sternwarte Helligkeitsschwankungen des Quasars 4U 0241+61 beobachtet.

Janek lässt sich beim Reden durch nichts aus der Ruhe bringen. Weder vom dröhnenden Glockengeläut der Gedächtniskirche noch von einer Podiumsdiskussion, die zehn Meter neben ihm stattfindet. Wie hat Brecht seinen Sterngucker Galileo sagen lassen? „Ich glaube an die sanfte Macht der Vernunft.“

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false