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Gesundheit: Gesundheitskosten: Sprengsatz fürs Arzneibudget

Mehr und mehr Menschen werden in den kommenden Jahren an Krebs erkranken. Neben der steigenden Lebenserwartung - Krebs nimmt mit dem Alter zu - liegt ein Grund dafür paradoxerweise in den Erfolgen der Medizin.

Mehr und mehr Menschen werden in den kommenden Jahren an Krebs erkranken. Neben der steigenden Lebenserwartung - Krebs nimmt mit dem Alter zu - liegt ein Grund dafür paradoxerweise in den Erfolgen der Medizin. "Unsere Patienten werden immer mehr, je besser unsere Kollegen in der Herz- und Gefäßmedizin werden", sagt Hanno Riess, Krebsspezialist an der Charité, Campus Virchow. Die Patienten sterben nicht mehr an Herzleiden und erkranken stattdessen an Krebs.

Auch die Fortschritte der Tumormedizin haben Folgen für das Gesundheitssystem: Das Gebiet gilt inzwischen als wahrer Sprengsatz für ärztliche Budgets. Ein Beispiel dafür sind bestimmte Krebsmedikamente. Wie der Tagesspiegel berichtete, wollen die gesetzlichen Krankenkassen, allen voran die Betriebskrankenkasse (BKK), die Behandlung mit dem Präparat Gemcitabin (Handelsname: Gemzar) in bestimmten Fällen in Zukunft nicht mehr bezahlen und von den Ärzten für die Vergangenheit Rückzahlungen fordern.

Das Präparat gehört zu den Zytostatika, mit denen die schnell wachsenden Krebszellen in ihrem Wachstum gehemmt oder abgetötet werden. Es ist seit 1997 in Deutschland zugelassen, zunächst für die Behandlung von Karzinomen der Bauchspeicheldrüse. Es wird allerdings vielerorts auch gegen andere Krebsformen eingesetzt.

Riess weist darauf hin, dass die aktuelle Diskussion zwar an einem einzelnen Krebs-Medikament festgemacht wird, dass jedoch "ein ganzer Holzstapel zusammenbrechen könnte", wenn die Behandlung mit dem Präparat in Frage gestellt wird. "Als Ärzte sind wir immer wieder mit Krebspatienten konfrontiert, für die es keine optimale Therapie und kein für diese Situation zugelassenes Medikament gibt."

Eine solche Zulassung bekommen Firmen meist nur nach großen Studien, in denen Hunderte bis Tausende von Patienten nach dem Zufallsprinzip Gruppen zugeteilt werden, von denen nur eine mit dem zu testenden Präparat behandelt wird. Die Pharmafirmen beantragen Zulassungen bevorzugt für häufige Leiden. Rare Erkrankungen, zu denen Gallenwegstumoren gehören, werden nur selten berücksichtigt.

Wenn die Medikamente, die eine Zulassung für die Behandlung eines solchen Tumors haben, nicht wirken oder wegen zu starker Nebenwirkungen abgesetzt werden müssen, wird der Krebsspezialist es mit Präparaten versuchen, die für die vorliegende Krankheit nur mit dem wissenschaftlichen Fundament kleinerer Fallzahlen aufwarten können. Im Fall des Gemcitabin gibt es dafür laut Riess triftige Gründe. Zunächst die gute Verträglichkeit: "Ein Präparat, das beim Bauchspeicheldrüsen-Krebs eingesetzt werden kann, muss diese Bedingung erfüllen." Denn diese Tumoren bilden sehr früh Tochtergeschwülste und sind in vielen Fällen unheilbar. Nur fünf Prozent der Patienten sind nach einer Operation wirklich geheilt. Wenn danach keine weitere Behandlung erfolgt, leben sie mit einem fortgeschrittenen Tumor im Schnitt nur noch drei Monate.

Mit der neuen Substanz konnte dieser Zeitraum verdoppelt werden, vorläufige Ergebnisse einer Studie aus der Charité, die inzwischen über drei Jahre läuft und insgesamt 600 Patienten einschließen soll, weisen darauf hin, dass eine Kombinationstherapie eine Verbesserung der Lebenserwartung auf neun Monate bringt.

Um "nicht nur das Überleben, sondern das Leben der betroffenen Menschen zu verbessern", ist Riess bereit, "die durch Zulassung abgepflasterten Wege zu verlassen", also im konkreten Fall Gemcitabin auch bei Lymphomen, Eierstock, Hoden- oder Brustkrebs einzusetzen. Ulrich Keilholz, leitender Oberarzt der Onkologie im Klinikum Benjamin Franklin, betont, dass das heute in der Krebsheilkunde ohnehin gang und gäbe ist: "60 bis 70 Prozent aller Krebsmittel werden außerhalb des engen Zulassungstexts eingesetzt, und das ist zum Teil sogar in Leitlinien fixiert."

Während das in der Vergangenheit kein Problem war, werden jetzt sogar die Universitätskliniken von den Kassen mit "Forderungen in fünfstelliger Höhe" belegt. Für den Krebsspezialisten Wolfgang Siegert von der der Charité, Campus Mitte, steht jedoch außer Frage, dass die Kassen ein Kontrollrecht haben: "Wenn Fachleute für die einzelnen Krebsformen in den Prüfungsausschüssen sitzen, ist nichts dagegen einzuwenden." Statt immer nur über Geld könnte man dann vielleicht mehr über Sinn und Nutzen verschiedener Behandlungen streiten.

Adelheid Müller-Lissner

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