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Gesundheit: Gewalt in Schulen: Opfer sind oft auch Täter

Gehören Prügel, Schlägereien und Waffenbesitz neuerdings zum Schüleralltag? Körperliche Auseinandersetzungen waren schon immer Bestandteil der Erlebniswelt von Jugendlichen.

Gehören Prügel, Schlägereien und Waffenbesitz neuerdings zum Schüleralltag? Körperliche Auseinandersetzungen waren schon immer Bestandteil der Erlebniswelt von Jugendlichen. Lehrer verurteilen diese Gewalt als primitiven Rückfall in unzivilisierte Formen der Konfliktbewältigung. Schüler wissen das und nutzen Gewalt daher auch, um zu provozieren: Wer mit dem Klappmesser spielt, ist sich der Aufmerksamkeit der Pädagogen gewiss.

Gewalt an Schulen ist also kein neues Phänomen. Wenn Schulen heute als Hort prügelnder Jugendlicher beschrieben werden, dann müsse man das mitbedenken, so Klaus-Jürgen Tillmann, Professor für Schulpädagogik an der Universität Bielefeld. Letzte Woche stellte er an der Universität Potsdam die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu Gewalt an Schulen vor. Von 1994 bis 2000 dauerten die Forschungen. 1995/1996 befragten Wissenschaftler für das Projekt hessische Schüler der fünften bis zehnten Klasse und erstellten anschließend detaillierte Fallstudien.

Ergebnis: Die soziale Hierarchie der Schulformen bildet sich ungebrochen in der Verteilung von Gewalt ab: 25 Prozent der Hauptschüler geben an, regelmäßig zuzuschlagen oder sich zu prügeln. Bei den Gymnasiasten sind es lediglich fünf Prozent. Bei psychischer Gewalt spielt die Schulform hingegen kaum eine Rolle: Knapp 60 Prozent aller Schüler geben an, in den letzten zwölf Monaten Mitschüler gehänselt oder beschimpft zu haben. Darunter sind genauso viele Mädchen wie Jungen. Bei körperlichen gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligen sich hingegen drei bis fünf Mal mehr Jungen als Mädchen. Schüler sind selten nur "böse Täter" oder "arme Opfer", betonte Tillmann. Die Gruppe der häufigen Täter überschneide sich mit der Gruppe der häufigen Opfer. Man könne daher von zwei Milieus sprechen - von Schülern, die fast nie als Täter oder Opfer in Erscheinung treten und von Schülern, die immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen verstrickt sind.

Der heutige Schulalltag ist nicht von prügelnden Jugendlichen dominiert, wie manche Medien suggerieren. Aber Tillmanns Daten belegen, dass die Gewalt an Schulen zugenommen hat: Fünf Prozent aller Schüler gaben 1972 an, schon einmal einen Mitschüler zusammengeschlagen oder "arg zugerichtet" zu haben. Heute sind es 13 Prozent. Während die Gewalt an Gymnasien nur leicht gestiegen ist, ist Tilmann zufolge die Situation an Haupt- und Sonderschulen brisant - 23,5 Prozent aller Hauptschüler berichten, schon einmal einen Mitschüler zusammengeschlagen zu haben. 1972 waren es nur zehn Prozent. Als Ursache für diese Zunahme von Gewalt an Haupt- und Sonderschulen nannte Tillmann zunächst die veränderte Jahrgangszusammensetzung - 1972 gingen noch 60 Prozent eines Jahrgangs zur Haupt- und Sonderschule, 1995 waren es nur noch 18 Prozent. Es fehlten jedoch repräsentative Langzeitstudien, gab Tillmann zu bedenken. Vergleichsmaterial wie die von ihm verwendete Studie von 1972 seien selten, so dass Auskünfte über den Anstieg von Gewalt an Schulen empirisch wenig gesichert seien.

Wenn Schüler aggressiv sind, kann das mit ihrem Konsum von Horror-, Gewalt-, und Pornovideos zu tun haben, so das Ergebnis der Untersuchung. Besonders gewaltbereit seien aber auch Jugendliche, die einer Clique angehören, in der eine aggressive Wertorientierung herrsche. Nationalistische und rechtsextreme Cliquen sind hierfür ein Beispiel. In der Regel sei Gewalt an Schulen, zumindest in den Klassen fünf bis zehn, jedoch nicht politisch motiviert. Auch in den Schulen selbst finden sich Ursachen von Gewalt. Gerade Schüler, die ein schwieriges Verhältnis zu Mitschülern und Lehrern haben, seien oft gewalttätig. "Außenseiter unter den Schülern werden häufig auch noch von den Lehrern als Versager abgestempelt - sie werden für leistungsschwach gehalten, egal wie sehr sie sich bemühen", sagte Tillmann.

Doch lassen sich die an hessischen Schulen gewonnenen Ergebnisse auch auf die neuen Bundesländer übertragen? Eine in Sachsen parallel durchgeführte Studie, liefere überraschend ähnliche Ergebnisse, so Tillmann:"Ostdeutsche Schüler sind nicht gewalttätiger als westdeutsche". Das Gleiche gelte für türkische Schüler: Nur das soziale Umfeld, nicht aber die nationale Herkunft spielten bei der Frage nach der Gewalttätigkeit eine Rolle.

Nicht immer seien spezielle Anti-Gewalt-Programme der richtige Weg, um Gewalt an den Schulen vorzubeugen, meint Tillmann. In vielen Fällen sei es sinnvoller, das Klima zwischen Lehrern und Schülern zu verbessern: Ein Drittel aller in Hessen befragten Schüler habe den Eindruck, bei gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Schulgelände von ihren Lehrern nicht ausreichend unterstützt zu werden, sagte Tillmann: "Darüber muss man nachdenken."

Sibylle Salewski

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