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Gesundheit: Grippeviren: Die wahren Schläfer

Eine weltweite Epidemie mit Millionen von Opfern droht. Sind wir darauf vorbereitet?

Seuchenexperten schlagen Alarm. Ein hoch ansteckender Stamm eines in Südostasien heimischen Vogelgrippevirus könnte eine weltweite Grippe-Epidemie auslösen. Die Wissenschaftler rechnen mit katastrophalen Folgen, wenn es nicht rechtzeitig gelingt, Impfstoffe zu entwickeln und in ausreichenden Mengen zu produzieren. Die internationale Gemeinschaft ignoriere die Warnungen noch immer, heißt es in der aktuellen Ausgabe von „Nature“ (Band 435, 26. Mai 2005). Das Fachblatt will die Öffentlichkeit jetzt wachrütteln und hat dazu Artikel namhafter Experten zusammengestellt.

In den letzten fünf Monaten haben sich allein in Vietnam 49 Menschen mit dem Vogelgrippevirus infiziert, 17 davon starben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die in der vergangenen Woche neue Zahlen veröffentlichte, meldet außerdem erstmals vier Fälle in Kambodscha, nahe der vietnamesischen Grenze. Seit dem Ausbruch der Vogelgrippe des Typ Influenza A/H5N1 sind weltweit 97 Menschen daran erkrankt – für 53 war der Infekt tödlich.

Viren sind besonders tückische Krankheitserreger. Sie vermehren sich nicht selbstständig, sondern entern Zellen des Körpers, den sie befallen haben. Diesen Wirtszellen pflanzen sie ihre Erbinformation ein und bringen sie dazu, neue Viren zu produzieren. Normalerweise kann unser Immunsystem Viren bekämpfen: Es bildet Antikörper, die wie ein Schlüssel zum Schloss zur Oberfläche der Fremdkörper passen, dort andocken und das Virus ausschalten – wäre da nicht die Crux mit dem passenden Schlüssel: Bei der Vermehrung der Viren entstehen ständig genetische Veränderungen (Mutationen). Durch den Kopiervorgang wird das Erbmaterial, das bei Influenza-A-Viren nur als einsträngige RNS vorliegt, beschädigt und flugs entsteht ein Virus, das eine ganz andere Oberfläche hat – dann erkennen die Antikörper es nicht mehr.

So liegt das Immunsystem im Wettlauf mit mutierten Viren ständig hinten. Impfstoffe bestehen aus Antigenen, die im Organismus die Antikörper-Produktion ankurbeln. Doch da die Erreger schnell mutieren, müssen immer neue Impfstoffe entwickelt und den veränderten Stämmen angepasst werden.

Dass aus harmlosen Viren durch Mutationen gefährliche neue Varianten entstehen können, ist keine theoretische Annahme, wie sich bereits am Vogelgrippevirus Influenza A/H5N1 gezeigt hat: Es war schon seit langem bei Vögeln bekannt, führte aber zunächst nur zu leichten Symptomen. Nach einigen Monaten, die es in einer asiatischen Hühnerpopulation schlummerte, brach es 1997 als hoch virulente Form wieder aus: Innerhalb von 48 Stunden konnte es ein Huhn töten, die Sterblichkeit infizierter Tiere lag bei fast 100 Prozent.

Zwar waren die bisher gemeldeten Fälle von Vogelgrippe bei Menschen auf eine direkte Ansteckung durch den Kontakt mit infiziertem Federvieh zurückzuführen – doch Wissenschaftler halten es für realistisch, dass sich das Genmaterial von Geflügelpestviren mit dem von Erregern menschlicher Influenza vermischen könnte. Das kann passieren, wenn sich jemand, der gerade an einer „normalen“ Grippe leidet, zusätzlich mit Vogelgrippe infiziert: So würden hoch ansteckende Kombiviren entstehen – übertragbar von Mensch zu Mensch. „Die Folge wäre eine Pandemie, die sogar das Ausmaß der Spanischen Grippe von 1918 übertreffen könnte“, meint Michael T. Osterholm, Direktor des Zentrums für die Erforschung von Infektionskrankheiten an der Universität von Minnesota/USA.

Zwar haben einige Länder auf Empfehlung der WHO Notfallpläne für den Fall einer Epidemie aufgestellt, aber vor allem die asiatischen Länder mit dem höchsten Risiko eines Ausbruchs seien nicht ausreichend vorbereitet, berichtet „Nature“. „Die nächste globale Grippewelle ist längst überfällig“, meint Anthony S. Fauci, Direktor der Nationalen Gesundheitsinstitute der USA und Berater im Weißen Haus. Das amerikanische Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz will im Jahr 2005 rund 419 Millionen US-Dollar in die Verbesserung des Influenza-Notfallplans stecken.

Und wie sieht es in Deutschland aus? Das Robert-Koch-Institut in Berlin hat auf Empfehlung der WHO einen umfassenden Notfallplan aufgestellt. „Dennoch wären wir bei einer Pandemie derzeit nicht ausreichend vorbereitet“, meint Hans-Dieter Klenk, Virologe am Zentrum für Hygiene und Infektionsbiologie der Universität Marburg. „Der Notfallplan sieht sinnvolle Maßnahmen vor – nur an der Umsetzung hapert es“, sagt der Experte für Infektionskrankheiten. Die Produktionskapazitäten für Impfstoffe reichten bei weitem nicht aus, um im Ernstfall die gesamte Bevölkerung zu versorgen. Und das ist im Ausland nicht anders. „In Europa gibt es nur acht Hersteller von Impfstoffen – zwei davon in Deutschland“, sagt Klenk.

Den gleichen Engpass gäbe es mit Neuraminidase-Hemmern. Das sind Anti-Virus-Medikamente, die hauptsächlich dann eingesetzt werden, wenn jemand bereits erkrankt ist. „Auch die Kapazitäten, große Mengen dieses Medikaments zu produzieren und zu lagern, sind nicht ausreichend“, sagt Klenk.

Jetzt gibt es erste Anzeichen dafür, dass einige Influenza-Viren resistent gegen das Medikament sind. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, gäbe es keine Therapie für mit einem resistenten Virenstamm infizierte Menschen.

Ein weiteres Problem ist, dass Impfstoffe erst dann entwickelt werden können, wenn ein neues Virus isoliert worden ist. „Wir können zwar ein Serum gegen bekannte Influenza-Erreger herstellen, aber wenn ein neuer Stamm entsteht und eine Pandemie auslöst, wird es zunächst keinen passenden Impfstoff geben“, erklärt der Experte.

Viele Wissenschaftler, darunter auch Diane Hulse und Robert Webster, Virologen am Kinderkrankenhaus in Memphis/Tennessee, wollen das Problem an der Wurzel packen. Zuerst müsse das Geflügel weltweit kontrolliert und geimpft werden, bevor es ein mutiertes Virus „ausbrüten“ kann, mit dem sich Menschen dann gegenseitig anstecken könnten. Sie fordern die internationale Gemeinschaft zu besserer Zusammenarbeit auf. „In Asien wurden zu wenig Proben des Vogelgrippevirus genommen, die zur Entwicklung von Impfstoffen benötigt werden“, meinen Hulse und Webster. Und die Weitergabe von Proben werde durch Embargos und falschen Nationalstolz erschwert.

Dagny Lüdemann

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