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Gesundheit: Gummibärchen statt Goethe

Wie Deutschland versucht, bei Frankreichs Schülern Sympathie für seine Sprache zu wecken

Das waren noch Zeiten, als von Lille bis Marseille die guten Schüler der Grande Nation Deutsch als erste Fremdsprache wählten. „Das Fach hatte eine Selektionsfunktion, ähnlich wie Latein am deutschen Gymnasium“, erinnert sich Joseph Philipps, Generalinspekteur für den Deutschunterricht des Pariser Bildungsministeriums. Für begabte Kinder war es selbstverständlich, Deutsch ab der sechsten Klasse bis zum Abitur zu lernen. Doch das ist längst Vergangenheit. Heute haben nur noch 15 Prozent aller französischen Schulabgänger das Fach überhaupt belegt, und das, obwohl an jeder Schulart zwei Fremdsprachen zum Pflichtprogramm gehören. Dagegen hatten von allen deutschen Schulabgängern immerhin 25 Prozent Französischunterricht.

Das elitäre Image wurde dem Deutschunterricht zum Verhängnis, denn seit die französischen Eliten mit einiger Verspätung die englische Sprache entdeckt haben, ist das Fach zur Randerscheinung geworden. „Deutsch hat bei französischen Schülern den gleichen Ruf wie Latein in Deutschland: schwer und langweilig“, erklärt der Leiter des deutschen Kulturinstituts in Montpellier, Kurt Brenner. In kleineren Schulen sind es oft nicht mehr als fünf, sechs Schüler, die das Fach wählen. Um zu verhindern, dass Deutsch dort vollends aus dem Angebot verschwindet, hat Brenner vor zwei Jahren die Aktion „Deutschmobil“ ins Leben gerufen. Das sind sechs Kleinbusse, die durch das französische Hinterland fahren, um auf den Schulhöfen für Deutsch als Fremdsprache zu werben. Die von Daimler-Chrysler und der Bosch-Stiftung finanzierte Initiative will Schüler aus allen Schichten ansprechen.

„Wir müssen weg von dem angestaubten Deutschlandbild, das hierzulande herrscht“, sagt Brenner, der seit 35 Jahren in Frankreich lebt. Wenn das Deutschmobil anrückt, kommt Party-Stimmung auf. Bewaffnet mit CD-Player, Videogerät, Comics und Gummibärchen soll es den Kindern ein „cooles“ Deutschland präsentieren, dessen Einwohner mitunter Spaß haben anstatt maschinenartig ihrer Arbeit nachzugehen. „Für viele Franzosen eine neue Erkenntnis“, sagt Brenner. Bislang sind die sechs Deutschmobile 20 000 Kilometer gefahren, haben 1000 Schulen besucht und 300 Elternabende organisiert. Die Initiative kommt an. Bis zu 50 Prozent mehr Schüler entscheiden sich an den teilnehmenden Schulen für Deutsch.

Davon können die germanistischen Fakultäten nur träumen. Zwar bieten fünf der insgesamt zwölf Universitäten im Großraum Paris ein Germanistik-Studium an, doch die Sprache Goethes lockt kaum jemanden in die Hörsäle. „Die Studentenzahlen sind enorm zurückgegangen, und genau wie in der Schule ist das Spanische der lachende Dritte“, sagt Gerald Stieg, Direktor des Instituts für Germanistik der Universität Paris-III.

Spanien – das klingt nach Flamenco und Rioja. Deutschland bringen junge Franzosen bestenfalls mit eiserner Disziplin in Verbindung, die gerne ins Lächerliche gezogen wird. „Ich kann die Glossen über die Mülltrennung in der französischen Presse nicht mehr sehen“, sagt der Historiker Michael Werner, der in Paris lehrt. Die 20 Jahre alte Anne erzählt: „Als ich meinen ehemaligen Klassenkameraden sagte, dass ich mich für Deutsch eingeschrieben habe, lautete die Antwort: Du bist wohl verrückt geworden!“. In einigen Universitäten kämpfen die Germanistischen Fakultäten ums Überleben. „Für mittelalterliche Lyrik interessieren sich eben nur wenige, und Themen wie die deutsch-französischen Beziehungen sind zum Schlafmittel geworden“, klagt Stieg. Um Abiturienten zu gewinnen, die ein klassisches Literaturstudium abschreckt, bieten einige Fakultäten landeskundliche Deutsch- Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten an, etwa Geschichte oder Wirtschaft. Im Studiengang Angewandte Fremdsprachen kann Deutsch mit einer weiteren Sprache kombiniert werden.

Erste Erfolge zeichnen sich ab. Während im vergangenen Herbst nur 35 junge Franzosen die Universität Paris-III mit einem Magister in deutscher Literatur verließen, waren es im Fachbereich Angewandte Fremdsprachen mit Schwerpunkt Wirtschaftssprache mehr als doppelt so viele. Generalinspekteur Philipps sieht die Universitäten damit auf dem richtigen Weg: „Eine Sprache lernt man entweder, weil es Freude macht oder weil es nützlich ist. Wenn im Deutschunterricht keine Freude aufkommt, muss man eben auf den Nutzen setzen, den es hat, die Sprache der größten Volkswirtschaft der Eurozone zu beherrschen.“

Mehr zum Thema im Internet: www.deutschmobil.com

Siehe auch Frankreich-Deutschland-Beilage Seite B10

Andrea Exler[Paris]

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