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Gesundheit: Hoffen auf Wunderwaffen

"Mein lieber Schatz, mach Dir um uns keine Sorgen. Ein Urlauber aus unserem Bekanntenkreis meinte, der Krieg könnte nicht mehr lang dauern, wenn auch andere meinen, noch zwei Jahre.

"Mein lieber Schatz, mach Dir um uns keine Sorgen. Ein Urlauber aus unserem Bekanntenkreis meinte, der Krieg könnte nicht mehr lang dauern, wenn auch andere meinen, noch zwei Jahre. Das finde ich ausgeschlossen, es sei denn, die Wunderwaffe würde noch zum Einsatz kommen." So schreibt Irene Guicking am 25. März 1944 ihrem Mann Ernst, der zu dieser Zeit als Wehrmachtsoldat in Frankreich im Einsatz ist. Nur versteckt, aber für den Historiker doch deutlich genug, äußert sie ihr Misstrauen gegenüber den Beteuerungen der Reichsführung, der Sieg sei nicht in weiter Ferne. Doch darf man ernsthaft an den Sieg glauben, wenn nur noch "Wunder"-Waffen ihn herbeiführen können, da die konventionelle Kriegsführung dazu nicht mehr reicht?

In dem vom Feldpost-Archiv und dem Verleger Jürgen Kleindienst unter dem Titel "Sei tausendmal gegrüßt" herausgegebenen Briefwechsel der Eheleute Guicking sind der Krieg und die politischen Ereignisse jedoch nur ein Moment des alltäglichen Erlebens. Und gerade auf die Mischung aus dem Widerhall der geschichtlichen Ereignisse einerseits und der Intimität des ehelichen Austauschs über ganz persönliche Fragen andererseits zielt das Interesse der Herausgeber. "Interessant ist dieser Briefwechsel und die so genannte Feldpost überhaupt vor allem deshalb, weil sie den Menschen von seiner verletzlichen Seite her zeigt. So ein Briefwechsel erlaubt einen Blick auf die Zwiesprache eines Ehepaars unter der Ausnahmesituation des Krieges", erläutert Katrin Kilian, die Leiterin des Feldpost-Archivs.

So haben die Herausgeber aus nahezu 1900 Briefen, Karten und sonstigen Mitteilungen der Eheleute Guicking aus den Jahren 1937 bis 1945 etwa 100 Briefe zusammengeführt. Angereichert mit historischen Information ist auf diese Weise ein Quellenband entstanden, der Geschichte "von unten" erfahrbar machen möchte. Mit der Feldpost soll der Geschichtsschreibung zudem eine Quelle erschlossen werden, die bislang ein Schattendasein geführt hat. Private Korrespondenzen dienten eher der Veranschaulichung historischer Sachverhalte, waren aber kaum selbst Gegenstand systematischer Auswertung. Zunehmend geraten jedoch auch private Dokumente aller Art in den Blick der historischen Forschung. Schließlich dürften, allein was die Feldpost anbelangt, in Archiven und privaten Haushalten noch allerhand ungehobene Schätze zu finden sein. Denn die Kommunikation zwischen den Familien und den von ihnen getrennten Männern fand ausschließlich auf dem Wege des Briefverkehrs statt. Dafür sprachen schon finanzielle Gründe: Der Vermerk "Feldpost" auf einem Brief sorgte für seine kostenlose Beförderung. So beläuft sich die geschätzte Zahl auf schwindelerregende 30 bis 40 Milliarden Feldpostsendungen, die im Zweiten Weltkrieg zwischen Heimat und Front versandt wurden.

Immerhin 35 000 bis 40 000 Belege hat das Anfang diesen Jahres gegründete Feldpost-Archiv in der kurzen Zeit seines Bestehens bereits gesammelt. Das Fernziel der zusammen mit dem Berliner Museum für Kommunikation begonnenen Arbeit ist die Archivierung des gesamten Bestandes an noch in Deutschland vorhandenen Feldpostsendungen. Transkription und Digitalisierung der Briefe sollen den Bestand dann auch einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Der Briefwechsel der Guickings unterscheidet sich von den meisten anderen bislang vom Feldpost-Archiv gesammelten Belege durch seine Vollständigkeit, die eine separate Publikation geboten erscheinen ließ. Sie ist im ganzen Umfang allerdings nur auf CD-Rom zugänglich, ergänzt durch zahlreiche weitere historische Dokumente und Fotografien. Mit Volltextsuche sowie der Suche auf unterschiedlichen Menüleisten - Versorgung, Personen, Ereignisse undsoweiter - lässt sich der Briefwechsel auf diese Weise gut auf die jeweils interessierenden Fragen hin durchforsten. Also etwa: Von wann an sprach man von der "Wunderwaffe" V2 und glaubte damit, allein noch zu Wundern Zuflucht nehmen zu können?

Der "Blick ins Innenleben des Systems", den sich Katrin Kilian durch die Feldpostsendungen erhofft, lebt von der Reichhaltigkeit des Materials, das dem Archiv zugänglich ist. Man freut sich daher über jeden zusätzlichen Brief, der dem Archiv zur Verfügung gestellt wird.

Anatol Schneider

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