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Gesundheit: „Ich wäre Ingenieur geworden“ Der Dalai Lama spricht zu 14000 Hirnforschern

Ausgerechnet in der Hauptstadt jenes Landes, in dem religiöse und naturwissenschaftliche Weltanschauungen mit zunehmender Härte aufeinander prallen, ist es dem Dalai Lama gelungen, eine Brücke zwischen den Lagern zu bauen. An die 800 Hirnforscher hatten in einer Petition gegen den Auftritt „seiner Heiligkeit“ auf dem Treffen der US-Neurowissenschaftler in Washington protestiert.

Ausgerechnet in der Hauptstadt jenes Landes, in dem religiöse und naturwissenschaftliche Weltanschauungen mit zunehmender Härte aufeinander prallen, ist es dem Dalai Lama gelungen, eine Brücke zwischen den Lagern zu bauen. An die 800 Hirnforscher hatten in einer Petition gegen den Auftritt „seiner Heiligkeit“ auf dem Treffen der US-Neurowissenschaftler in Washington protestiert. Doch 14000 Besucher waren gekommen, um die Botschaft des Friedensnobelpreisträgers und spirituellen Führers des tibetanischen Volkes zu hören.

„Ich bin ein neugieriger Mensch, und wenn ich nicht Mönch geworden wäre, dann wahrscheinlich Ingenieur“, sagte der 70-Jährige. Die östlichen Philosophien mit ihren Meditationspraktiken und die moderne Medizin hätten zwar unterschiedliche Wurzeln, in ihrem Streben nach Linderung menschlichen Leidens aber eine gemeinsame Philosophie.

Buddhisten untersuchten ebenso wie Wissenschaftler die Realität, erklärte der Mann in der roten Robe, der als 14. Wiedergeburt eines Buddha des Mitgefühls verehrt wird. Vor der Vertreibung durch die Chinesen habe er mit einem Teleskop Sterne und Mond beobachtet. „Ich sah Schatten auf dem Mond und wunderte mich, denn laut unseren buddhistischen Schriften strahlt der Mond von sich aus“, erzählte der Dalai Lama. Die Lehre sei also falsch gewesen und er habe dies auch seinem Meister gesagt.

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit Kosmologie, Teilchenphysik und der Hirnforschung, wobei er einige der führenden Wissenschaftler als Tutoren hatte, darunter den deutschen Physiker Carl von Weizsäcker. Schließlich hat der Dalai Lama auch durchgesetzt, dass die buddhistischen Mönche am Sitz der tibetanischen Exilregierung im indischen Dharamsala naturwissenschaftlichen Unterricht nehmen müssen.

Er habe tiefen Respekt vor der Arbeit der Hirnforscher, sagte der Dalai Lama. Falls eine Pille oder Elektroden im Gehirn Verständnis und Mitgefühl fördern würden, hätte er nichts einzuwenden. Auch Tierversuche könnten nötig sein, wenn sie Leiden insgesamt minderten.

Der Dalai Lama fand auch mahnende Worte: „Offensichtlich kann unsere Moral nicht Schritt halten mit dem Tempo, mit dem wir neues Wissen und neue Macht erschließen.“ Falsch sei die Ansicht, dass die Gesellschaft Wissenschaft und Technik fördern solle, um dann die Wahl, was mit den Ergebnissen geschehen solle, dem Einzelnen zu überlassen.

Er wolle keine Verschmelzung von Religion und Wissenschaft. Vielmehr fordere er eine von der Religion unabhängige Ethik, die sich an Mitgefühl, Toleranz und dem verantwortlichen Umgang mit Wissen orientiere.

Am Ende gab’s Applaus. Lediglich eine Frau wurde mit einem Protestplakat vor dem Konferenzzentrum gesichtet, und einige Forscher hatten den Vortrag des Dalai Lama vorzeitig verlassen, um ihren Unmut zu bekunden.

Michael Simm[Washington]

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