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Gesundheit: Intimer Umgang mit der deutschen Kultur

Zum Tod des Historikers Gordon A. Craig

Der kleine Mann mit dem eindrucksvollen Backenbart war der ausländische Autor, von dem sich die Deutschen am liebsten über sich und ihre komplizierte Geschichte aufklären ließen. Das bezeugen die erstaunlichen Auflagen der Bücher Gordon A. Craigs, seine Vorträge und Auftritte in Deutschland, bei denen er viel Resonanz, ja, Zuneigung fand. Das zeigen aber auch die Auszeichnungen, die er erhalten hat – bis zur Mitgliedschaft im Orden pour le mérite, also der feinsten Gesellschaft, die es hierzulande gibt. Dabei hat er den Deutschen keineswegs nach dem Munde geredet. Im Gegenteil: Dieser Amerikaner hat an seiner kritischen Haltung gegenüber dem Gang der deutschen Dinge seit der Reichsgründung nie einen Zweifel gelassen.

Dass er gleichwohl so ungemein geschätzt wurde, ja, irgendwie einen Eckstein des breiteren historischen Interesses in Deutschland bildete, hatte seinen Grund sicher auch in der Eindringlichkeit seines liberalen, aufklärenden Blicks auf die deutsche Geschichte. Auch wenn der, wie die Debatten über seinen 1982 erschienenen Essay „Über die Deutschen“ zeigten, nicht von jedermann geteilt wurde. Doch zuförderst war es wohl das große Maß an Vertrautheit mit diesem Volk und seiner Geschichte, das seine Bücher verrieten. Es war nicht zuletzt der intime Umgang, den seine Geschichtsschreibung mit der deutschen Kultur unterhielt. Mit spürbarem Vergnügen lebte er in einer staunenswerten Fülle von Zitaten, seien sie von Schiller, seien sie, vor allem, von Fontane. In ihm hatte der gebürtige Schotte, der zum Amerikaner geworden war, einen Bruder im Geiste gefunden. Mit Recht stand Craig als Festredner bei der Eröffnung des Fontanejahres 1998 neben Bundespräsident Herzog.

Diese frappierende Verbindung kritischer Historie und musischer, bildungsbürgerlicher Anteilnahme hatte schon die erste Begegnung des Studenten mit dem Land seiner späteren Studien ausgezeichnet. Der zweiundzwanzigjährige Craig nahm 1935 enthusiastisch die Schätze der Museen von München und Berlin auf – und sah zugleich die fratzenhafte Selbstdarstellung des Dritten Reiches. Vielleicht legte das Erlebnis dieser Ambivalenz den Grundstein zu der lebenslangen Beschäftigung mit den Wegen und Irrwegen deutscher Geschichte. Er hat Deutschland einen Spiegel vorgehalten, in dem es sich erkennen konnte. – Jetzt ist Gordon A.Craig im biblischen Alter von fast zweiundneunzig Jahren gestorben.

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