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Gesundheit: Jungen in der Schule besser fördern

In den Bildungsdebatten der 70er-Jahre gab es ein Synonym für bildungsferne Schichten: das katholische Mädchen vom Lande. 30 Jahre später hat der türkische Großstadtjunge dieses Mädchen ersetzt.

In den Bildungsdebatten der 70er-Jahre gab es ein Synonym für bildungsferne Schichten: das katholische Mädchen vom Lande. 30 Jahre später hat der türkische Großstadtjunge dieses Mädchen ersetzt. „Es gibt eine Risikogruppe, und darin sind vor allem Jungen aus bildungsfernen, sozial schwachen und Migrationsfamilien“, sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ute Erdsiek-Rave (SPD), auf einer Fachtagung am Donnerstag in Berlin. Jungen müssten besser gefördert werden. Denn zwei Drittel aller Schulabbrecher und drei Viertel der Sonderschüler seien männlich, sagte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin weiter.

Es sei an der Zeit, traditionelle Rollenbilder aufzuweichen, waren sich die Experten einig. Problematisch sei die „Verweiblichung“ der Erziehung, zu wenig Männer entschieden sich für diese „weichen“ Berufe. „Die Männer fehlen nahezu im gesamten Erziehungsprozess“, sagte Waltraud Cornelißen vom Deutschen Jugendinstitut München. Das präge das Rollendenken der Schüler. Sie forderte, nicht mehr in Kategorien von „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ zu denken, sondern die Schüler zu ermutigen, ihre individuellen Fähigkeiten zu entdecken. Das Modell des Familienernährers funktioniere nicht mehr, da die männlichen Erwerbsbiografien brüchig geworden seien. „Junge Frauen und Männer tun gut daran, sich auf Berufsrolle und familiale Rolle einzustellen“, sagte Cornelißen.

Die einmal als fortschrittlich angesehenen Wahlmöglichkeiten in deutschen Schulen kritisierte die Wiener Physikerin Helga Stadler. „Ein System, das Mädchen die Möglichkeit gibt, Physik abzuwählen, vergrößert geschlechtsbedingte Differenzen im Bildungsbereich.“ Zu diesem Schluss kommt auch Schleswig-Holstein: Ab 2008 würden dort die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt, sagte Ministerin Erdsiek-Rave am Rande der Tagung.

Die Dortmunder Erziehungswissenschaftlerin Barbara Koch-Priewe regte an, über phasenweise getrennten Unterricht nachzudenken. Sie sprach sich zwar gegen eine generelle Abkehr von der Koedukation aus. Aber eine Studie der PH Heidelberg habe gezeigt, dass beispielsweise getrennter Literaturunterricht erfolgreich sein könne.

Lesen gilt als klassische Schwäche von Jungen. Daran, dass das nicht immer so war, erinnerte Stadler: „Goethe war auch ein Mann.“ Dass Mädchen dem Lesen gegenüber aufgeschlossener als Jungen sind, liege auch daran, dass entsprechende Angebote fehlen, sagte Stefan Wedel vom Stuttgarter Thienemann Verlag. „Mädchenliteratur hat Tradition, aber ein spezielles Genre ,Jungenliteratur‘ gibt es noch nicht“, sagte Wedel. Jungen seien bei der Leseförderung in der Vergangenheit „sträflich vernachlässigt“ worden.

Juliane Schäuble

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