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Gesundheit: Medizin im Abwasser

Überreste von Arzneimitteln gefährden die Umwelt. Aber Industrie und Kliniken können etwas tun

Sie werden geschluckt, gespritzt oder geklebt. Kranke sind froh über wirksame Medikamente. Doch oft bleibt was übrig. Dann werden die Reste nicht selten in den Mülleimer geworfen und gelangen so ins Grundwasser. Doch auch ein Großteil der vom Patienten eingenommenen Präparate landet im Abwasser. „95 Prozent der Wirkstoffe werden mit dem Urin ausgeschieden“, sagte Fritz Frimmel, Wasserchemiker an der Universität Karlsruhe, jetzt auf dem Kolloquium „Heil-Lasten“ der Gottlieb-Daimler- und Karl-Benz-Stiftung in Berlin.

Es geht um nicht wenig. Mit 666 Millionen gibt der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller die Zahl der 2004 verkauften Packungen an. Das summiert sich auf rund 30 000 Tonnen Arzneimittel. Davon landen etwa 4000 Tonnen von Tabletten, Cremes, Zäpfchen oder Lösungen im Müll oder werden die Toilette runtergespült. Zudem gelangen Rückstände aus Krankenhäusern, aus pharmazeutischer Forschung und Produktion in den Gewässerkreislauf.

Auch Tiere sind medikamentös zu versorgen. Tierärzte verabreichen jährlich bis zu 2500 Tonnen Arzneimittel. Und niemand weiß, wie groß die Menge pharmazeutischer Wirkstoffe ist, die dem Futter beigemischt wird, um die Tiere ertragreicher zu machen. Über Gülle und Mist sickern diese Veterinärpharmaka in Boden und Grundwasser.

In den Gewässern finden sich vor allem Rückstände von Schmerzmitteln und Antibiotika, von Röntgenkontrastmitteln sowie von Medikamenten, die schädliches Blutfett senken, Depressionen bekämpfen oder Empfängnis verhüten.

„Die nachgewiesenen Überreste pharmazeutischer Wirkstoffe liegen nur im Bereich von Nanogramm (milliardstel Gramm) pro Liter“, sagt Frimmel. Auch seien keine schädlichen Wirkungen für Menschen bekannt. Doch der Wasserchemiker gibt keine Entwarnung. Zu wenig wisse man über Langzeiteffekte, vor allem, wenn mehrere Substanzen zusammenwirkten. Dazu zählen auch die Stoffe, die erst beim Abbau des Wirkstoffes entstehen. Mehr als 100 Wirkstoffe aus Arzneien oder deren Abbauprodukte sind bereits in Gewässern nachgewiesen worden. „Schadstoff-Cocktails“ nennt Frimmel diese Zusammenballungen, in denen sich die Gefahren potenzieren können. Das weiß man auch aus anderen Bereichen, etwa bei der Kombination verschiedener Luftschadstoffe. Über das Verhalten pharmazeutischer Wirkstoffe und die Langzeitwirkung in der Umwelt herrsche weitgehend „toxikologisches Nichtwissen“, sagt Tamara Grummt vom Umweltbundesamt in Bad Elster.

Doch gibt es beunruhigende Beobachtungen bei Tieren, die Frimmel als erste Indikatoren für Effekte von Arzneimittelrückständen ansieht. Schließlich sind Organismen in Boden oder Wasser viel länger diesen Wirkungen ausgesetzt. So stehen aus Antibabypillen stammende Östrogene im Verdacht, männlichen Fischen weibliche Geschlechtsorgane wachsen zu lassen.

Bakterien in Boden und Wasser können durch fortwährenden Kontakt mit Antibiotika so trainiert werden, dass sie gegen diese Medikamente resistent werden. Verstärkung erhalten die Mikroorganismen durch bereits resistente Artgenossen, die aus Krankenhausabfällen stammen. „In Deutschland sorgt nur eine Hand voll Kliniken dafür, die Ausscheidungen der Patienten nur in geklärtem Zustand ins Abwasser gelangen zu lassen", sagt Frimmel. Dies sei etwa mit speziellen Kloschüsseln möglich, in denen Urin separiert und vorbehandelt werde.

Auch die Pharmaindustrie könnte einen Beitrag leisten, indem sie schon bei der Produktion der Medikamente auf Umweltfolgen achtete. Als Beispiel nennt der Karlsruher Forscher die Rückgewinnung von Jod bei der Herstellung eines Röntgenkontrastmittels. Auch neue Verfahren bei der Abwasserreinigung, etwa durch Behandlung mit Ozon, können helfen. Doch auch die Patienten sind gefragt. Sie sollen nicht benötigte Medikamente in die Apotheke bringen.

Paul Janositz

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