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Gesundheit: Mehr als Kuschelpädagogik

Die Kleinsten sollen schon in der Kita lernen. Dazu müssen auch die Erzieherinnen besser ausgebildet werden

Für Friedrich Fröbel, den Gründer der Kindergärten in Deutschland, war klar, worauf es in der Erziehung ankommt: „Beispiel und Liebe, sonst nichts.“ Heute sind sich alle einig: Damit ist es nicht getan. Erzieherinnen müssen Bildungsarbeit leisten – schon die Jüngsten müssen gezielt gefördert werden. Alle 16 Bundesländer haben, nicht zuletzt unter dem Druck internationaler Bildungsstudien, ehrgeizige neue Bildungspläne für Kindertagesstätten aufgestellt: Die Kleinen sollen unter anderem lernen, mit Zahlen, Mengen und Größen umzugehen, sie sollen naturwissenschaftliche Experimente machen und sich spielerisch Schrift und Sprache nähern, heißt es etwa im Berliner Bildungsprogramm vom August 2004. Und im beginnenden Bundestagswahlkampf versuchen sich Parteien mit ihren Konzepten zur frühkindlichen Erziehung zu profilieren (siehe Kasten).

Wie aber können die Erzieherinnen, die in Deutschland in der Regel nur über eine dreijährige Fachschulausbildung verfügen, auf diese anspruchsvollen Aufgaben vorbereitet werden? Erzieher und Erzieherinnen gehören an die Hochschule, meinen nicht nur Pädagogen wie Christa Preissing von der Freien Universität Berlin oder Martin Textor und Wassilios Fthenakis vom Staatlichen Institut für Frühpädagogik in München. Auch die Grünen und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordern eine Hochschulausbildung für Erzieherinnen, wie dies in allen anderen europäischen Staaten außer Österreich gang und gäbe ist.

Viel passiert ist hierzulande allerdings noch nicht. Zwar haben sich Kultusminister- und Jugendministerkonferenz im Frühjahr 2004 auf gemeinsame Rahmenbedingungen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen geeinigt und eine Anpassung der Lehrpläne für das pädagogische Personal als Grundvoraussetzung für eine bessere Förderung der Kleinsten bezeichnet. Mehr, so heißt es aus Kreisen der Kultusministerkonferenz, stehe derzeit allerdings nicht zu erwarten. Dass die Sorge vor steigenden Erziehergehältern den Reformeifer vieler Bundesländer bremst, will man zwar nirgends gerne zugeben. Doch Fakt ist: Mit der Qualifikation der Kleinkind-Pädagogen würde sich zwangsläufig auch ihre Verhandlungsposition in Vergütungsfragen verbessern.

Im Wesentlichen scheint es der Initiative einzelner Hochschulen zu verdanken zu sein, dass Erzieherinnen zumindest hier und da mehr lernen können als bloße Kuschelpädagogik. Bisher gibt es bundesweit sieben Fachhochschulen und eine Universität, die Studiengänge für Erzieherinnen anbieten. Erst vor einigen Wochen führte die Fachhochschule Potsdam einen neuen Studiengang für Kita-Erzieher ein. Auch die Berliner Alice-Salomon-Fachhochschule (ASFH) in Hellersdorf bietet einen Studiengang „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ an. 40 Studierende werden pro Jahrgang für die Arbeit mit Kindern von der Geburt bis zum Ende des Grundschulalters ausgebildet. Der große Unterschied zu herkömmlichen Erzieher-Fachschulen: Nur wer Abitur hat oder eine einschlägige Ausbildung mit mindestens vierjähriger Berufstätigkeit vorweisen kann, wird zum Studium zugelassen.

Die hohen Zugangsvoraussetzungen haben auf die Qualität der Vorlesungen und Seminare großen Einfluss, sagt Dozent Reinhart Wolff. „Der Unterricht ist auch für mich immer wieder eine Herausforderung." Seine Studentin Melanie Peper hat zunächst in Niedersachsen eine Erzieher-Ausbildung begonnen – und enttäuscht abgebrochen. „Mir hat an der Fachschule der wissenschaftliche Bezug gefehlt“, sagt sie. Ihre Kommilitonin Felizia, Erzieherin mit Fachschulabschluss, hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Der Unterricht war sehr oberflächlich“, erinnert sie sich und macht hierfür unter anderem die breit angelegte Ausbildung verantwortlich. Denn bis heute beschränkt sich der Unterricht an der Fachschule nicht auf die Beschäftigung mit jungen Kindern, sondern umfasst auch die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. „Das sind im Grunde ganz unterschiedliche Ausbildungsziele“, sagt Felizia. „Überall kratzt man ein wenig an der Oberfläche, nichts lernt man richtig.“

Auch die mangelnde Motivation ihrer früheren Mitschüler habe dazu beigetragen, dass der Unterricht nicht gerade auf hohem Niveau ablief. „Viele kamen frisch von der Schule, gerade mal 16 Jahre alt, und hatten kein festes Ziel vor Augen. Sie machten die Ausbildung aus reiner Verlegenheit“, sagt Felizia. „An tief gehende Fachgespräche war überhaupt nicht zu denken.“

In Reinhart Wolffs Vorlesung an der ASFH hat man dagegen sehr wohl den Eindruck, einer Diskussion auf universitärem Niveau zu lauschen. „Wie stehen Sie dazu? Kann das jemand interpretieren? Gehen Sie da mit?“ Wolff zwingt seine Studentinnen zum Mit- und Weiterdenken und zum Entwickeln eigener Ideen. Die Fachhochschüler beschäftigen sich nicht nur mit pädagogischen Konzepten und Erziehungstheorien, sondern auch mit der Frage, wie man junge Kinder spielerisch an Naturwissenschaften, Mathematik und Technik heranführt. Warum ist der Himmel blau? Warum ist die Erde rund? Wie sieht es eigentlich in unserem Körper aus? „Für viele Erzieherinnen sind Naturwissenschaften leider ein Buch mit sieben Siegeln“, sagt Initiatorin und Leiterin des Studiengangs Hilde von Balluseck.

40 Hochschul-Absolventinnen im Jahr werden aber nicht ausreichen, um den Alltag an Berliner Kitas umzugestalten – die meisten der rund 2300 Erzieherinnen lernen nach wie vor in den Fachschulen für Sozialpädagogik. Aber auch die Fachschulausbildung ist in Berlin reformiert worden. Entscheidende Neuerung ist seit August 2003 die Anhebung der Zulassungsvoraussetzungen: Angehende Erzieherinnen müssen künftig Abitur oder Fachhochschulreife besitzen. Wer lediglich den Realschulabschluss hat, muss eine berufliche Vorbildung mitbringen. Vor der Reform reichte der erweiterte Hauptschulabschluss; die mittlere Reife musste während der Fachschulausbildung nachgeholt werden.

Das Berliner Ausbildungskonzept wurde auch inhaltlich überarbeitet: Seit anderthalb Jahren wird in Fächer übergreifenden Themenfeldern unterrichtet, die sich gezielt an den späteren beruflichen Aufgaben von Erzieherinnen orientieren. Dazu zählen etwa das Gestalten von Lernumgebungen, der Umgang mit Natur und Umwelt, die Gesundheitsförderung, die Sprach- und Kulturarbeit.

Wolfgang Brauer, Direktor der 1. Staatlichen Fachschule für Sozialpädagogik Berlin in Charlottenburg, und seine stellvertretende Schulleiterin Elke Wasserberg-Reubel sind sich einig: Die Reform war überfällig. Vor allem die Anhebung der Zulassungsvoraussetzungen ist den beiden Pädagogen hoch willkommen. „Diese Forderung hatten wir seit langem“, sagt Wasserberg-Reubel. Das Realschulniveau sei in den letzten Jahren bedenklich gesunken. Der Abschluss stelle oft keine ausreichende Grundlage für eine anspruchsvolle Berufsausbildung mehr dar.

Reicht es also, die Fachschulausbildung zu reformieren? Kann man womöglich doch auf die Hochschulausbildung für Erzieherinnen verzichten? Bernhard Eibeck von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft meint Nein. „Wir brauchen eine Verknüpfung von Lehre und Forschung, von Wissenschaft und Praxis. Und wir müssen den Erzieherberuf für junge Leute mit Abitur deutlich attraktiver machen. Beides geht nur, wenn der Weg dorthin über ein Studium führt.“

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