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Gesundheit: Nadeln gegen den Schmerz

Akupunktur soll die Lebenskraft „Qi“ ungestört fließen lassen – und so Migräne und Kreuzbeschwerden lindern

ALTERNATIVE MEDIZIN (5) – WAS KANN SIE WIRKLICH? HEUTE: CHINESISCHE HEILKUNDE

Da joggen wir durch den Grunewald, viel zu schnell und außer Atem – und dann: die Entdeckung der Langsamkeit. Ganz merkwürdig bewegt sich da eine Frau, als wär’s eine Filmsequenz in Zeitlupe. Das ist „Qigong“, ein chinesisches System von Entspannungsübungen. Sie sollen das „Qi“ zum ruhigen Fließen bringen.

Qi (sprich: „schi“), das ist ein zentraler Begriff der traditionellen chinesischen Medizin, zu umschreiben als Lebenskraft, ähnlich dem Pneuma der europäischen Antike. Die hat auch sonst mit dem chinesischen Altertum einiges gemein. Nach der altgriechischen Viersäftelehre etwa steht der menschliche Organismus mit den Gesetzmäßigkeiten der Welt genauso in Verbindung wie in der altchinesischen Philosophie, wo die Kräfte Yin und Yang ständig im Streit liegen, in der Natur wie auch im menschlichen Körper. Ihr Ausgleich bedeutet Gesundheit.

Das unstoffliche Qi fließt in der Vorstellung der traditionellen chinesischen Medizin durch tiefe Leitbahnen – ein Franzose taufte sie „Meridiane“ – in alle Teile des Körpers. Stockt dieser Fluss, wird man krank, und dann muss man ihn wieder zum harmonischen Fließen bringen. Zum Beispiel durch Akupunktur, das bei uns am weitesten verbreitete und zudem am häufigsten geprüfte Verfahren der gesamten alternativen Medizin.

Auch in China beherrscht die moderne Wissenschaft längst 95 Prozent der medizinischen Versorgung. Aber wem sie nicht helfen kann oder wer sich bei ihr nicht gut aufgehoben fühlt, der greift daneben gern auf Alternatives zurück – genau wie bei uns. Wer Angst vor der vielen Chemie, Physik und Technik in unserer medizinischen Welt hat, wer sich danach sehnt, von einem Arzt mit Zeit, Zuwendung und heilenden Händen behandelt zu werden, für den ist die traditionelle chinesische Medizin eine Option auf dem Markt der alternativen Möglichkeiten.

Die Untersuchungsverfahren sehen ganz anders aus als die der „Schulmedizin“. Man schaut nicht in den Körper oder dringt gar in ihn ein. Man wird nach seinen Beschwerden gefragt, der Körper von außen mit allen Sinnen begutachtet. Besondere Bedeutung haben Zungen- oder Pulsdiagnostik. Die Gesundheit und Krankheit der Körperteile und Organe soll sich im Zustand der ihnen zugeordneten Zungenareale ablesen lassen. Bei der Pulsuntersuchung geht es weniger um Frequenz und Rhythmus als darum, wie sich der Pulsschlag anfühlt. Dabei unterscheidet man bis zu 28 verschiedene Pulsqualitäten.

Die traditionelle chinesische Medizin wirkt beruhigend, harmonisierend und will uns das Gefühl vermitteln, eingebunden zu sein ins „große Ganze“. Tatsächlich kann sie viele Befindlichkeitsstörungen und Alltagsleiden lindern. Muss einer sich dazu auf die schwer verständliche fremde Ideenwelt einlassen? Ja, wenn es ihm gerade auf die Geborgenheit in der Heilkunde ankommt.

Für uns Westler gibt es aber noch einen anderen Weg, den auch China zunehmend beschreitet: Man prüft die aus uralter Erfahrung entwickelten Mittel und Methoden der chinesischen Medizin nach den strengen Kriterien der modernen Wissenschaft. Ein alternatives Verfahren ist nur so lange alternativ, bis es diese Prüfung – vielleicht – bestanden hat. Dann fügt man es in die wissenschaftlich fundierte Medizin ein.

Die Akupunktur spielte dabei immer eine Nebenrolle, ist jedoch längst in den Mittelpunkt der traditionellen chinesischen Medizin gerückt. Bei uns in Europa wird sie hauptsächlich bei Schmerzen angewandt, aber zum Beispiel auch bei Entzündungen, gegen Heuschnupfen oder zur Raucherentwöhnung. Am besten untersucht ist jedoch die Wirksamkeit gegen Schmerzen. Die immer wieder gehörte Meinung, unkonventionelle medizinische Verfahren ließen sich mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden gar nicht prüfen, sei „schlichtweg Unsinn“, sagt Edzard Ernst, Direktor des Zentrums für Komplementärmedizin an der Universität Exeter in Großbritannien.

So werden Mittel und Methoden der traditionellen chinesischen Medizin mit Schwerpunkt Akupunktur seit Jahren wissenschaftlich geprüft, mit noch widersprüchlichen Ergebnissen. 1999 veröffentlichte das Fachblatt „British Medical Journal“ eine Analyse von fast 2000 Publikationen in chinesischen Medizinblättern – 90 Prozent zur Arzneitherapie, zehn Prozent zur Akupunktur – durch zwei chinesische Wissenschaftler. Die meisten der untersuchten Studien erwiesen sich damals als methodisch so unzulänglich, dass die Aussagen über Behandlungseffekte nicht verwertbar waren.

Die Situation bessert sich. So wurde 2002 beim Kongress über „Health Technology Assessment“ (Prüfung des Nutzens medizinischer Verfahren für den Patienten) in Berlin eine Zusammenstellung der Ergebnisse von 23 Akupunkturanalysen aus aller Welt vorgelegt. Dieser Bericht der kanadischen „Alberta Heritage Foundation for Medical Research“ konstatierte gleichfalls, dass die Qualität der meisten Studien unzulänglich sei. Zugleich stellte sich jedoch heraus, dass Akupunktur einen lindernden Effekt bei Zahnschmerzen und bei Übelkeit nach Operationen hat.

Akupunktur ist nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen – wie jede Behandlungsmethode. Sie reichen von Übelkeit, Schläfrigkeit und Ohnmacht über Infektionen bis zu Verletzungen durch die Nadeln. Im Großen und Ganzen aber deuten mehrere Studien inzwischen auf eine positive Wirkung der Akupunktur hin:

Beim Halswirbelsäulensyndrom zeigt sich die klassische Akupunktur der westlichen Massage überlegen.

Zwei Untersuchungen befassten sich mit chronischem Kreuzschmerz. Die eine ergab, dass sowohl die traditionelle als auch eine Schein-Akupunktur (oberflächliches Nadeln an falschen Stellen) zusätzlich zur üblichen Physiotherapie den Schmerz besser linderte als die Physiotherapie allein. Die andere Studie kam zu dem Schluss, dass die echte der Schein-Akupunktur überlegen ist.

Migräne-Anfälle können im Vorstadium im selben Prozentsatz mit Akupunktur verhindert werden wie mit einer Schmerzmittel-Spritze.

Fazit: Akupunktur wirkt. Doch funktioniert sie nur dann, wenn man nach der chinesischen Lehre vorgeht und in ganz bestimmte Hautareale sticht? Oder ist es gleich, wo die Nadeln eingesetzt werden?

Diese Frage ist nicht endgültig geklärt. Manche Studien sprechen dafür, dass die Wirkung unspezifisch ist und damit wohl auf den Glauben an die heilende Kraft der Nadeln zurückzuführen ist. Dieser „Placebo-Effekt“ spielt allerdings in der gesamten Medizin eine erhebliche Rolle. „Es gibt gute wissenschaftliche Belege, die dafür sprechen, dass die Wirkung der Akupunktur aus mehr besteht als nur dem Placebo-Effekt“, resümiert dagegen das „British Medical Journal“. – auch wenn Qi selbst weiterhin dem wissenschaftlichen Auge verborgen bleibt.

Die nächste Folge zum Thema Ernährung erscheint am nächsten Dienstag, den 16. März.

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