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Gesundheit: Nicht von schlechten Eltern

Rabenvögel sind clever. Und erkennen sich selbst im Spiegel – eine außergewöhnliche intellektuelle Leistung

Die Fähigkeit, aus dem eigenen Spiegelbild Rückschlüsse auf sich selbst zu ziehen, gehört zu den größten intellektuellen Leistungen in der Fauna. Man war sich bislang sicher, dass außer uns Menschen nur höhere Menschenaffen das geistige Potenzial für dieses Aha-Erlebnis besitzen. Doch jetzt haben britische Forscher die Beobachtung gemacht, dass auch Rabenvögel vor dem Spiegel Sinn für sich selbst demonstrieren.

In Studien Ende der 60er Jahre wurden Schimpansen für ein paar Tage mit einem Spiegel konfrontiert. Zunächst behandelten die Herrentiere ihr Konterfei aufgeregt wie einen Fremden. Dann beruhigten sie sich und nutzen die Reflexion gezielt, um schwer zugängliche Körperteile zu inspizieren. Im entscheidenden Experiment wurden die Affen unter Narkose mit einem Farbtupfer am Gesicht markiert. Als sie nach dem Aufwachen in den Spiegel blickten, fingen sie unvermittelt an, nach der Verunzierung zu tasten.

Außer beim Menschen fällt nur bei Schimpansen und Orang-Utans der Groschen, wenn sie ihre Widerspiegelung sehen. Alle andern Tiere, einschließlich Gorillas, behandeln ihr Ebenbild wie einen Fremden und verlieren mit der Zeit das Interesse daran. Menschenkinder bestehen den Test mit dem Farbklecks mit etwa anderthalb bis zwei Jahren. Der Rückschluss vom Spiegelbild auf den eigenen Körper wurde bisher als ein Zeichen gewertet, dass der Betrachter ein Bewusstsein der eigenen Identität besitzt. Ein Affe, der sich selbst im Spiegel erkennt, kann sich danach auch vorstellen, ein Objekt in den Augen anderer zu sein.

Nun war dem Zoologen Nathan J. Emery von der University of Cambridge vor einiger Zeit aufgefallen, dass auch der Eichelhäher, ein in Europa, Afrika und Asien heimischer Rabenvogel, ein Gespür für soziale Perspektive besitzt. Das clevere Tier, das sich bis zu 30000 verschiedene Futterverstecke merken kann, vergräbt Schmetterlingsraupen, seine Lieblingsspeise, aber auch andere Nahrungsmittel wie Haselnüsse im Erdboden. Wenn sich dabei jedoch Artgenossen in Sichtweite aufhalten, wartet der Eichelhäher, bis diese sich aus dem Staub gemacht haben, buddelt den Wintervorrat wieder aus und vergräbt ihn an einer anderen Stelle.

Ob der Vogel das besitzt, was Psychologen als „Theorie des Geistes“ bezeichnen? Sprich: Kann er sich in den Stand eines Beobachters hineinversetzen? Hilfreich wäre es schon, denn ohne die heimliche Umgrabung würden die spionierenden Artgenossen Mundraub an den verscharrten Vorräten begehen.

Eine Theorie des Geistes zu haben ist wahrscheinlich auch die intellektuelle Voraussetzung, um sich im Spiegel selbst zu erkennen. Ob der Eichelhäher diese Fähigkeit besitzt, lässt sich nicht mit dem Farbklecks ergründen, denn Vögel sind außerstande, sich diesen manuell aus dem Gesicht zu wischen. Doch Emery hatte die Eingebung, dass man am Verhalten eines Eichelhähers ablesen kann, ob er sein Konterfei als Ich ansieht. Der Trick bestand darin, einen Teil der Tiere während des Vergrabens ihrer Speisen mit einem Spiegel zu konfrontieren.

In den ersten Stunden nach dem Showdown mit dem eigenen Spiegelbild behandelten die Vögel ihre Reflexion noch so, als handele es sich um einen anderen Vogel. Der Anblick motivierte sie zunächst genauso zum Umgraben wie der Anblick eines Artgenossen. Das ist nicht ungewöhnlich, denn auch Menschenaffen verkennen ihr Spiegelbild in den ersten Stunden als ihresgleichen. Doch 14 Stunden nach der Erstbespiegelung hatte sich das Bild gewandelt. Die Eichelhäher verhielten sich jetzt völlig unbesorgt. Wenn die Zeichen nicht trügen, war ihnen mittlerweile aufgegangen, dass das Bild im Spiegel ihr eigenes war.

Rabenvögel gelten als die schlauesten und lernfähigsten Tiere in der Vogelwelt. So ist es kein Wunder, dass Helmut Prior, Biopsychologe der Universität Bochum, schon vor ein paar Jahren bei einem anderen Rabenvogel, der Elster, Anzeichen von Ich-Gefühl gefunden hat. Als sie bestimmte Aufgaben mit attraktiven Gegenständen lösen sollten, nahmen die Versuchstiere ihre Beute immer wieder in den Schnabel und posierten damit vor dem Spiegel. Um die eigenartige „Selbstdarstellung“ der Vögel systematisch zu studieren, bot Prior den Elstern einen Spiegel und in der Nähe – aber nicht im Spiegel sichtbar – eine Reihe von interessanten Gegenständen dar. Sie begaben sich zunächst zu den Objekten, nahmen eines davon in den Schnabel und kehrten mit dem Fang zu dem Spiegel zurück. Dort hielten sie eifrig Selbstbeschau.

Um das Verhalten weiter zu erhellen, markierte Prior die Versuchstiere mit einem roten Fleck an der Kehle, den diese nur im Spiegel sehen konnten. Und tatsächlich hackten die Elstern erregt auf den Fleck im Spiegel ein: der Forscher deutet das als ein Zeichen dafür, dass sie die Veränderung an sich erkannt hatten und wegmachen wollten. Auch wenn offen bleibt, ob – und wenn ja, bis zu welchem Grad – sich Elstern ihrer „Selbst“ bewusst sind.

Rolf degen

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